Schwere. Gewicht. Gewicht haben. Gewichtung.
Ein Leben das Gewicht hat, oder ein Leben welches schwer ist durch die Last…?
Wo bleibt die Hoffnung? Was macht das Leben eigentlich aus? Wo ist die Lebendigkeit und wo der Sinn?
„Schnell, dein Leben“ – ja hier vergehen sie wie im Flug die Jahre eines ganzen Lebens.
Ein Buch wie eine Scherbe, bruchstückhaft, mit scharfen Kanten. Geschichten über Nachkriegskinder.
Eine Erzählung über einen Lebenslauf zwischen Frankreich und Deutschland, über die Sprache und das Schweigen. Über ein wenig Nähe und viel Distanz.
„Du wälzt dich noch lange in deinem Bett. Das Gefühl, nicht wirklich zu existieren, gründet vielleicht darin, dass du keine Geschichte hast, du hängst in der Luft wie eine erdlose Pflanze, du weißt nichts von der Herkunft deiner Mutter, und dein Vater scheint nicht wirklich zu seiner Familie zu gehören…“
Und genauso schreibt Sie auch die Erzählerin, bzw. so erzählt sie… ich weiß nicht ob die Erzählerin auch die Autorin ist – selbst 44 in Frankreich geboren, später nach Deutschland gekommen, wo sie knapp 30Jahre später anfängt auf Deutsch zu schreiben.
Seltsam modern die ganzen Fragen in dieser Nachkriegsgeschichte, Fragen die auch die Kriegsenkel heute haben. Und dann dieses „Du“ – was erst Abstand schafft zwischen Erzählerin und Geschichte oder vielleicht eben auch dieses „in der Luft hängen“ zeigt und am Ende doch beiträgt zu einer Art Identifikation für den/die Lesende(n).. das Du das kann auch Ich sein.
Du bist, Du tust, Du denkst… später noch ein „Er“ und ein Mann.
„Man soll leise, anständig und fromm bleiben, immer das Richtige tun, das Richtige wird von den Eltern vorgegeben..“
Schlußendlich scheint es mir keine Freiheit zu geben in dieser Geschichte.
Das Du, ein Mädchen, aufgewachsen in den 50igern im ländlichen Frankreich, schafft es als junge Frau entfernt von der Familie zu studieren. Sprache, Literatur sind ihre Themen. Aber auch das Miteinander, Freundschaft, Liebe, das Leben als Frau. Sie lernt neue Menschen kennen, neue Musik, andere Arten zu leben. Ein junger Franzose mit schweren Gewichten und ein deutscher Austauschstudent haben es ihr angetan. Es geht viel um die Beziehungen untereinander, um Freundschaft, das freie Leben, die Vergangenheit. Um die verschiedenen Gewichte, die sichtbaren und die unsichtbaren. Und um den Weg ins Leben und die Zukunft.
Später heiratet Sie, noch sehr jung, nach Deutschland. Und lernt dort nach und nach die deutsche Familie ihres Mannes kennen. Das Leben geht seiner Wege. Geschichten werden sichtbarer, Menschen verändern sich, es gibt Nachwuchs, …und doch bleiben die Dinge irgendwie in ihren Rahmen gefügt.
„Äußerungen werden überhört, Traurigkeit ist ungehörig, Klagen sind eine Todsünde..“ das kennen sicher sehr viele von uns. Ich denke ein großer Schritt ist es, das so erstmal wirklich zu erkennen.
Ein schweres Buch – eines mit Gewicht. – zur Unterstützung in kleine Kapitel aufgeteilt
Skizze „..auf das Gesicht der Mutter, das sich schüttelt und abwendet…
ihr, die Mädchen, seid die Zeltheringe, ihr haltet euer Haus fest…“
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Sylvie Schenk
Hanser Verlag, 16,- €
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Was ich leider wieder bemängeln muß ist der Buchrücken und der Klappentext, die den Dingen in der Geschichte eine falsche Gewichtung geben.
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Jan 11, 2017 @ 16:35:32
Für mich ist das Buch so eine Art Gegenstück zu „Ein ganzes Leben“ von Seethaler. Anrührend, knapp. Gut.
Die Autorin konnte ich bei einer sehr beeindruckenden Lesung erleben!
Viele Grüße
Silvia
Dez 20, 2016 @ 18:07:57
Eine schöne Besprechung! Mich hat das Buch auch sehr angerührt …
Ist die Zeichnung von dir? Ich erinnere mich gut an diese Szene …
Viele Grüße!
Dez 20, 2016 @ 19:00:19
Danke dir, ja ich wollte nachher bei Dir auch nochmal nachlesen was du geschrieben hattest…
Es hat manches mal so richtig rein getroffen – fast schon irritierend im Hinblick auf die Thematik Kriegsenkel/Nachkriegskinder, ich denke es liegt an der Reflektion der Autorin. Da spürt man das auseinandersetzen. jip die Skizze ist von mir 😉 sie wird noch bunt, lieben Gruß