Die Wut die bleibt

Meine exellente Badewannenlektüre
der letzten Wochen.

Dieses Buch hat tatsächlich etwas Magisches, obwohl es im Grunde genommen um das ganz profane alltägliche Leben von Frauen geht. Es beginnt mit einem Tod, dem Tod einer Frau und Mutter. „Mal wieder“ dachte ich, muss eine Frau sterben für eine Geschichte. Vielleicht ist es euch selbst schon mal aufgefallen, wie sehr die toten Frauen und Mädchen verbreitet sind, ob im Buch oder in Serien und Filmen. Man muss nur mal in die Mediathek schauen.

Der Unterschied hier im Buch ist der, daß die Tote immer wieder auftaucht und sich mit ihrer besten Freundin unterhält bzw. ihre beste Freundin sich mit ihr. Ihre Erscheinung begleitet sie durch das erste Jahr dieses großen schrecklichen Verlustes.

Es geht um Mütter, Mutterschaft, Nichtmutterschaft, das Tochtersein, um Frauenfreundschaft und die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft. Das magische sind die unterschiedlichen Perspektiven des weiblichen Lebens. Ich habe mich in so Vielem wiedererkannt, das war schon erstaunlich. Die weiblichen Figuren und ihr Erleben sind in so vielen Facetten dargestellt, daß sich sicher jede Leserin irgendwo wieder findet. Es gibt die Rolle der Tochter, die der Mutter und die der Kinderlosen Frau und ganz wichtig die beste Freundin.

Die Tote lässt 3 Kinder zurück und ihren Mann und ihre beste Freundin. Die beste Freundin und die älteste Tochter sind die Hauptfiguren in diesem Buch. Sie berichten von sich, wir lauschen ihren Gedanken und sie erzählen auch vom Leben mit ihrer Mutter und Freundin, und davon wie es ist so einen großen Verlust zu erfahren. Alle müssen sich neu verorten, sich selbst neu finden in der neuen Ordnung, mit dieser großen Leerstelle.

Es war eine Freundschaft, wie sie nicht allzu oft vorkommt. Sie war lang und sehr eng. Die beiden Frauen kannten sich schon als junge Mädchen. Der Verlust ist für alle dramatisch, doch für die Tochter und die Freundin am schlimmsten. Sie kannten Helene am besten, standen ihr am nächsten. Der Mann glänzt in der ganzen Story vor allem durch seine Abwesenheit. Die 2 kleineren Kinder können kaum verstehen, was passiert ist. Carearbeit und Caregap realistisch geschildert, mittendrin im großen 24/7 Job mit Kind und Kegel finden wir uns wieder.


Frauen wie wir und wie wir sie kennen. Frauen mit Träumen und Ideen, die dann aber doch in alten Mustern landen und sich anpassen, ergeben und versuchen da durch zu kommen. Die sich auch fragen wie das eigentlich passieren konnte und wann es vorbei war mit ihren Idealen.

Es ist schön, die zwei sehr unterschiedlichen Figuren der Freundin und Tochter durch das Buch zu begleiten. Sarah ist Schriftstellerin und schreibt gefällige Bücher, mit denen sie Erfolg hat, führt ein gutes eigenständiges Leben und beneidete ihre Freundin trotzdem immer um ihre Familie. Sie hatte die Hoffnung, dass sie und Helene ihre Tochter Lola vielleicht zusammen aufziehen würden. Aber dann kam ein neuer Mann in Helenes Leben. Helene, deren Name „die Leuchtende“ bedeutet.

Eine Geschichte, wie sie tausendfach passiert. Und die sehr viel über die Emanzipation erzählt. Nämlich das, daß die alten Muster weiblicher Unterwerfung noch unglaublich lebendig sind. Das Frauen immer wieder mit Männern eine Familie bilden und sich dann doch um alles alleine kümmern, anstatt sich mit Freundinnen zusammenzutun und sich die Familienarbeit zu teilen. Und so ging es auch Helene. Helene die am Ende mit ihren 3 Kindern Hausfrau war und sich durch jeden Tag kämpfte anstatt ihren Träumen zu folgen, bis sie nicht mehr konnte.

Sarah übernimmt nach dem Tod der Freundin und kümmert sich.

Lola ist die älteste Tochter und in dem Alter, in welchem man alles hinterfragt, was einem die Erwachsenen so servieren. Für sie war das Leben in der Patchworkfamilie nicht immer einfach. Sie kontrolliert ihr Essen und achtet extrem auf ihr Gewicht, so als wöllte sie keinen Platz einnehmen oder wegnehmen, unscheinbar bleiben. Und auch sie hat eine allerbeste Freundin.

Freundschaft ist ein ganz großes Thema dieser Geschichte. Und die Freundinnen haben die Nähe, die in einer Standardfamilienkonstellation nicht zu finden ist, dort zwischen den Frauen und Mädchen findet sich die Geborgenheit und der Funken Verrücktheit, den man für ein gutes Leben braucht.

Lolas Leben verändert sich nach dem Tod der Mutter sehr. Sie und ihre beste Freundin lernen eine Clique Mädchen kennen und beginnen zusammen einen Verteidigungs- und Boxkurs, der ab nun eine wichtige Rolle spielt. Lola ist ne ziemlich coole Socke, und feinfühlig und klug. Im Grund ist sie Feministin, auch wenn man am Anfang denkt, daß es eher um Wokeness geht, und dazu leider auch am Ende noch ein kleiner Wink kommt, den man sich hätte ersparen können. Das ist der einzige kleine Wermutstropfen in diesem Buch, über den ich aber hinwegsehen kann, bei all der Frauenpower und Frauenliebe und Warmherzigkeit.

Lola und ihre Freundinnen sind feministischer als ihre Mutter und Sarah, die beide keine so guten Vorbilder sind.
Die ganze Geschichte ist eine Feministische. Es geht darum, den eigenen Weg zu finden, sich zu befreien, sich nicht ausnutzen zu lassen, laut zu werden, Tacheles zu reden und Stellung zu beziehen. Das artet in der Mädchenclique heftig aus. Es wird brutal und gewalttätig auf dem Weg der Selbstermächtigung und Rache und große Veränderungen halten Einzug.

Für mich am strahlendsten waren die Zwiegespräche zwischen Sarah und ihrer toten Freundin Helene. Die Reflexionen und Rückblicke die die Weichen nun neu stellen. Alles großartig erzählt von Mareike Fallwickl

Für mich am strahlendsten waren die Zwiegespräche zwischen Sarah und ihrer toten Freundin Helene. Die Reflexionen und Rückblicke von Sarah und Lola, die die Weichen nun neu stellen. Alles absolut großartig erzählt von Mareike Fallwickl. Eine unbedingte Empfehlung von mir. Mir sind X Frauen eingefallen denen ich am liebsten das Buch schenken würde.


#LiteraturvonFrauen

Mareike Fallwickl
Die Wut die bleibt
Rowohlt Verlag

Der Verlag sagt zur Autorin folgendes

Mareike Fallwickl, 1983 in Hallein bei Salzburg geboren, arbeitet als freie Autorin und lebt mit ihrer Familie im Salzburger Land. 2018 erschien ihr literarisches Debüt „Dunkelgrün fast schwarz“ in der Frankfurter Verlagsanstalt, das für den Österreichischen Buchpreis sowie für das Lieblingsbuch der Unabhängigen nominiert wurde. 2019 folgte der Roman „Das Licht ist hier viel heller“, dessen Filmrechte optioniert wurden. Sie setzt sich auf diversen Bühnen sowie Social-Media-Kanälen für Literaturvermittlung ein, mit Fokus auf weiblichen Erzählstimmen.

Für mich war es das erste Fallwickl Buch, ich denke weitere werden folgen.


2 Kommentare (+deinen hinzufügen?)

  1. davidwonschewski
    Feb 28, 2023 @ 18:59:16

    Vielen Dank, tolle Rezension. Was ich mittlerweile schade finde ist, dass ich weiß, dass je begeisterter eine Frau von Fallwickl redet, ich es umso weniger lesen werde. An sich muss das nichtmal schade sein, es gibt Zielgruppen und sehr offensichtlich gehöre ich nicht dazu. Ich habe aber bei vorherigen Büchern mal einige Kapitel gelesen und fand es arg storkowski-haft. Will heißen: Polarisieren wo es nur geht, denn Polarisierung bezahlt die Miete besser als echtes Aufeinananderzugehen. Deiner Besprechung nach ist das neue Buch auch wieder so, einseitig. Schwarz Weiß, Opfer Täter, alles hübsch in Schubladen, derweil man immer so tut, als sei man gegen Schubladen. Das funktioniert gewiss ab und an aus subjektiver Sicht kathartisch – wir alle tragen Dreck in uns und der muss raus – verpufft aber eben leider gesamtheitlich. Das finde ich schade. Auf mich kann Frau Fallwickl als Leser gewiss verzichten, aber auf Männer an sich, hm, schwierig. Kommerziell kann sie es vermutlich mittlerweile, aber die Authentizität ist nunmehr weg, aufgezehrt. Ich persönlich, wie sagt, ich finde es schade, umfahre ihre Romane großräumig. Denn als Mann funktioniert Katharsis natürlich weniger. Wenn es aber Männer nicht lesen, tut sich: nix. Kunst zur Beibehaltung des aktuellen Zustands ergo.
    Liebe Grüße, David

    Antworten

    • madameflamusse
      Mär 09, 2023 @ 15:47:56

      Hey Danke für deine Zeilen. Es war mein erstes Fallwicklbuch, und ja ich denke es ist ein Buch für Frauen, denn hier sammelt sich soviel Erleben und soviele Perspektiven des Frauseins, das ich auch ehrlich gesagt bezweifle ob das viele Männer interessiert. Und die 2 Männerrollen sind so, wie es viele von uns erleben, die meiste Zeit abwesend. Eben der Vater der die Brötchen verdient, sich aber sonst für nix zuständig fühlt. Und der Freund der eben nicht mit helfen kommt sondern weiter seinem eigenem Leben folgt. Es geht um die Räume wo wir Frauen sind, um Frauenfreundschaften ganz explizit und den Bereich der Carearbeit, in eben jener recht typischen Konstellation, wenn die Mutter Hausfrau ist und ihre Träume vom eigenen Leben flöten gehen, weil sie sich um Haus und Kinder kümmert. Wenn Männer sich wirklich für das interessieren was Frauen erleben, fühlen, denken, kann ich ihnen das Buch sehr ans Herz legen. Ich würde das nicht als Polarisierung oder Schwarz/Weiß Denken bezeichnen, sondern als Fokus auf diese weiblichen Räume und das weibliche Leben.
      Es gibt endlose Romane und Geschichten von Männern, wo es nur um Männer und ihre Befindlichkeiten geht und ich persönlich bin froh wenn ich mal von Frauenbefindlichkeiten lesen kann, und das in so einer Vielfalt.
      Wir brauchen diese Stimmen und wenn es nur zum Ausgleich der Waage ist, in einem Litertaurbetrieb, wo auf der Seite der Männer sehr sehr viel Gewicht liegt.
      Und auch wenn es die Frauenstimmen sind um die es hier geht bin ich sicher das sich auch Männer hier und da wiederfinden können.
      Und es sei gesagt auch Frauen und Mädchen werden hier zu Täterinnen und Männer zu Opfern. Also ist nicht so mit den Schubladen wie du das dir denkst.
      Beste Grüße, Karolin

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