Michel Kichka – Zweite Generation

Buch-Cover-Michel-Kichka-Zweite-Generation-Was-ich-meinem-Vater-nie-gesagt-habeDer Blog des Autors: http://en.kichka.com/

Und hier beim Verlag findet Ihr eine Leseprobe!

Die zweite Generation berichtet ganz persönliches vom Leben des Autors als Kind eines Überlebenden der Shoa. Man könnte denken ein schlichter Comic, das liest man schnell weg. Tat ich nicht. Ich brauchte inhaltlich 3 Tage dafür. Der Stoff packt einen und das Thema Judenverfolgung und das andauernde Leiden der Überlebenden bohrt sich in einen rein. Aber noch mehr hat mich an dieser Geschichte bewegt wie offen Michel Kichka über seine Familie schreibt. Das er aber immer eines dabei bewahrt -und das ist der Respekt vor dem Leiden, auch wenn er als Nachfolger am Leiden seines Vaters leiden muß bzw.mußte. Es kommen natürlich auch ganz normale Generationskonflikte auf den Tisch und in manchem habe ich mich wiedererkannt, aber was ist das alles schon dagegen das der Vater Auschwitz überlebt hat und bis heute nicht loslassen kann. Ich habe echt Ehrfurcht davor wie er seine Geschichte erzählt – wie mir scheint von allen Seiten betrachtet, mit viel Verständnis aber auch Gefühl für sich selbst – was ich mir vorstelle sicher nicht leicht zu entwickeln war wenn man immer und immer das Thema Auschwitz um sich rum hat. Es geht um seine Kindheit und Jugend in der er und seine Geschwister im Grunde das Leben seines Vaters mitleben sollen, für Ihn ersatzleben sozusagen, es geht um den Selbstmord seines Bruders (vererbtes Trauma?), und darum wie Michel sich auf den Weg machte sein eigenes Leben zu finden, hier und heute.

Am meisten getroffen aber hat mich Seite 84 wo er tiefstes Verständnis für seinen Vater ausrückt, trotz allem. Was kann man jemandem schon ankreiden der soviel Leid erlebt hat, wie kritisch darf man ihm gegenüber sein, wo und wie sich Selbst positionieren. Der Vater klebt an seinem Thema. Das ist mir aus anderen Zusammenhängen auch bekannt das viele Menschen traumatische Themen auf diese Art verarbeiten, was zu einer großen IchWertigkeit führt – viel Nachholbedarf auch des Ichseins, Ich Meinung, Ich Bedürfnisses – sehr logisch. Was vielleicht auch deshalb so zustande gekommen ist weil der Vater eben in der Jugend, was ja mit die prägendste Zeit im Leben ist, dies Schlimme alles erlebt hat. Er ist wohl nie richtig im hier und jetzt angekommen.

Abgesehen von der gut erzählten Geschichte gefällt mir auch sein aussagekräftiger schlichter aber detailgenauer Zeichenstil sehr. Das Buch ist Schwarzweiß gehalten und hat einiges an Text zu bieten.

Wirklich ein gutes Buch zum Thema. Das wäre eine gute Schullektüre, auch weil es als Comic einfach leichter zu fassen ist, bzw man leichter rankommt irgendwie, durch die Art der Präsentation.

Nachtrag 00:50 Uhr

Das Buch ist auch ein Familienbuch. Ein Kind/Eltern Beziehungsbuch, es hat all diese Themen die wir alle kennen. Und es gibt diese Geschichten vor allen möglichen Hintergründen. Ich habe in mir eine peinliche Berührtheit gefühlt als ich diesen Gedanken dachte. Ich merkte wie ich vieles verglich mit meiner Familie und meiner Kindheit, die ich heute auch als teilweise sehr belastend ansehe, allerdings erheblich subtiler als bei Michel Kichka. Es ist schwierig bei solchen Themen zu vergleichen. Ich glaube ein Vergleich passiert vielleicht reflexartig sollte aber dann, wenn er ins Bewußtsein tritt gelassen werden. Ein jeder steht für Sich und auch jede Geschichte steht für sich.

Ich bin keine 2. Generation sondern eine 3. Ich bin kein Kind und kein Enkel von Holocaustüberlebenden. Ich bin ein Enkel von Kriegsüberlebenden. Das Thema Nationalsozialismus hat mich mein ganzes Leben begleitet, ich weiß nicht mehr wann das anfing. Ich weiß das ich Anne Frank gelesen habe und mich auch mit den Schollgeschwistern und der weißen Rose beschäftigt habe, ich lebte ja auch eine Weile in Ihrer Stadt. Aber ich weiß nicht wie das Thema zu mir kam. Klar in der Schule hatten wir das x mal, und es nervte – das hielt mich eher ab von meinem eigenem Weg durch die Zeiten.

Meine Abschlussarbeit in Geschichte damals habe ich trotzdem über die Jugend im Nationalsozialismus geschrieben – also der aktiven Bewegungen. Ich habe, denke ich zumindest, auch so gut wie alles zum Thema gesehen. Mir lag die Geschichte der Juden in Deutschland damals immer besonders am Herzen. Wahrscheinlich weil von Ihnen und Ihrem Leid auch viel erzählt wurde – inzwischen habe ich unzählige Dokumentationen gesehen und viele Interviews, vom jüddischen Leben in Berlin bis New York . Meine Großeltern, unser aller Großeltern wurden ja immer als Täter hingestellt, die gehörten alle zu den Nazis irgendwie – und entsprechend habe ich auch versucht die ältere Verwandschaft auszufragen. Anstatt Sie zu fragen was hast Du erlitten, wie schlimm war das, was ich später sicher auch fragte, war das erste Thema: kanntest Du Juden? Wußtest Du was mit Ihnen passiert, hast Du was mitbekommen? Warum hast Du nichts gemacht? Das hat nicht dazu beigetragen mehr zu erfahren. Von dem was meiner Oma angetan wurde habe ich erst nach Ihrem Tod erfahren. Sie war jung gewesen, genauso wie mein Opa, der wg. einer Behinderung, ein verkrüppeltes Bein, eine schwer Zeit damals hatte – eine Zeit in der die nordische fitte Rasse das Non plus Ultra war (und sein Vater war wohl wirklich ein Nazi), nicht eingezogen wurde – und später immer wieder nach den Angriffen auf Dresden Leichen einsammelte, wie er mir relativ spät, mehr in einem Nebensatz, selbst erzählte. Anscheinend nur mir. Wenn man in einer Stadt wie dieser geboren ist springt die Geschichte einen aus allen Ecken an, die der Jahre damals vor und während des 2. Weltkriegs – ich kannte die Altstadt als Kind noch mit vielen verbrannten schwarzen Trümmern und die Reste der Frauenkirche – das ist heute alles wieder aufgebaut und hübsch gemacht. Und auch die Geschichte der DDR die gerne alte Architektur zerstörte, so wie heute DDR Architektur abgerissen wird. Und wir wissen alle von Verfolgten auch in diesem System.

Als ich klein war, in der 2. Klasse, damals noch in der DDR, bekamen wir, wenn wir lieb waren, von einer Lehrerin Kriegsgeschichten erzählt. Vom brennenden Dresden  – darüber lesen konnte ich erst mit über 30 Jahren wieder. Wir machten damals auch einen Ausflug auf den Soldatenfriedhof – mit 7 Jahren. Das kann ich heute kaum glauben. Ich war immer ein Kind mit blühender Phantasie und malte mir all die Schreckensszenen aus die mir erzählt wurden – ich werde Sie hier nicht wiederholen, ich hab Sie noch sehr genau in meinem Kopf. Hochsensibel eben, mit starker Vorstellungskraft.

Später mit der Klasse, damals vielleicht 14 Jahre alt fuhren wir nach Dachau. Und ich spürte die Energie dieses Platzes ganz genau. Ich stellte mir die Gefangenen vor wie Sie vor Ihren Baracken standen und ein Spalier bildeten, durch das ich ging. Ich konnte an diesem Tag nicht mehr sprechen. Hab nur gefühlt. (und ja auch hierzu habe ich ein paar Filme gesehen). Habe teilweise das Thema richtig aufgesaugt. heute bin ich erheblich vorsichtiger mit dem was ich konsumiere und mir damit ja irgendwie auch einverleibe.

Ich habe nie einen Juden gekannt, war aber immer von der jüdischen Kultur und dem Jiddisch schwer begeistert. Ich mag es das dort so schön gesungen wird. Die Frauen die Religion weitergeben, das es jeden Freitag ein Fest gibt, das vieles auf dem Miteinander sein basiert, und alle irgendwie wohl ein Großfamilie hatten und die älteren Frauen hervorragend kochen und backen. Nunja es erschien mir alles wie ein großes Fest und sehr interessant. Bis auf das mit dem Beschneiden, das finde ich nicht gut. Das mit dem koscherem Essen wiederum finde ich sehr spannend.

Inzwischen weiß ich etwas mehr über die Vererbung von Traumata von Generation zu Generation, habe auch darüber gelesen und spüre die Wahrheit dessen wirklich tief in mir. So wie ich auch an Energien von Plätzen,Gebäuden, Räumen glaube, weil ich es manchmal spüre, hab auch von Geomantie und ähnlichem gehört. Weiß von Kulturellen und Völkertrauma etc. Habe ein Gefühl zu den Fakten entwickelt. Welches sich dann mit dem Wissen irgendwie potenziert und eine Art wissendes intuitives Erleben erschafft.

Die Juden haben eine Kultur über soviel Zeiten der Verfolgung gerettet. Die Deutschen haben in meinen Augen keine Kultur mehr. So wie Lästern, schweißt auch Leiden zusammen. Doch die Deutschen kommen erst in den letzten Jahren auf Ihr Leiden zu sprechen und darauf es zu fühlen. Es ist ein ganz Anderes. Und es ist so wichtig das es jetzt endlich auch nach oben kommt. Man muß durch diese Tiefen der Verarbeitung hindurch bevor man wieder an einen Aufbau, z.B. von eigener Kultur denken kann. Das Leiden, die Schmerzen, die Trauer möchten und müssen gefühlt werden. Die Deutschen sind für mich gesamt betrachtet ein Volk was schweigt, verdrängt, negiert, was sich getrennt hat von seiner Geschichte die der Nationalsozialismus aufs schlimmste beschmutzt hat. Und ich denke wir müssen uns diese Geschichte unserer Ahnen wieder aneignen, denn hier liegt unsere eigene Weisheit verborgen. Auch die Volksweisheit. Und ich denke danach sehnen sich viele Menschen, die, die gute Yoginis werden wollen oder sich heilsversprechenden Kulturgütern fremder Völker zuwenden, weil das eigene fehlt, weil dort eine große Wunde klafft. Auch wenn ich an kulturelle Vererbung glaube muß  auch Eigenes erobert werden, immer wieder neu. Beides ist wichtig. Wurzeln und Flügel. Und davon erzählt Michel Kichka auch.

Der Trafikant

DSC04360Charmant ist das Wort was für mich dieses Büchlein nach dem ersten Lesen, am besten beschreibt. Bis ca. 3/5 des Buches ist es recht leichte und nette Lektüre, trotz der Zeit in welcher die Geschichte spielt. Umso härter kommt es dann.

Das Buch hat mir das ein und andere Lächeln ins Gesicht gezaubert. Doch dann wendet sich das Leben hier schlag auf schlag – von der Ahnung war schon vorher die Sprache. Als Einschlaflektüre gedacht fesselte es mich so sehr das da nix mehr mit schlafen war und ich nur schwer aufhören konnte. Allerdings wird es leider nicht leichter, was da erzählt wird.

Ich hatte irgendwie ein bisschen was anderes erwartet anhand des Umschlagtextes. Aber so ist es ja oft. Aufjedenfall kann ich es sehr empfehlen auch wenn es kein fröhliches Buch ist. Herr Seethaler hat eine sehr schöne Erzählsprache und schafft es ganz wunderbar atmosphärisch den Leser/die Leserin hineinzuziehen so das fast eine eigene Sinneswahrnehmung stattfindet. Wirklich schön und so lesenswert. Also der Autor interessiert mich jetzt sehr. Ich frage mich ob er auch Hochsensibel ist oder einfach die richtigen Wörter an die richtigen Stellen gesetzt hat. Aber ich denke so eine Sprache muß man im Gefühl haben die läßt sich nicht wirklich bauen und lernen, sondern das hat man und kann man, oder nicht.

Ich möchte das Buch gerne weitergeben und verlose es zum Nikolaus. Wenn Du es gern haben möchtest schreibe bitte einen Kommentar. Die Auslosung findet am 6.12. statt. 🙂

Beste Grüße für einen schönen 1. Advent morgen.

Ps.: lustigerweise kam justamente gestern im Radio ein Bericht über den Pilgerort in London – wo Freud damals hingeflüchtet war, über sein Haus im Stadtteil Hampstead, wo heute seine Couch zu bewundern ist. Viele Fans kommen von weither gereist und manch einer hat wohl heftige Gefühlsausbrüche wenn er davor steht. Hat sich wahrscheinlich die Energie abgespreichert, in diesem Möbelstück.

Freud wählt nicht lange nach seiner Flucht den Freitod – er litt viele viele Jahre an Gaumenkrebs und konnte am Ende kaum noch sprechen. Wie natürlich das früher möglich war. Das wünsche ich mir auch für heute.

Nachtrag:
Was mich im Nachgang stört am Buch ist der extrem positive Blick auf Herrn Freud, der für die psychische Gesundheit von Frauen leider nicht sehr förderlich war. Er prägte den Begriff der Hysterie neu, der bis in die 50 Jahre hinein pathologisch verstanden wurde. Als Diagnose wurde es später ersetzt, anders benannt.
Freud hatte viele Klientinnen, und viele waren von Missbrauch betroffen, auch damals tief verankert in der Gesellschaft, die damals ja noch von Männern beherrscht wurde. Dieser Missbrauch wurde als Phantasie umgedeutet von Freud, weil er damit besser ankam bei seinen Kollegen. Aufschlussreiches lässt sich bei Liv Strömquist und Sandra Konrad dazu nachlesen.
Bis heute prägt dieser Begriff die Gesundheitsfürsorge für Frauen, immer noch werden sie schnell als hysterisch bezeichnet anstatt das man genauer schaut was Sache ist. Hysterie ist ein abwertender Begriff gegenüber des Lebensausdrucks von Frauen – in Hinblick auf das Frauenleben im Lauf der Geschichte fatal.

Markus Zusak – Die Bücherdiebin

Eines der wenigen Bücher die mich zum weinen gebracht haben. Ein unglaubliches Werk. So tief, so offen, und trotz des schrecklichen Themas so heilsam.

Und der Tod wie ich Ihn mag in diesem Buch, wie er liebevoll die Menschen in seine Arme nimmt und davon trägt.

Ein Mädchen was ein neues Zu Hause findet, bei „Ihrem“ Papa. Der Papa ein liebevoller Vater meiner Träume.

Und sie liest, sie liebt die Bücher, genau wie ich!

Freundschaften, Krieg, Elend, Verfolgung, Rettung…

Lieber Herr Zusak tausend Dank für dieses Buch!

%d Bloggern gefällt das: