Textprojekt 2022 – Mein Körper und ich

Einige Texte sind zusammen gekommen und es werden noch mehr

Weibliche Realitäten – ein Erzählraum der noch viel mehr Stimmen braucht, Erfahrungen die geteilt werden, Erleben welches weitergegeben wird und Ausdruck findet. In den nächsten Wochen werde ich noch einige eingetroffene Texte veröffentlichen. Es ist aber auch noch Raum für mehr. Es gibt noch so so viele Themen. Vielleicht fühlst du dich inspiriert, dann melde dich gern und sei dabei.
Hier findest du die bisherigen ganz wunderbaren Texte:

Körpermeer
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/21/textprojekt-korper-korpermeer/

Sara
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/23/textprojekt-korper-sara/

Öffentliches Eigentum
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/26/textprojekt-korper-offentliches-eigentum/

Bikinifigur
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/29/textprojekt-korper-bikinifigur/

Haarig
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/02/textprojekt-korper-haarig/

In den Körper wachsen
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/10/textprojekt-korper-korpergeschichte/

Meine Hülle
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/19/textprojekt-korper-meine-hulle/

Lieber Körper
https://reingelesen.wordpress.com/2022/08/28/textprojekt-korper-lieber-korper/


Vielen Dank an die bisherigen Autorinnen!
Kontakt: madameflamusse@googlemail.com

Textprojekt Körper: Lieber Körper

Lieber Körper,
ich habe viel über dich nachgedacht und über uns. Es heißt, in einer guten Beziehung, nimmt man den anderen wahr, wie er ist. Mit offenem Herzen und wohlwollendem Blick. Wir hatten keine gute Beziehung.
Wir haben beide gelitten, ich unter allem, du unter mir und irgendwann dann auch ich unter dir.
Ich hab deine Lebendigkeit erdrückt, dir keinen Raum gegeben.
Dies wird keine Entschuldigung, Schuld gab’s genug. Aber ich übernehme die Verantwortung, für das, was ich dir angetan habe. Vielleicht ist dieser Brief eher ein (Ein)Geständnis.

Ich konnte nicht zuhören. Du solltest für mich funktionieren, ich wollte dich manipuliert. Ich habe nicht dich gesehen, sondern wie du sein solltest. Dich an einem Ideal gemessen, von dem ich inzwischen bezweifle, dass es mein eigenes war. Ich habe es nie lang genug hinterfragt. Ich war stolz, wie gut es mir gelang dich zu formen, zu beherrschen, dich über deine Grenzen zu treiben. Absolute Überlegenheit. Schön war das nicht. Verzeih.
Ich kannte, konnte es nicht besser.
Ich war und bin ein Kontrollfreak.
Ich war unsicher, kannte keine Gnade und kaum Toleranz.
Ich hatte mehr Angst um mein Ego, als Sorge um dich.
Schon wieder, ich, ich, ich, ich.
Ich in einem Gewitter aus Selbstanklage. Selbsthass blitzt durch die Schwüle, löst die Spannung.
Ich suche Schutz unter Selbstverleugnung, bis Selbstmitleid zu strömen beginnt.
Mein Selbstwert wird von Zweifeln erschüttert, wie ein junges Pflänzchen vom Sturm. Du solltest seine Festung sein, sein Prunkpalast, keine Angriffsfläche bieten. Richtig, war wichtiger als wir.
Ich fürchte, ich haben viel zu viel in die Fassade investiert, uns verschuldet, bis wir bankrott gingen. Du hast alles gegeben, gereicht hast es nie. Gründe finden sich viele.
Worte sind schnell.
Ich versteck mich dahinter. Wechsel auf die Überholspur, suche eine Abkürzung. Ich will nicht auf deinen Füßen gehen.
Lieber träum ich vom Fliegen, oder erfinde das Beamen.
Wir stoßen an die Grenzen der Natur und taumeln zu Boden.
Jetzt sitzen wir hier mit der Einsicht und starren auf die Scham.
Hinter der Scham liegt ein Trauersee. Reue wabert darüber, wie ein Nebel aus vielen Jahren, Schmerzen, Leiden. Dein Leiden, mein Leiden, unser Leiden.
Du warst mir treu, egal wie sehr ich dich gequält hab. Ich hab es strapaziert, bis mir dämmerte, dass auch du irgendwann aufgibst. Mich aufgibst, des Kämpfens müde, resignierst. Wir haben beide gekämpft und beide immer mehr verloren.
Dieser Kampf ist jetzt vorbei.
Ich kapituliere. Ergebe mich dir. Lass alles los, was war.

Hier mein Friedensangebot.

Ich will deine Forderungen akzeptieren. Deine Grenzen achten. Deiner Weisung folgen. Dir vertrauen, mich leiten lassen.
Mich beugen in Demut. Ich will unter deiner Fahne kämpfen.
Die Narben tragen wir gemeinsam.
Ich brauche dich, mehr als mir lieb ist.
Du brauchst, mehr als mir lieb ist.
Und du brauchst meine Fürsorge.
Wir müssen uns arrangieren.

Vielleicht kannst du mir irgendwann vergeben. Ich kann es nicht erwarten.
Ich bitte um ein Bündnis, ein Bund fürs Leben, denn keiner kann leben, ohne dass der Andere lebt. Treue in guten und in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis im Tod wir scheiden. Partner?

Sei gewarnt – ich werde in alte Muster fallen. Was andere sagen, wird wichtiger sein als du, wir. Ich werde vor Ego, Tun und Scheinen unser Sein vergessen. Ich werde dich vergessen. Deine Wünsche und Bedürfnisse invalidieren, dir Vorschriften und sinnfreie Verbote machen. Verzeihen. Aber ich will lernen, dich zu lieben, denn ich kann nicht ohne dich leben.
Dieser Brief ist ein Klischee. Aber wahr. Ich will dich zurückerobern. Ich will dich wieder spüren. Deine Haut unter meinen Händen. Mit dir tanzen, lachen, weinen. Für dich kochen und sorgen, wenn du krank bist. Deine Grenzen respektieren. Ich verspreche schon wieder. Lieber Körper, diesmal will ich dich nicht zwingen. Ich bitte dich daher, mir Stück für Stück, Tag für Tag dein Vertrauen zu schenken. Denn wenn mein Kopf schweigt, schlägt mein Herz nur für dich.

©Anonyma


Anonyma: Lesen und Schreiben habe ich in meiner Kindheit geliebt – den Zugang dazu die letzten Jahre vor lauter Alltag und Studium immer wieder verloren. Keine Zeit, keine Ruhe. Auch nicht, um aufmerksam in meinen Körper zu spüren. Achtsames Schreiben ist mein Weg zurückzukehren, kostet Überwindung, riskiert Gefühle und ist sehr heilsam.


Dieses Kapitel feministischen Schreibens über den Körper geht nun, wie angekündigt, so langsam zu Ende, Nachzüglerinnen sind aber herzlich willkommen. Manchmal braucht ein Text einfach länger. Vielleicht wird es dieses Jahr noch einen weiteren Aufruf geben, sonst dann nächstes Jahr. Und irgendwann dann ein kleines Ebook mit allen Geschichten. Meld dich einfach bei Interesse: madameflamusse@googlemail.com


Zu den anderen Texten

Körpermeer
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/21/textprojekt-korper-korpermeer/

Sara
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/23/textprojekt-korper-sara/

Öffentliches Eigentum
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/26/textprojekt-korper-offentliches-eigentum/

Bikinifigur
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/29/textprojekt-korper-bikinifigur/

Haarig
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/02/textprojekt-korper-haarig/

In den Körper wachsen
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Meine Hülle
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/19/textprojekt-korper-meine-hulle/

Textprojekt Körper: Meine Hülle

Es müssen nicht einmal so unerhörte Dinge sein, wie „nimm Dir doch bitte nen Strick“. Es reicht schon, wenn mir gesagt wird „Dein Popo hängt.“, „Du hast aber viele Haare an den Beinen.“, „Du hast Waden wie ein Elefant.“, „Du gehst aber komisch.“, „Deine Haare sind zu kurz.“, „Schön bist Du ja nicht…“

Mag ja sein. Muss ich mich deswegen falsch fühlen? Nein.

Tu ich‘s trotzdem? Ja. Zumal mir vieles schon als Kind gesagt wurde.

Hat ne Menge Arbeit gekostet und tut es hin und wieder immernoch. Mittlerweile zieh ich wieder kurze Hosen an. Ich hatte kurze Haare, egal was die anderen denken. Wobei auch die nie so richtig egal waren. Traurig machte es mich hin und wieder trotzdem, wenn mir als erstes gesagt wird „oh mein gott, Deine Haare…“, anstatt „Wie gehts Dir?“

Ja, mag ja sein, dass es krass aussah und einen zunächst an Krankheit oder sowas denken lässt. Aber bitte, das ist etwas Erlerntes, kein eisernes Gesetz. Kurze Haare zu haben ist toll!

Es braucht sooooo viel Positives um solche „mal“ gehörten Sätze wieder auszugleichen. Es ist soooo schwierig, zu lernen, dass man ok ist.

Selbst wenn nahestehende Menschen einem nette Dinge sagen, bleibt ein: Ja, ist ja schön, dass Du das so siehst, aber all die andern finden mich hässlich.

Deswegen kann man es gar nicht oft genug sagen. Ich bin mehr als meine Hülle. Und meine Hülle ist klasse. So.

© Miri Glowinski


Miri hat nicht nur tolle Frisuren und viel Humor sondern auch noch einen riesigen Hund mit Langhaarmähne.
https://glowinsky.jimdo.com/office
Ich kenn diese Sprüche auch, ich hab eine zeitlang nur ein paar Milimeter kurze Haare gehabt. Mein Opa fand es cool. Und ich hab gern drübergestreichelt, über den Igelschnitt.
Wer was kritisieren will findet immer was. Aber wie wäre es denn einfach mal mit einem Kompliment?


Magst auch du eine Geschichte/ein Thema beisteuern? Ich fände es toll. Noch bis Ende August kannst du etwas einreichen. Im Hintergrund entstehen noch einige Texte. Ich freu mich schon drauf.
Schreib einfach an madameflamusse@googlemail.com, gern können wir auch über deinen Text und dein Thema sprechen wenn du magst.


Zu den anderen Texten

Körpermeer
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/21/textprojekt-korper-korpermeer/

Sara
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/23/textprojekt-korper-sara/

Öffentliches Eigentum
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/26/textprojekt-korper-offentliches-eigentum/

Bikinifigur
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/29/textprojekt-korper-bikinifigur/

Haarig
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/02/textprojekt-korper-haarig/

In den Körper wachsen
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/10/textprojekt-korper-korpergeschichte/

Lieber Körper
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Textprojekt Körper: In den Körper wachsen

Wenn ich zu meiner Körpergeschichte befragt werde, fallen mir verschiedene Schwerpunkte ein, die mich in meinem Leben besonders beschäftigt haben:

Meine Größe

Meine Hüftdysplasie

Meine frühere Schönheit

Ich könnte sie als einzelne Geschichten erzählen, aber irgendwo gehören sie auch zusammen, denn was sie als Klammer zusammenfasst ist, dass sie immer eine gewisse Distanz zu anderen erzeugt haben und dass es lange dauerte bis ich in meinen Körper hineingewachsen war.

Ich fange mit meiner früheren Schönheit an, denn das ist ja ein Punkt, den eine Frau eigentlich nicht sagen darf: Ich war ein schönes Mädchen. Allerdings hat mir das selbst überhaupt nicht gefallen, denn ich hatte das Gefühl, dass ich meiner mir von außen erklärten Schönheit nicht entsprechen konnte. Innerlich fühlte ich mich ungenügend, dunkel, zweiflerisch, depressiv. Es war, als hätte ich diesen Körper nicht verdient und könnte ihm nicht gerecht werden. Was nach außen wirkte, entsprach überhaupt nicht meiner Innenwelt. Ich selbst hatte kein Empfinden für meine Schönheit. Ich wunderte mich, wenn ich merkte, wie Menschen mich sahen. Ich kam mir vor wie eine Betrügerin. Tatsächlich wäre ich gern unscheinbarer und hässlicher gewesen – so, wie ich mich innerlich empfand.

Meine Größe war in dieses Empfinden verschränkt. Ich war und bin auch heute noch außergewöhnlich groß für ein Mädchen und eine Frau. Groß zu sein bedeutet als Mädchen: Du kannst Dich nicht verstecken. Du fällst sofort auf. Du musst Dich ständig erklären: „Du bist aber groß!“ „Wie groß bist Du genau?“ „Du spielst doch bestimmt Basketball!“ „Wie ist die Luft da oben?“ Jungen sind eigentlich immer kleiner als Du. Andere große Mädchen sagen: „Endlich ist eine größer als ich“. Ich war meist die Größte.

Jungen gehen mit großen Mädchen anders um, als mit kleinen: Es gibt keine Hilfe, es wird weniger geflirtet und es wird auch nicht so ausgelassen herum gespaßt. Mich hat nie ein Junge ins Schwimmbecken geworfen. Heute fände ich das sowieso blöd, aber damals hätte ich mir das gewünscht. Allerdings wurde ich weniger belästigt.

Da ich ein schüchternes Mädchen war, war es mir sehr unangenehm durch meine Größe aufzufallen. Wie oft hätte ich mich gern in der Masse der Menschen verstecken wollen… Aber das war nicht möglich. Ich war sofort sichtbar und wurde gesehen. Ich konnte nichts unbemerkt tun. Zu allem Überfluss war ich auch noch tollpatschig, was einfach an den Ausmaßen meines Körpers lag. Mein Kopf kam da nicht nach.

Als ich älter wurde, lernte ich, meine Größe ganz langsam auszufüllen. Ich kann mich gut erinnern, wie meine Professorin im Studium zu mir sagte: „Du hast eine unglaubliche Wirkung, wenn Du in einen Raum kommst. Du bist sofort präsent. Du kannst das nutzen.“ Allein: Auch in dieser Zeit war ich noch sehr schüchtern und es war mir unangenehm aufzufallen.

Neben den seelischen Aspekten, war die Größe aus lebenspraktischer Sicht eine Herausforderung. Es gab kaum passende Kleidung, erst recht keine Schuhe in den 80er und 90er Jahren. Ich trug Männerschuhe und meine Hosen und Ärmel waren in der Regel zu kurz. Ich hatte nur ein oder zwei Paar Schuhe, im Gegensatz zu meinen Freundinnen, meiner Schwester und meiner Mutter. Als es Ende der 90er endlich Frauenschuhe in meiner Größe gab, war ich glücklich. Sie waren allerdings viel teurer als die Schuhe meiner Freundinnen und es gab nur wenig Auswahl. Wie oft habe ich mir außerdem überall den Kopf angeschlagen? Ich hatte fortwährend eine Beule.

Es kam erst mit ca. 30, dass ich wirklich in meinem Körper ankam und dass ich sowohl meine Attraktivität, als auch meine Größe als etwas Positives erkannte. Plötzlich fand ich es super, dass ich in Konzerten oder menschengefüllten Räumen immer den Überblick hatte. Ich lernte, mit meiner Größe zu spielen. Es wurde mir egal, dass ich auffiel. Ich lernte: Es ist nicht mein Problem, was andere in mir sehen. Ich entwickelte außerdem sehr viel Spaß darin, noch größer zu werden. Es gab plötzlich Schuhe mit Absätzen in meiner Größe und Stiefel. Also probierte ich Absätze aus, was sehr ungewohnt für mich war. Ich spielte mit meinen Eindruck auf andere und lernte, dass gerade große Männer nicht gut mit einer größeren Frau zurecht kommen. Unter meinen Freundinnen war ich die Größte. Ich habe sehr lustige Erinnerungen daran, dass meine Freundinnen alle klein waren. Auf Partys unterhielten sie sich ein Stockwerk tiefer und ich bekam nichts mit. Auch wenn kleinere Männer mit meiner Größe erstaunlicherweise selten Probleme hatten und mich gern als Freundin haben wollten, fand ich das merkwürdig. Meine Partner waren meist fast gleich groß wie ich.

Großen Frauen wird mehr abverlangt, aber auch mehr zugetraut. Teilweise dachte ich: Sie sehen zu viel in mir. Ich kann das gar nicht ausfüllen. Auch hier also wieder das Gefühl, nur einen Teil des Körpers auszufüllen. Es hat aber auch den gegenteiligen Effekt: Weil von mir erwartet wurde, nicht nur äußerlich sondern auch innerlich groß zu sein, lernte ich dem zu entsprechen.

Heute empfinde ich meine Größe als Privileg. Es macht mir Spaß aufzufallen. Es macht mir Spaß, dass ich meine Größe gegen übergriffige Männer einsetzen kann. Ich fülle meinen Körper jetzt voll aus, was auch bedeutet, dass ich mir der Wirkung meiner Größe bewusst bin. Ich übe, nicht auszuweichen. Interessanterweise haben mich früher Menschen gern fast umgerannt, die viel kleiner als ich waren. Ich war scheinbar – trotz meiner Größe – für sie nicht sichtbar. Ich denke nicht, dass mir das heute noch passieren würde. Für mich ist das auch als feministisches Beispiel wichtig: Dass ich meinen Platz einnehme und behaupte. Dass ich nicht bereit bin, aus Nettigkeit oder Bequemlichkeit meinen Platz zu räumen. Dass mit mir zu rechnen ist. Dass ich Aufmerksamkeit einfordere. Ich mache jetzt bewusst Dinge, die ich mich früher kaum getraut hätte: Ich setze mich der Öffentlichkeit aus. Ich halte Reden. Ich riskiere, mich lächerlich zu machen. Die Unabhängigkeit, Freiheit und den Mut, den ich heute habe, hätte ich mir früher gewünscht.

Da ich nun so viel zu meiner Größe geschrieben habe, bleibt nur noch wenig Raum für meine Hüftdysplasie, die mich seit meiner Geburt begleitet. Sie führte dazu, dass ich mehrfach – seit einem Alter von 2 Jahren – schwere und komplexe Operationen und chronische Schmerzen durchstehen musste und als Kind lange wegen einer Schiene nicht richtig laufen konnte. Ja, genau – von wegen Basketball! Ich könnte noch viel dazu sagen, was aber wieder ein eigenes Thema ist. Zwei Aspekte davon habe ich auf meinem Blog beschrieben. Hier https://phoenix-frauen.de/der-begleiter/ und hier https://phoenix-frauen.de/das-hast-du-dein-leben-gezogen/

Es macht mich traurig, dass es so lange dauert, bis wir als Frauen die Definition von außen und vor allem die Definition durch den männlichen Blick auf uns hinter uns lassen können. Manche können das nie. Dass es mir egal geworden ist, wie Männer mich sehen, kam erst mit etwa 50 Jahren und ich kann gar nicht genug betonen, wie befreiend und verändernd das ist. Ich denke heute, dass Frauen meines Alters bewusst in die Unsichtbarkeit gedrängt werden. Wenn mehr jüngere Frauen sich mit älteren Frauen austauschen würden und ältere Frauen jüngere Frauen unterstützen würden, hätten wir ein starkes Bündnis gegen die Gängelungen des Patriarchats. Frauen ab 50 sind oft sehr stark, interessant und auch attraktiv durch ihre Erfahrenheit. Männer sind dagegen regelrecht langweilig. Das darf sich selbstverständlich keinesfalls herumsprechen, denn es würde die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft in Frage stellen.

Ich würde mir wünschen, dass mehr Frauen wüssten, dass dieses Alter die beste Zeit unseres Lebens sein kann. Ich würde mir auch wünschen, dass Mädchen von älteren Frauen lernen, dass das Unwohlsein und das Fremdheitsgefühl im eigenen Körper vorbei geht.

© Rona Duwe


Rona Duwe könnt ihr regelmäßig lesen, sie schreibt einen Substack zu feministischen Themen. Man kann diesen abonnieren und bekommt dann Post per Mail, wenn wieder ein neuer Text online geht. Ich kann es nur empfehlen.
https://ronaduwe.substack.com/
Außerdem hat sie über ein sehr wichtiges und noch wenig beleuchtetes Thema ein Buch geschrieben:
https://mutterwut-muttermut.de/
Fundamente und Anstoß für die Revolte der Mütter
Wenn wir verstehen, warum wir geschwächt werden, verändern wir die Welt!



Zu den anderen Texten

Körpermeer
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/21/textprojekt-korper-korpermeer/

Sara
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/23/textprojekt-korper-sara/

Öffentliches Eigentum
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Bikinifigur
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/29/textprojekt-korper-bikinifigur/

Haarig
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/02/textprojekt-korper-haarig/

Meine Hülle
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/19/textprojekt-korper-meine-hulle/

Lieber Körper
https://reingelesen.wordpress.com/2022/08/28/textprojekt-korper-lieber-korper/

Textprojekt Körper: Haarig

Als ich im Jahr 2004 begann, mir die Beine und Achseln zu rasieren, war das unter Mädchen bereits ein ungeschriebenes Gesetz. Es war einfach so. Es gehörte dazu. Niemand dachte wirklich darüber nach warum es so ist, man tat es einfach. Das ist jetzt fast zwanzig Jahre her. Sexuell aktiv wurde ich erst später, mit 19 Jahren, und damit begannen die Enthaarungsprobleme. Ich wusste, dass von Frauen erwartet wurde, komplett haarfrei zu sein. Das war schon damals die verbreitete Botschaft der Medien und der Werbeindustrie. Die Frauen im Schwimmbad, in der Öffentlichkeit, genauso wie im Fernsehen waren allesamt haarfrei. Die einzige Körperstelle an der Haare erwünscht waren, war der Kopf. Diese „Normalität“ hatte ich, obwohl noch ganz unerfahren, bereits verinnerlicht. Also rasierte ich mir zum ersten Mal den Intimbereich. Nicht, weil mich die Haare wirklich störten, sondern weil ich alles richtig machen wollte. Gefallen wollte. Sexy sein wollte. Dass die anderen Frauen es genauso machten, bestätigte mich in dem Glauben, es müsste so sein, es würde zum Frausein dazu gehören. Man hätte keine Wahl.
Damit nahm der Kampf gegen Hautirritationen, Juckreiz und die netten kleinen Entzündungen, die durch das Rasieren oder Ausreiẞen der Haare entstehen, seinen Lauf.

Meine Teenagerzeit liegt schon ein paar Tage zurück und ich musste tatsächlich erst die magische 30 überschreiten, um mich dafür zu entscheiden, meine Körperhaare nicht mehr ständig (fast täglich) zu rasieren. Es ist ein Thema, das bis heute vor allem jugendliche Mädchen und junge erwachsene Frauen beschäftigt und nur selten hinterfragt wird. Die wenigen, die sich dem Enthaarungszwang verweigern, werden mindestens (vor allem im Sommer) mit schiefen Blicken belästigt, wenn nicht sogar mit Anfeindungen und Beleidigungen. Selbst von Frau zu Frau findet die gegenseitige Bewertung und Abwertung statt. Die meisten Mädchen und Frauen haben diesen Hass von Männern übernommen und hinterfragen ihn lange Zeit nicht, manche auch niemals.

Das Internet war schon früher voller Tipps und Tricks, die angeblich gegen Probleme bei der Enthaarung helfen sollten. Der Tipp, die Haare einfach nicht zu entfernen, sondern z. B. nur zu stutzen, tauchte nirgendwo auf. In meinen längeren Beziehungen (zu anderen Frauen) stellte sich dann zum Glück irgendwann eine Art Rasier-Bequemlichkeit ein, weil beide insgeheim genervt von den ständigen Enthaarungen waren. Das hätte aber weder ich noch die jeweils andere je zugegeben. Haarstoppeln zu akzeptieren kam einem wie etwas Verbotenes vor oder zumindest etwas, was sich nicht gehört, weil es gesellschaftlich nicht akzeptiert war. Fast entschuldigend und rechtfertigend fielen verschämte Sätze wie „Tut mir leid, ich bin nicht frisch rasiert.“ … ironischerweise war die ernst gemeinte Antwort dann meist „Das macht doch nichts, ist mir egal. Ich auch nicht.“ Spätestens hier hätte der Groschen fallen können. Es ist egal! Aber die Manipulation über Jahre hatte ganze Arbeit geleistet. Ein Gefühl des Unwohlseins stellte sich ein, wenn man sich nicht glatt rasiert zeigte. Manche Frauen entwickeln dadurch sogar einen richtigen Ekel vor sich selbst, vor den eigenen Haaren. Empfinden sie als unhygienisch. Einfach mit dem Enthaaren aufzuhören, scheint gar keine Option zu sein. 
Irgendwann stellte ich fest, wie ich es in Singlezeiten (und Zeiten ohne Dating) genoss, mich einfach gar nicht zu rasieren oder eben nur bei Gelegenheit, alle paar Wochen oder alle paar Monate. Kein Jucken, kein unerträgliches Stechen beim Nachwachsen der Haare, wenn man eine enge Jeans trägt, im Büro sitzt und sich kaum auf die Arbeit konzentrieren kann, weil man sich vorgestern babyglatt rasiert hat und jetzt die Quittung bekommt. 

Warum ist die Komplettrasur für Frauen in der westlichen Welt überhaupt zu einem solchen Zwang geworden? Die Ursache liegt der Pornografie und damit meine ich nicht nur unsere heutige, überall verfügbare Pornografie, sondern bereits die Anfänge in weit zurück liegenden Jahrhunderten, kulturübergreifend. Erwachsene Frauen, die das Zeichen ihres Erwachsenseins, nämlich die Körperhaare, entfernen sollen, um kindlicher und damit hilfloser für Männer auszusehen. 

Inzwischen habe ich das Selbstbewusstsein, mich nur noch selten und im Intimbereich gar nicht mehr komplett zu rasieren, doch um an diesen Punkt zu gelangen war über ein Jahrzehnt der Quälerei und der Schmerzen nötig. Bis heute ist das Thema auch für mich leider präsent. Beim Dating, einem neuen Kennenlernen, weiẞ man nie, wie das Gegenüber zu dem Thema steht. Risiko. Mich verunsichert das heute nicht mehr so wie früher, weil ich inzwischen denke „akzeptiere meinen Körper wie er ist oder verschwinde wieder“ … aber an diesen Punkt zu kommen war ein langer Prozess. Doch es ist möglich und es bedeutet Freiheit und (mehr) Gesundheit. Darum möchte ich jedes Mädchen und jede Frau ermutigen, sich selbst und das eigene Verhalten zu hinterfragen. Warum rasiert man sich den ganzen Körper? Weil man sich selbst damit wohl fühlt? Weil man die Nebenwirkungen in Form von Juckreiz und Schmerz als notwendig hinnimmt? Nicht vielleicht doch eher, weil es erwartet wird, weil andere es wollen oder der Partner es gar voraussetzt? Selbstakzeptanz kann man genauso lernen wie die perfekte Rasur … und es ist im Gegensatz zu Rasierern, Schaum und Enthaarungswachs sogar gratis. Es muss sich nicht jede Frau vollständig gegen Enthaarung entscheiden, aber es ist wichtig, ein Bewusstsein zu entwickeln, warum man etwas macht und es bleiben zu lassen, wenn es einem schadet.

© Selena Broens


Selena hat schon zwei Bücher geschrieben, aktuell ist „Radfem“ erschienen, ein Buch zur Frauenbewegung und dem Feminismus in den aktuellen Debatten. Shaut mal vorbei:
https://www.selena-broens.de/


Haare, Haare, Haare, wer von uns hatte dieses Thema noch nicht. Fühlst du dich gezwungen zur Rasur? Oder nimmst du dir die Freiheit raus auch mit Haaren durchs Leben zu gehen? 😉

Hast du auch ein Thema mit deinem Körper welches dich beschäftigt? Einen Rat für Andere? Etwas auf was du gern aufmerksam machen würdest oder was dich beschäftigt? Dann mach doch mit und reiche auch einen Text ein.


Zu den anderen Texten

Körpermeer
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/21/textprojekt-korper-korpermeer/

Sara
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Öffentliches Eigentum
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Bikinifigur
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/29/textprojekt-korper-bikinifigur/

In den Körper wachsen
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/10/textprojekt-korper-korpergeschichte/

Meine Hülle
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/19/textprojekt-korper-meine-hulle/

Lieber Körper
https://reingelesen.wordpress.com/2022/08/28/textprojekt-korper-lieber-korper/

Textprojekt Körper: Bikinifigur

Von der Bikinifigur* bin ich weit entfernt. Darum kaufe ich mir keine Bikinis und ziehe auch keine mehr an. Ich fahre mit dem Rad zum See, in den FKK-Bereich und schwimme nackt. Das spart auch die Frage, ob ich nach dem Schwimmen den nassen Bikini ausziehe und einen trockenen an. In der Badetasche ist auf diese Weise mehr Platz für ein Buch.

Wenn ich an anderen Seen die jungen Frauen in ihren Bikinifiguren, mit der feuchten Badebekleidung und dem Handtuch, dass sie um sich geschlungen haben, um ihren Körper vor den Blicken anderer zu verstecken, ringen sehe, denke ich: „Da haben sie nun den begehrten, angestrebten, jugendlich, elastisch, schlanken Körper und ziehen sich doch so schamvoll um, damit ihn niemand sieht. Dann breite ich mein Laken aus, lasse ein Teil nach dem anderen darauf fallen, allen, die mich dabei beobachten, mute ich meinen Körperanblick zu: Schaut, so sieht ein Körper auch aus! Und so sieht deiner, ihrer, seiner, so der einer 80-Jährigen da drüben, so unterschiedlich! Und alle Körper schwimmen in dem See.

Ich denke an eine Freundin, die als Jugendliche im Schwimmkader war, immer gut und gerne geschwommen ist. Sie wohnt in der Nachbarschaft eines wunderschönen Badesees und geht seit Jahren nicht schwimmen, weil sie ihr Kleid nicht ausziehen mag. Sie schämt sich ihrer gedellten und vernarbten Oberschenkeln. – Einer Spur ihrer Geschichte. Eine Folge eines Motorradunfalls vor vielen Jahren. Spuren von gelebten Leben. Wie auch an meinem Körper: die Narben der Entbindung meiner Kinder. Sie haben Gewebe unter der Haut wuchern lassen und damit Faltungen und Ausstülpungen unterm Bauch über dem Venushügel gebildet. Die ließen sich unter Kleidung verstecken. Aber ich gehe mit ihnen schwimmen, ob sie nun jemand sieht oder nicht sieht. Ich sehe sie ja täglich vor dem Spiegel, werde sie immer sehen und spüren. Warum soll ich der Welt vorenthalten, dass ich verletzt wurde, dass ich Narben habe? Mein Körper zeigt sie. Während meine Seele sie versteckt. Heilen können beide nur durch Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit vom mir und von anderen.
©Schreibwolf


* Bikinifigur und Strandkörper sind Bezeichnungen für Schönheitsideale, die vorwiegend in Lifestyle- und Fitness-Magazinen,    Frauenzeitschriften und Boulevardzeitungen in Artikeln über Fitnesstraining und Diäten zur Gewichtsreduktion verwendet wird. (wikipaedia.org)

*** Bikinifigur = Ein Körper mit einem Bikini bekleidet. (meine Definition)

von: Der Schreibwolf: https://derschreibwolf.wordpress.com


Ich muss sagen, ich finde mich echt in jedem Text irgendwo wieder, und das ist so großartig. Wie geht es dir damit?

Es besteht die Möglichkeit mit deinem eigenen Text dabei zu sein. Meld dich gern bei Interesse.
Es geht darum Erfahrungen und Befinden von Frauen zu sammeln. Deine Stimme ist gefragt, sie wird gebraucht! Texte von Frauen für Frauen. Mehr Infos hier ->


Zu den anderen Texten

Körpermeer
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/21/textprojekt-korper-korpermeer/

Sara
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/23/textprojekt-korper-sara/

Öffentliches Eigentum
https://reingelesen.wordpress.com/2022/06/26/textprojekt-korper-offentliches-eigentum/

Haarig
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/02/textprojekt-korper-haarig/

In den Körper wachsen
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/10/textprojekt-korper-korpergeschichte/

Meine Hülle
https://reingelesen.wordpress.com/2022/07/19/textprojekt-korper-meine-hulle/

Lieber Körper
https://reingelesen.wordpress.com/2022/08/28/textprojekt-korper-lieber-korper/

Textprojekt Körper: Öffentliches Eigentum

In den letzten Wochen hat mich eine Frage sehr beschäftigt, eine sehr wichtige Frage, deren Antwort eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: Wem gehört mein Körper? Mir selbst? Ich bin mir da nicht so sicher.

Ich fühle mich nicht frei in meinem Körper. Dabei sind wir doch heute angeblich so frei, zumindest in Industrieländern. Hier kann ich meinen Körper immerhin zur Uni bewegen, oder überhaupt alleine nach draußen. Aber soll es das wirklich schon gewesen sein? Wissen wir überhaupt, was Freiheit ist? Die Antwort auf diese Frage ist lang und kompliziert. Jede und jeder muss seinen eigenen Weg zur Wahrheit finden. Das hier ist ein kleiner Ausschnitt meines Wegs zur Wahrheit.

Ich bin ein Lebewesen, das theoretisch Kontrolle über seinen Körper hat. Ich bin in der Lage, Arme, Beine, Hände und Zehen zu bewegen – wenn ich aber etwas Falsches damit anstelle, muss ich mit Konsequenzen rechnen. Diese können ganz unterschiedlicher Natur sein. Wenn ich von einem Gebäude springe, werde ich je nach Höhe ziemlich sicher sterben oder mir „nur“ sämtliche Knochen brechen. Es gibt aber auch Konsequenzen anderer Art. Sie sind viel subtiler. Wenn du nicht das Pech hast, tatsächlich angegriffen zu werden, merkst du vielleicht nicht einmal, dass du zerbrichst, denn es passiert langsam in deinem Inneren. Ich spreche von deiner Seele.

Wenn ich an meine Kindheit denke, fallen mir viele Sachen ein. Es gibt aber wenig, das mich so nachhaltig geprägt hat, wie die ständige Dauerbeschallung mit konservativen Werten und den Erwartungen, wie man als Mädchen oder Frau in einer bayerischen Kleinstadt eben zu sein hat. Ich bin mit sehr viel Slut-shaming aufgewachsen. Es ist wahrscheinlich wirklich die eine Sache aus meiner Kindheit, die mir am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist. Trotzdem habe ich Jahre gebraucht, um zu verstehen, wie traumatisch diese Erfahrungen tatsächlich waren und wie sich mich als Person beeinflusst haben. Zum Beispiel bin ich früher gern abends spazieren gegangen. Ich hab es geliebt und noch lange gemacht, nachdem ich ausgezogen bin. Der einzige Grund, aus dem ich aufgehört hab, ist, dass ich in eine Gegend ziehen musste, in der ich mich nicht mehr so sicher fühle – aus verschiedenen Gründen. Jedenfalls begann ich damit als Jugendliche. Ich fand die Dunkelheit sehr beruhigend und friedlich. Sie half mir damals, den „Explosionen“ (so nannte ich seine Ausbrüche damals) meines toxischen Vaters zu entkommen.

Apropos toxische Väter, meiner begann schon sehr bald damit, mir vorzuwerfen, ich würde „es darauf anlegen“, was so viel hieß wie, dass ich angegriffen werden wollte, denn mir hätte ja im Dunkeln jemand folgen können. Er ging sogar so weit, dass er anderen Leuten davon erzählt hat, auch wie dumm ich sei, dass ich es „darauf anlegte“, was meines Erachtens noch viel gefährlicher ist als ein Spaziergang nach 19 Uhr. Sein Verhalten hat mich wirklich verletzt, aber ihn zu konfrontieren, hat alles nur schlimmer gemacht. Er war absolut überzeugt davon, dass ich verzweifelt vergewaltigt werden will.

Dies war aber nicht das einzige, das ihn dazu bewegt hat, so etwas zu sagen. Die Art, wie ich mich kleidete – oder Frauen generell – konnte ihn sehr, sehr wütend machen. Ich war nie die Sorte Teenager, die viel Haut gezeigt hätte, aber als ich mein kurzes schwarzes Kleid zur Geburtstagsparty meiner Schwester trug – holy shit! Der Rock war ihm etwas zu kurz, also hab ich es OFFENSICHTLICH wieder darauf angelegt – die einzig mögliche Erklärung, wieso eine Frau ein Kleid tragen würde, das über den Knien endet.

Jetzt denkst du vielleicht, er war ja nur ein besorgter Vater, der nicht wusste, wie er seine Sorgen anders ausdrücken soll? Nein, einfach nein, und zwar deshalb:

  1. Die meisten Opfer von Missbrauch kannten ihre Täter vorher. Die „Verrückten“, die hinter Bäumen und Büschen lauern, gibt es zwar auch, aber sie sind viel seltener, als die meisten Leute denken. Das heißt, er hätte sich von vornherein gar nicht so viele Sorgen machen müssen.1

Er hätte sich mal mehr Sorgen über seinen komischen Kumpel machen sollen, der meine Mutter belästigt hat, als ich ein Kind war (den er immer noch eingeladen hat, obwohl er wusste, was passiert war – witzig, oder?).

  1. Wenn mir irgendwas passiert wäre, hätte ich nicht die Person sein sollen, die dafür verantwortlich gemacht wird. Ich wäre ein Opfer gewesen. Es sollte nicht von Bedeutung sein, was jemand getragen oder nicht getragen hat. Nein heißt Nein!
  2. Anderen Leuten zu erzählen, dass die eigene Tochter missbraucht werden will, gehört wahrscheinlich zu den unverantwortlichsten Dingen, die man als Eltern tun könnte. Was zum Fick!? Vor allem, wenn man bedenkt, dass mein Vater mit jemandem befreundet war, der bereits auffällig geworden war und somit offensichtlich keine Selbstkontrolle hatte.

Wenn ich darüber nachdenke, werde ich traurig. Es ist verletzend genug, als dumm abgestempelt zu werden (eine weitere Sache, mit der Frauen ständig zu tun haben), aber noch viel verletzender, solche Vorwürfe an den Kopf geworfen zu bekommen, und noch dazu zu wissen, dass man sich niemals an die eigenen Eltern wenden könnte, sollte es einem tatsächlich mal passieren. Denn man kann sich eben nicht schützen. Ich verstehe nicht, wie man so sein kann. Die einzige logische Erklärung, die mir einfällt, ist, dass mein Vater Frauen als sexuelle Objekte sieht, die keine Kontrolle über ihre eigenen Körper haben sollten. Das klingt vielleicht erstmal extrem, aber warum sollte jemand so denken, außer er sexualisiert Frauen selbst permanent? Es ist ja nicht so, als gäbe es gesellschaftliche Bestrebungen, davon wegzukommen. Im Gegenteil, das ständige Sexualisieren von Frauenkörpern wird noch bestärkt, siehe zum Beispiel in der Werbung.

Diese Erfahrungen hatten definitiv Einfluss darauf, wie ich mich in Bezug auf meinen Körper fühle – und Männer. Ich habe das viele Jahre nicht gemerkt. Ich wusste, dass ich ein Problem hatte, aber konnte nicht sehen, wo die Wurzeln lagen und welcher Natur das Problem war. Ich habe Männer als Kind schon als Autoritätspersonen gesehen. Ich habe sie als stark und kalt wahrgenommen, während Frauen nett und weich waren. Männer waren diejenigen, die geurteilt haben, vielleicht sogar bestraft – Frauen waren diejenigen, die einem noch eine zweite Tafel Schokolade gekauft haben, wenn der Mann gerade nicht hinsah.

Trotzdem habe ich nie verstanden, wie das als Erwachsene einen Einfluss auf mein Sexleben haben könnte. Es ist ja nichts passiert, oder? Niemand hat mich vergewaltigt.

Es wäre allerdings naiv anzunehmen, dass es nicht schädlich sei, solche Dinge immer und immer wieder zu hören, während man aufwächst. In meinem Fall führte es zu einer ständigen, unbewussten Angst vor Männern. Ich habe keine Angst vor Männern im Allgemeinen, ich kann mit ihnen befreundet sein, mich unterhalten und zusammenarbeiten. Wenn ich aber kurz davor bin, mit einer neuen Person Sex zu haben, kann ich mich einfach nicht entspannen. Irgendein Teil von mir ist absolut davon überzeugt, dass mir der Typ vor mir wehtun wird, auch wenn er eigentlich ziemlich nett ist. Ich kann es nicht einmal richtig erklären. Es ist eine tief verwurzelte, existenzielle Angst, fast als wäre ich kurz davor, mit einem wilden Tier zu schlafen. Nackte Männer machen mir eine scheiß Angst! Das macht mich sehr traurig, denn ich liebe Sex! Es sollte definitiv etwas sein, das ich genießen kann.

Unglücklicherweise hat mich meine Angst noch nie davon abgehalten, mit jemandem zu schlafen – egal wie oft die Männer mich gefragt haben, ob es wirklich okay ist, nachdem ich vor ihnen geheult hatte. Viele Frauen werden emotional, wenn sie mit jemandem intim werden. Das muss nicht zwangsläufig heißen, dass sie irgendein Trauma haben, man lässt immerhin jemanden sehr nah an sich ran, was im Alltag eher selten passiert. In meinem Fall war das allerdings definitiv ein Warnsignal. Immer.

Ich ignorierte meine Angst und machte weiter. Ich wusste nicht, wie man Nein sagt. Theoretisch wusste ich, dass niemand etwas tun sollte, das er oder sie nicht will, aber das machte es mir nicht einfacher, Grenzen zu setzen. Ein Teil von mir hatte das Gefühl, den Männern das, was sie wollten, schuldig zu sein. Manchmal fühlte ich mich danach furchtbar und benutzt, in den meisten Fällen fühlte ich mich aber gut – nicht weil ich Spaß gehabt hätte, sondern weil ich Bestätigung bekommen habe. Ein Mann findet mich gut! Jackpot!

Ich weiß nicht, wie Sex mit jemand neuem heute für mich wäre, denn ich bin inzwischen schon eine ganze Weile in einer monogamen Beziehung. Ich weiß nur, dass es einer Menge Frauen so geht, mehr als wir gerne denken, und die einzig logische Erklärung, die mir dazu einfällt, ist, dass weibliche Körper so eine Art öffentliches Eigentum sind. Natürlich gibt es Gesetze, die besagen, dass Vergewaltigung verboten ist, und trotzdem gibt es eine Menge Männer, die nie verurteilt wurden und Frauen, denen entweder nicht geglaubt oder die Schuld gegeben wird für das, was ihnen passiert ist. Manchmal ist es fast, als wären wir nur so etwas wie Wächterinnen über unsere Körper, bis jemandem danach ist, einen zu benutzen, und wir in den Hintergrund treten.
Ich sage nicht, dass jeder einzelne Mann auf der Welt so denkt, aber sehr viele Frauen denken so, unbewusst, denn Frauen haben keine Kontrolle über ihre Körper. Wenn sie sich entscheiden, etwas zu tun, dass die Männer (oder auch konservativen Frauen) um sie herum nicht gut finden, hat das Konsequenzen. Wenn sie sich weigern, etwas zu tun, na ja, hat das manchmal auch Konsequenzen. Die ganze Situation ist absurd und nur noch erbärmlich.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir im Laufe unserer Erziehung alle zu einem gewissen Grad gebrochen werden. Ich werde abhängig gemacht. Zwar haben wir in Deutschland heute nicht mehr das Problem, keinen Zugang zu Bildung zu haben (vorausgesetzt die soziale Herkunft stimmt, aber das ist ein anderes Thema), aber wir sind abhängig von den Meinungen der Gesellschaft, insbesondere der Männer. Wenn wir aus der Reihe tanzen, haben wir es unter Umständen mit Benachteiligung, Mobbing, Slut-shaming, Ausschluss aus der Familie, Belästigung, im schlimmsten Fall Femizid zu tun. Die Liste ist lang. Das heißt aber nicht, dass das so bleiben muss!
Wenn wir uns das Problem bewusst machen, können wir etwas tun – zumindest zu einem gewissen Grad. Überlegt euch immer sehr gut, wen ihr wählt, unterschreibt Petitionen, teilt Artikel zum Thema… Manchmal bringen auch kleine Veränderungen schon viel. Tatsächlich trage ich in diesem Moment eine Vulva-Kette als Akt der Rebellion. Ich liebe meine Vulva genauso wie ein Mann seinen Penis. Durch sie fühle ich mich gut und das reicht. Ich bin noch nicht vollständig geheilt von meinem Trauma, ich habe immer noch eine Menge Probleme, aber kleine Dinge wie meine Kette sind unglaublich hilfreich, denn sie sagt mir jeden Tag: „Dein Körper gehört eigentlich dir, und du hast eine großartige Pussy!“
Kleiner Nachtrag: Als ich diesen letzten Satz geschrieben habe, war er mir zunächst peinlich, er erschien mir fast absurd. Aber seht euch mal um: In Bezug auf Männer geht es ständig darum, wer den besten oder größten Cock hat, und sei es auch nur als Scherz gemeint. Wenn eine Frau etwas Ähnliches über ihre Vulva sagt, wird es als „weird“ empfunden. Tja, mir egal.

©Xenia


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Textprojekt Körper: Sara

[Dieser Text enthält Beschreibungen von Selbstverletzung und Suizidgedanken]

In der falschen Gesellschaft geboren

Ich stehe vorm Spiegel und ziehe mein T-Shirt aus. Der Anblick löst so viel Hass in mir aus, dass ich mir am liebsten wehtun möchte. Das ist nicht mein Körper. Nur Frauen haben so einen Körper und das will ich ganz bestimmt nicht. Ich hasse es eine Frau zu sein und ich hasse Frauen überhaupt.

Ich binde mir die Brust mit einem Verband ab, so wie man es eigentlich nicht tun sollte, und ziehe mein Shirt wieder drüber. Viel besser. Ich betrachte mich im Spiegel von allen Seiten. So sollte das eigentlich aussehen. Wie schön wäre das, so einen flachen Oberkörper zu haben. Am liebsten würde ich nur noch so herumlaufen. Allerdings bekomme ich so auch kaum noch Luft. Ich würde einen Binder tragen, wenn ich könnte, doch niemand weiß davon, dass ich eigentlich kein Mädchen bin. Ich ziehe mich frustriert wieder um und verstecke den Verband in meinem Zimmer.

Ich stehe vorm Spiegel und ziehe mein T-Shirt aus. Der Anblick löst so viel Hass in mir aus, dass ich mir wehtun muss. Ich starre mein Spiegelbild an, das Taschenmesser fest von meiner Hand umklammert. Was ist schon dabei? Ich mache das doch nur dieses eine Mal. Es geht nicht anders. Ich atme tief durch und ziehe mir das Messer über die Brust. Wieder und wieder. Bis überall rote Tränen auf meiner Haut schimmern. Ich fühle mich frei.

„Du möchtest also kein Mädchen sein?“, fragt mich die Psychiaterin. Mein Körper ist übersät von tiefen Narben. Ich blicke zu Boden. „Ich hätte lieber einen männlichen Körper“, antworte ich leise. „Hast du denn schon mal darüber nachgedacht, eine Geschlechtsangleichung machen zu lassen?“, fragt sie weiter. „Ja, das habe ich. Aber ich werde doch immer eine Frau sein, egal was ich an meinem Körper verändern lasse.“ Der Gedanke daran macht mich noch verzweifelter. Ich will das alles nicht. Wieso konnte ich nicht als Mann geboren werden? Es ist schrecklich, diesen Körper ertragen zu müssen und noch schrecklicher, daran zu denken, dass man niemals die Person sein wird, die man eigentlich sein sollte.

Ich lasse mir die Haare kurz schneiden, kaufe neue Kleidung in der Männerabteilung und versuche so gut wie möglich meinen weiblichen Körper dahinter zu verstecken. Obwohl ich das Gefühl auf meiner Haut hasse, trage ich unter meinen Shirts enge Oberteile, damit meine Brust möglichst flach wirkt. Von nun an halten mich die meisten fremden Leute für einen Mann. Irgendwie fühlt sich das gut an, so wie eine Bestätigung. Die Bestätigung darin, dass ich eigentlich gar keine Frau, sondern ein Mann sein sollte und auch als solcher wahrgenommen werde.

Gleichzeitig fühlt es sich einfach falsch an. Ich spiele mir selbst etwas vor. Der Hass auf meinen Körper bleibt. Mein Aussehen ist nur eine Art Illusion für mich selbst, dass ich nicht nur als männlich wahrgenommen werde, sondern tatsächlich ein Mann bin. Doch eigentlich ist es nichts anderes als eine Lüge, die spätestens dann auffliegt, wenn ich mich abends umziehe und so angewidert auf meinen vernarbten Frauenkörper blicke, dass ich mir wünsche ich würde einfach aufhören zu existieren. Ich mag mich kaum noch ansehen.

Das Gefühl, auf ewig in diesem Körper gefangen zu sein, scheint unerträglich. Mein psychischer Zustand verschlechtert sich immer weiter. Die Selbstverletzungen nehmen kein Ende, ich werde immer hoffnungsloser und verzweifelter. Immer wieder werde ich von PsychiaterInnen darauf angesprochen, ob ich denn nicht mein Geschlecht ändern möchte – das scheint wohl die einfachste Lösung zu sein. Bei einem Klinikaufenthalt wurde mir einfach so „transgender(?)“ in meinem Diskurs notiert, ohne dass ich das Thema dort je angesprochen hatte – allein aufgrund meines Aussehens. Ein anderer Psychiater ist wegen meines Erscheinungsbildes so überzeugt davon, dass ich trans sein muss, dass er mich gar nicht richtig ernst nimmt, als ich versuche ihm zu erklären, dass ich daran zweifle, ob das überhaupt richtig ist.

Diesen Zweifeln habe ich es zu verdanken, dass ich jetzt hier sitze und diesen Text schreibe, als Frau, die ihren Körper zwar mit Narben auf der Haut, aber dennoch unversehrt durch diese schwere Zeit gebracht hat. Im Nachhinein bin ich unendlich froh darüber, auf mein Bauchgefühl gehört zu haben. Darüber, mich keinen Operationen und Hormonbehandlungen unterzogen zu haben. Das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, wäre so zur Realität geworden.

An meinem Aussehen hat sich seither nicht viel geändert. Ich trage weiterhin kurze Haare und Kleidung aus der Männerabteilung, schminke mich nicht, rasiere mich nicht, habe immer kurze Nägel und trage keine BHs. Ich konnte mit all den Dingen, die als feminin gelten und angeblich zum Frau-Sein dazugehören, nie etwas anfangen. Und jetzt weiß ich auch, dass das völlig in Ordnung ist und ich genauso eine Frau bin, wie alle anderen.

Mich halten weiterhin einige Leute für einen Mann, doch ich gehe damit ganz anders um. Ich weiß jetzt, wer ich bin. Mir geht es nicht länger darum, unbedingt als Mann wahrgenommen zu werden, weil ich mein Frau-Sein so sehr ablehne. Es passiert eben manchmal, aber es löst keine Emotionen mehr in mir aus und ich komme mir auch nicht länger seltsam dabei vor, jemanden zu korrigieren und zu sagen, dass ich eine Frau bin. Ich möchte eben so aussehen, wie ich aussehe. Ich fühle mich nicht mehr fremd in meinem Körper und ich bin stolz darauf, genauso zu sein, wie ich bin.

©Sara / dragonfly.bbx


Dies ist der zweite Text zur neuen Runde des feministischen Textprojektes „Mein Körper und ich“
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Textprojekt Körper: Körpermeer

Körpermeer

Ich sehe Deine schweren Brüste,
ahne das Gewicht Deines Bauches.
Was verraten mir die roten Flecken
auf Deiner delligen, welligen Haut?
Von der Seite betrachtet erinnerst Du an ein träges altes Nilpferd
—es ruht…es genießt…
Körperfleisch.
Fleischberge.
Geborgene Körper.
Weiße Streifen zeichnen Trailheads auf Deinen Körper.
Wo gelange ich hin, wenn ich ihnen folge?
Ich verbiete mir die Frage nach der Kilomasse.
Und dennoch schätze ich ab.
Keine Geringschätzung; eine multiplizierte komplexe Schatzsuche.
Im Sitzen werden aus 3 Faltungen 4.
Eine widerspenstige Oberarmfalte hat sich ins Bild geschoben.
Deine Rückenansicht eine Mogelpackung.
Schmal verbirgt sie das Füllige.
Schläge in den Nacken nicht möglich.
Die Schutzschickt XXL ist gut abgepolstert.
Oder??!
Deine Möse nicht rasiert.
Schamlose Scham.
Nein, eine Bauchfalte klappt sich verlegen über Deinen Schoß.
Diese Bauchfalte gleicht einer Handtasche. Die Klitoris ihr verborgener Schatz darin.
Wo das Runde sich festigt und in abfallenden Linien Ego manifestiert.
Bodylandschaft.
Mutterschoß.
Körpermeer. Körpermehr.
Körperkissen. Ruhe sanft.
KÖRPERSPEICHER – endlose Frauengeschichte(n) sorgsam archiviert.

© Sabine Küster


Dieser Text entstand anlässlich einer Live Drawing/Performing Session der Künstlerin Cameryn
Moore auf dem Performing Arts Festival Berlin und spiegelt den Blick der Autorin sowohl auf den
Körper der Künstlerin wie auf ihren eigenen wider.
Eine Auseinandersetzung um Körperempfinden, Body-Shaming und Lust.
Sabine Küster, Autorin und Künstlerin,
Gestalterin der ‚MUSENLAND Akademie für Biografisches & Kunst,
http://www.musenland.de


Auch Sabine Küster hat momentan ein Textprojekt mit dem Thema „Spuren“ – Schau mal auf ihrem Blog vorbei. http://www.musenland.de


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Lieber Körper
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Histaminpirat – Blogparade „Mein Körper (und ich)“

Eva von Histaminpirat schreibt über Histaminintoleranz und stellt ein Gesundheitsbuch für Frauen vor
Hier gehts zum Artikel ->

Ich werde demnächst auch noch mal eine kleine Liste von guten Büchern zum Thema Gesundheit und Körper machen, speziell für Frauen.

Hier findet Ihr die vorherigen beiträge zur Blogparade:

Martina
Eine Körpergeschichte

Karolin
Bauchweh 2

Christiane
Ich bin der Typ der alles in sich reinfrisst

Karolin
Bauchweh

Sandy
Das Essen und Ich

Marie
Körperfreundliche Kindererziehung

Maren
Der Pharma-Zoo

Solina
Thema Wohlfühlkörper und Fitness

Hiltrud

Schmerz und Leben und Humor

Wortbunt mit 3 Texten und Collagen

Augenwischerei

Schamhaare

Traumkörper

Chutriel
und die Geschichte ihrer Panik

Monika
HPU und Hochsensibilität

Nadine
„Mein Körper und ich“ und keine Waage

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