Ein weiteres Buch im Kanon der Kriegsenkelliteratur. Diesmal ein auch sehr persönliches Buch des Journalisten Matthias Lohre. Ich muß zugeben, es war mir am Anfang nicht sehr sympathisch, da mir doch einiges zu sehr zusammengefasst und verallgemeinert erschien. Es wird nicht zwischen Kriegsgkindern und Nachkriegskindern unterschieden. Und die Jahrgänge der Kriegsenkel setzt der Autor schon ab 1955 an. Das sehe ich anders. Aber wie er auch schreibt, es gibt nicht den Kriegsenkel.
In Matthias Lohres Fall ist er ein später Kriegsenkel, Jg. 76 und seine Eltern Jg. 31 der Vater, und Jg. 37 die Mutter. Schon allein deshalb finde ich den Titel verfehlt, es müßte heißen: Das Erbe eines Kriegsenkels. Finde ich bedauerlich das auf solche wichtigen Feinheiten oft nicht geachtet wird. Bei mir lößt sowas erstmal Ärger aus, weil ich mich einfach in einen Topf geschmissen fühle. Und einer hier die Wahrheit für sich zu vereinnahmen scheint. Was aber sicher nicht die Absicht des Autors war, so wie ich es lese. Er ist ein Suchender wie viele von uns. Aber er gibt zu viele Antworten, die wie die Lösungen klingen und wie die einzigen Antworten, manchmal wie Anleitungen, das gefällt mir nicht so gut.
Ganz persönlich kann ich mich wenig in Matthias Lohres Erzählungen wiederfinden, weder ging und geht es mir „ja doch irgendwie gut“, wie in seinem Fall, er ist immerhin erfolgreicher Journalist der bei Taz und Zeit schreibt und schon das eine oder andere Interview zum Thema Politik gegeben hat, noch ist mein Weg vergleichbar mit seinem. Meine Eltern sind erst Anfang der 50iger geboren und bei uns gab es andere Familienthemen. Und so war auch das Schweigen der Familie ein anderes. Aber immerhin das Schweigen ist eine Gemeinsamkeit – und natürlich finden sich davon noch einige andere, auch wenn ich vielleicht andere Schlüsse ziehe wie er oder das gleiche Ergebnis erlebe mit anderen Voraussetzungen. Es muß auch dazu gesagt werden er ist ein Westdeutscher Kriegsenkel, ich denke hier gibt es doch einige Unterschiede.
Trotzdem haben das Werk und ich noch zusammengefunden, und ich habe Matthias Lohre bis zum Ende seines Buches begleitet. Auf seiner Suche nach Antworten und Klärung seiner eigenen Geschichte. Manchmal laß es sich als würde er laut denken. Hin wieder kam es mir vor, als würde er vor sich hinmurmeln, immer wieder wiederholend was wichtig ist und scheint, um den aufgenommenen Faden nicht wieder zu verlieren.Das ist einerseits ein bisschen nervig, auf der anderen Seite mußte ich aber auch schmunzeln weil es einfach allzu menschlich ist und ich es selber von mir kenne.
Das ganze ist eine Mischung aus Persönlichem und aus allgemeinen Erkenntnissen. Oft zitiert er auch gelesenes, vorallem Psychologen und aus einem Gespräch. Es gibt auch eine Bücherliste im Anhang. Ich finde es in der Mischung nicht so gelungen wie andere.
Am Anfang war mir das alles oft zu sehr auf einem Tablett präsentiert und ließ keinen Raum für mich als Leserin, aber das ist wohl einfach die Art des Journalisten. Er hat es aufjedenfall geschafft mich bei der Stange zu halten und vor allem das Ende hat mich sehr berührt. Und ich habe selbst im Kapitel über die Erziehung, und das schon ewig oft besprochene Thema Erziehung nach Haarer, noch etwas herausziehen können für mich, weil es gut formuliert war. Auch schön fand ich das er die Geschichte vorm Nationalsozialismus mit einbezieht. Das er nach Lösungen und Möglichkeiten sucht.
Viel hab ich markiert, oft die Stellen wo ich dachte ja das bringt er gut auf den Punkt und die andere Hälfte Stellen, wo es bei mir ganz anders war und ich nicht mitgehen kann… auch so kann man schließlich am eigenen einhaken, das bietet Reibungsfläche; und das ist es ja am Ende was man als LeserInn doch auch sucht, die Verbindung zu sich Selbst.
Mehrfach hab ich an „Der alte König im Exil“ denken müssen, die ganze Geschichte des Autors hätte ich da gerne eingeordnet, an dieser Stelle im Bücherregal, aber durch dieses sehr gemischte von persönlicher Geschichte und Verallgemeinerung, und Erkenntnissen der Psychologie ist das nicht passend. Ich würde fast sagen es wäre gut gewesen ganz bei der eigenen Geschichte zu bleiben bzw. die Rückschlüsse auf das Eigene zu beziehen und dies auch so zu schreiben… ich merk jetzt wieder beim schreiben wie sehr mich doch manches ärgert, obwohl ich wirklich gern die letzten Tage jeden Abend im Buch gelesen habe. Es war eines dieser Bücher die ich nicht so verschlingen konnte, sondern nur häppchenweise vertrug.
In meinem Kopf ist so ein Bild von diesem Mann in meinem Alter, ein durchaus sympathischer und ziemlich schöner Mann, so wissbegierig und sensibel, mit seinen wirklich traurigen Augen die viel Seelentiefe erkennen lassen – da fühle ich mich schon sehr verbunden. Es ist gut das er seinen Weg für sich gefunden hat. Diese Geradlinigkeit aber, und vor allem auch diese guten Bedingungen aus denen er heraus agiert die haben, glaube ich, eher wenige Kriegsenkel, aber vielleicht täusche ich mich da auch.
Die Kapitel
Anfang und Ende – Warum diese Geschichte?
Kriegskinder & Kriegsenkel – Wer ist das überhaupt?
Fremde Eltern & Fremde Kinder – Was ist bloß schiefgelaufen?
Erster Weltkrieg & die Folgen – Wann entstanden die ersten Traumata?
Zweiter Weltkrieg & Nachkrieg – Was macht ein Kind zum Kriegskind?
Überlebensschuld & Lebensfreude – Konnten Kriegskinder glücklich werden?
Täter & Opfer – Was machte das Schweigen der Mittäter mit ihren Kindern?
Die deutsche Mutter & Ihre Kinder – Was richtete die Nazi-Ideologie in den Seelen der Kleinsten an?
Kriegsenkel & Kriegsenkelinnen – Was macht das Erbe der Kriegsenkel mit Frauen und Männern?
Verstehen & Nicht-Verzeihen – Wie entwickeln Kriegsenkel mehr Verständnis für sich?
Mutter- & Vaterseelenallein – Wie können sich Kriegsenkel mit der Vergangenheit versöhnen?
Ende & Anfang – Wie lässt sich Abschied nehmen?
Fazit: keine leichte Lektüre, aber verständlich und gut zu lesen. Besonders empfehlenswert für Kriegsenkel mit Kriegskindereltern
Das Erbe der Kriegsenkel Was das Schweigen der Eltern mit uns macht
256 Seiten, € 19,99, Gütersloher Verlagshaus
Mai 04, 2016 @ 13:27:59
Ich verstehe deine Aversion gegen ein übergestülptes „Wir“ sehr gut. Nach dem Inhaltsverzeichnis zu urteilen, ging es dem Autor gar nicht so sehr um die Bearbeitung der eigenen Lebens-Geschichte, vielmehr scheint sein eigenes Erleben nur der Aufhänger zu sein, um sein Interesse am Thema zu begründen. Dann wäre der Titel berechtigt.
Mai 04, 2016 @ 15:35:18
Ja, das ist halt so die Frage, is ja durchaus auch grade ein Modethema wo man mal so auf den Zug aufspringt. Die eigene Geschichte ist der Faden an welchem sich alles aufreiht, durchbrochen von Allgemeinen, Ratschlägen usw. Ich glaube manchen Büchern würde eine längere Überarbeitung durchaus gut tun…hab oft den Eindruck das es heute so schnell schnell gehen muß und dann einfach was rausgehauen werden soll. Aber so im ganzen ist der Mensch mir sehr sympatisch, und naja is halt sein Buch…ich verstehe was Du meinst. Ich bin mit dem Text zum Buch auch nicht ganz zufrieden muß ich sagen. Diesmal hab ich mich doch geärgert nicht nebenbei Notizen gemacht zu haben. LG
Mai 04, 2016 @ 07:23:18
Also zunächst ist das ein Thema, das ja nicht so häufig und daher sehr interessant ist – hat man auch schon als „transgenerationelles Trauma“ behandelt. Unsere Generation ist ja mit dem Krieg eher als „alter Hut“ aufgewachsen, der staubig in der hinteren Schrankecke liegt und den wir ab und zu hervorholen (müssen). Das Schweigen oder Bagatellisieren ist ja weiterhin Usus. Diesbezüglich kennen wir immer nur Bruchstücke, kleine Anekdoten von Flucht und Vertreibung, von Fahnen und Liedern, die dann plötzlich verboten waren und aus denen wir uns eine Geschichte zusammenreimen.
Inwiefern geht denn der Autor auf die psychischen Besonderheiten für die Enkel ein? Lassen sie das Schweigen zu und wie leben sie damit? Was meinst Du? Danke erst mal für Deine Rezension.
Gruß und schöne Feiertage!
Mai 04, 2016 @ 09:09:59
Für mich ist das Thema schon ein häufiges – es sprießt überall, aber ich beschäftige mich auch seit Jahren beständig damit. Ich weiß jetzt nicht wen Du mit Wir meinst. Es gibt wirklich große Unterschiede je nach Jahrgang, Platz in der Geschwisterfolge, Ost oder West… Der Autor hat sich viel in der Psychologie kundig gemacht, zitiert auch oft Psychologen die sich mit dem Thema befassen, Trauma, Vererbung und den Folgen von Traumata, alte Erziehungsstile, Emotionslosigkeit, Härte usw.Es hat immer viel mit der persönlichen Familie zu tun. Manche schweigen, manche erzählen immer die selben Geschichte… da entwickelt so jeder seine Strategie mit dem leben und dem Erlebten umzugehen. Was meinst Du genau mit den psychischen Besonderheiten? Wie viele, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, geht der Autor auf Entdeckungsreise. Wie haben die Eltern gelebt, wo kommen Sie her, was haben sie erlebt usw. Man muß ja immer seinen eigenen Weg finden… Viele Grüße, Danke
Mai 04, 2016 @ 10:52:11
ein gutes Buch ist auch „Kriegsenkel“ von Sabine Bode – da finden sich viele Geschichten und eine Aufzählung von Symtomatiken…