Am Strand – Der Film

Endlich mal wieder ins Kino, darauf hab ich mich gefreut. Ich habe Kinokarten gewonnen, für die Buchverfilmung eines meiner Lieblingsautoren. Ja, manchmal mache ich auch Ausnahmen und lese zwischendurch wieder etwas von Männern. Wobei es viele Jahre her ist, als ich „Am Strand“ das erste mal las – noch vor meiner Konzentration auf Bücher von Frauen.

„Am Strand“, „On Cesil Beach“ der Originaltitel, eine Literaturverfilmung nach dem Buch von Ian McEwan. Auch wenn die Begebenheiten vor allem in den 60igern spielen, ist diese Geschichte immer noch eine Geschichte für unsere Zeiten. Ein Lehrstück dafür,  was passieren kann, wenn Erwartungen meilenweit auseinanderdriften, nicht genug geredet wird und die Konventionen wichtige Momente den Bach runter gehen lassen und Ozeane von Entfernungen entstehen.
Zwei junge Menschen, Florence Ponting (Saoirse Ronan) und Edward Mayhew (Billy Howle), begegnen sich, kommen sich näher und verlieben sich. Es wird geheiratet. Wir treffen die beiden in ihrer Hochzeitsnacht in einem Hotel am „Cesil Beach“ (ist erfunden, ebenso das Hotel).

 

Die Verfilmung hält sich eng an das Buch, aber es gibt einige entscheidende Unterschiede. Eine, vielleicht eher subjektive, Florence erscheint mir im Film viel selbstbewußter als im Buch. Vieles was im Buch aus dem Off kommt, wird hier von den beiden Protagonisten nun doch ausgesprochen. Holt viel nach vorn, was eigentlich im Original jeder für sich behält. Ich denke, man hätte es durchaus noch etwas subtiler gestalten können. Aber das ist wohl sicher immer wieder die Frage bei einer Buchverfilmung: Wie stellt man Gedanken dar oder einen Erzähler/eine Erzählerin?

Zwei junge Menschen

Edward wächst in einer etwas wilden Familienkonstellation auf, die aber unheimlich viel Sympathie ausstrahlt. Die Mutter verunglückte als Edward ein Kind war und ist seitdem sehr durcheinander. „Gehirngeschädigt“ ist der Begriff, den sein Vater gebraucht und der Edward so einiges klar macht. So wachsen er und seine Zwillingsschwestern in einem sehr chaotischem, aber ganz bezaubernden kleinem Haus auf. Es ist ihre Normalität. Der Vater, ein Grundschuldirektor, liebt seine Familie, aber schafft es kaum für Ordnung zu sorgen. Einige der schönsten Szenen spielen sich in genau diesem Haus ab; als Florence zu Besuch kommt. Sie nimmt Kontakt zu Edwards Mutter auf – hier sehen wir z.B. so gar keine Berührungsängste – hilft beim aufräumen und kocht sogar. Die ganze Familie verliebt sich sofort in sie. Edward ist zutiefst gerührt. Ein Film in welchem auch Männer Tränen fließen lassen, zumindest Edward.

Florence´s eigene Familie ist eher kühl, eine andere Klasse, Geld ist da. Sie studiert Geige und möchte auf die Bühne. Der Vater ist sozusagen Industrieller, und als wir ihm begegnen fällt auf, wie er Florence begrüßt. Die Mutter nennt das gekonnte Geigenspiel der Tochter Gefidel. Das beeindruckt Florence zum Glück wenig. Sie gründet ein Quartett und hat große Pläne.
Übrigens wunderschöne klassische Musik im Film. Ich habe einige Stücke ganz unten für euch notiert.

Als die Hochzeit näher rückt, beginnt Florence sich mit dem Thema Sex näher zu befassen und verspürt ein großes Gruseln bis hin zum Ekel. Ihrer jüngeren Schwester kann sie sich anvertrauen, aber sonst hat sie niemanden mit dem sie drüber sprechen kann. So normal auch die Nähe und der Körperkontakt zwischen den beiden zu sein scheint, alles was über Händchenhalten, Umarmen und Küssen hinaus geht, findet Florence wenig verlockend. Edward dagegen ist ganz verliebt in ihre Schönheit, aber auch rücksichtsvoll und bemerkt nichts davon.

Die Hochzeitsnacht

Der Film beginnt am Abend der Hochzeit im Hotelzimmer des frisch getrauten Paares – hier sind wir dem Buch ganz nah. Ein Essen auf dem Zimmer, unter der Beobachtung der Kellner. Zwischen Erwartungsdruck, Aufregung, Konventionen und der daraus folgenden „Steifheit“ der Situation, wird uns aber auch viel Liebe gezeigt und das Bemühen der beiden, das anzugehen, was sie denkt, was nun erwartet wird und das, was er sich schon so lange wünscht. Das wonach er sich sehnt und das, was sie so gerne auslassen würde.
Die Situation im Film wird immer wieder unterbrochen mit Bildern aus der Zeit vorher. Wunderschön fand ich die Kameraführung, die immer respektvoll dort Abstand hält, wo es nötig ist, nichts ans Licht zerrt, nichts ins Blickfeld rückt, was nicht nötig ist und mit großer Sorgfalt agiert. Ich war gespannt, wie gewisse Szenen im Film gezeigt werden. Da, wo es viel um Stimmungen, Gefühle und Ängste geht, die zwischen „Nähe“, „Küssen“ und „Luftholen“ stattfinden. Da wo man im Buch verfolgen kann, wie Edward das Ängstliche und Nervöse seiner Frau als Lust deutet. Und Florence nach vorne flüchtet, um irgendwie doch zu entkommen.
Schon das Ausziehen wird fast zu einer Belustigung. Wenn man da nicht diese große Unsicherheit und Besorgnis hindurch spüren würde. Beide furchtbar nervös. Florence versucht ihr bestes, wir sehen aber auch ihre angespannten Hände. Und dann passiert ein Missgeschick. Die Situation kippt vollends. Kurz sehen wir Florence – und Andeutungen. Ein Flashback? Also eine traumatische kurze Erinnerung.
Die Darstellung ist durchaus gelungen. Die kleinen Momente werden wunderbar ausgelotet und genau richtig beleuchtet.

Florence scheint so sehr auf sich bezogen, dass es ihr wohl nicht möglich ist, die andere Seite wirklich zu sehen. Aber vielleicht weiß sie auch einfach nicht wie. Ich hatte die Geschichte ganz anders in Erinnerung und bin nun selbst ganz überrascht davon, was ich behalten habe und was nicht. Es ist eben nicht nur ein stürmischer junger Mann, der keine Rücksicht nimmt, aber wohl einer der hilflos ist und nicht weiß, was er tun soll. Dessen Stolz so sehr verletzt wird, und der wohl den Eindruck gewinnt, unter Prämissen geheiratet zu haben, die vorher nicht klar waren. Florence dagegen hat sich schon etwas zurecht gelegt und überlegt, wie Sie ihrem Mann entgegen kommen kann, und anscheinend ist das ihre einzige Lösung. Vielleicht braucht sie körperliche Lust nicht, weil sie alles in der Musik findet. Oder das, was im Film kurz angedeutet wird, steht ihr im Weg.

Kino

Die große Leinwand im Kino und das Soundsystem in solchen Sälen machen sehr viel aus, und ziehen einen zusätzlich richtig in den Film hinein. Aber auch die Kamera, die einerseits weite Landschaften zeigt, Füße und Beine beim Gehen verfolgt oder Details ins Visier nimmt, die sehr ausschlaggebend sind, ist ganz fabelhaft.

Ich hatte heute den Kinosaal ganz  für mich. Da haben einige Menschen etwas verpasst. Aber diese Geschichte ist eben nicht einfach, nicht laut, nicht actiongeladen und schrill, aber tiefgehend, ziemlich herzzerreißend und voller wunderschöner Bilder.

Florence und Edward beim Picknick, auf dem Crocketfeld, beim Spazieren, Edwards Elternhaus, die Landschaft, das Meer, der Strand. Die Farben. Sehr schöne Kostüme. Die oft die Differenz zwischen den beiden jungen Leuten auf vorsichtige Weise unterstreicht – sie, die gepflegte konservative Frau der klassischen Musik. Er, der etwas wilde Naturbursche, mit einem Hang zum Rock´n Roll.

Das Schauspiel und die Geschichte

Saoirse Ronan, die die Florence Ponting spielt, hatte ich erst kürzlich nochmal in „Abbitte“ gesehen, da war sie noch ein Kind. In beiden Filmen spielt sie die weibliche Hauptrolle, und das exzellent. In beiden Filmen hat die Figur jeweils etwas in dem sie ganz aufgeht. In Abbitte sind es die selbst erfundenen Geschichten und die überbordende Phantasie und hier in „Am Strand“ ist es die klassische Musik und das Geigenspiel. „Am Strand“ ist eine ganz typische Ian McEwan Geschichte, die kleinen Begebenheiten, Unausgesprochenes, zuviel Gedachtes, was sich zu großen Dramen auswächst und allerschmerzlichst endet, die Leben der Beteiligten zutiefst prägen. Es gibt keine guten Enden. Ich mag das, auch wenn es sehr traurig ist. Aber es ist einfach so nah dran am echten Leben, wo es eben selten dieses „Friede Freude Eierkuchen Happyend“ gibt, wie in so vielen anderen Filmen. Ich glaube das ist auch das, was so betört; vor allem, wenn man selbst diese tragischen und schmerzhaften Seiten des Lebens kennt, lässt sich hier viel Resonanz spüren.

Was mich am Kino ein wenig stört ist, dass ich dort nicht so ungehemmt weinen kann, wie Zuhause. Ihr braucht auf jedenfall Taschentücher.

Einige der klassischen Stücke

J.S. Bach: Partita for Violin Solo No. 3 in E Major, BWV 1006-1. Preludio
Beethoven: String Quartet in B Flat Major, Op. 130-6. Finale (Allegro)
Haydn: String Quartet in G Major, Hob. III:81 (Op.77 No.1) – 1. Allegro moderato
Schubert: String Quartet No. 14 in D Minor, D. 810″ Death and the Maiden – 1. Allegro
J.S. Bach: Suite for Cello Solo No. 1 in G Major, BWV 1007-1. Prélude
Schubert: String Quartet No. 14 in D Minor, D. 810″ Death and the Maiden – 2. Andante con moto
Mozart: String Quintet in D Major, K.593-1. Larghetto – Allegro
Rachmaninov: Symphonic Dances, Op. 45-1. Non allegro

Achtung Spoiler zum Ende des Films:
Noch im gegenseitigen Verlassen gestehen sich die beiden doch ihre Liebe. Edward aber zu wütend und zu geschockt, vermutlich über den Vorschlag seiner Frau, bleibt am Strand zurück, während Florence alleine ins Hotel geht und ihre Sachen packt. Sie sehen sich nicht wieder. Die Ehe wird schriftlich anuliert – der Briefverkehr findet nur zwischen den Eltern statt. Man bleibt als Zuschauer irgendwie fassungslos zurück und fragt sich, wie das so laufen konnte. Für mich war es immer der Punkt, wo Edward ihr nicht nachläuft; jetzt ist es für mich aber auch der Punkt, wo Florence einfach geht.
Vor allem wenn man zum Ende hin erfährt, das Florence dann ihren ewig um sie werbenden Musikerkollegen geheiratet hat und mit ihm drei Kinder bekam. Edward bleibt alleine und überwindet diese Nacht nie.

Als ich Florence in ihrem türkisen Kleid so steif auf dem Bett liegen sah, bereit die Dinge über sich ergehen zu lassen, habe ich mich auch gefragt, wieviele Frauen das heute immer noch tun. Als junge sexuell unerfahrene Frauen, aber auch später…

In Erinnerung hatte ich, dass Edward derjenige war, der das ganze „verdorben“ hat und zu stolz war hinter seiner Frau her zulaufen. Sicher ist daran auch etwas wahr. Aber Florence hat eben auch ihren Anteil. Es wird nicht ganz klar. Aber wann ist es das schon. Wir wissen nur, etwas Schönes fand ein überaus schmerzliches Ende.

Ich habe noch eine Kinokarte zu verschenken, schreib mir wenn du sie haben möchtest.

***
Buch:
Ian Mc Ewan
„Am Strand“
Taschenbuch
208 Seiten / 2008
Diogenes Verlag
10,00 €

Film:
Am Strand bzw. On Cesil Beach
von Dominic Cooke , 2018

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