Maria, Maria und Josef und 7 Kinder, das ist die Bagage, von der uns Monika Helfer erzählt. Und zwar so, dass es schwerfällt, das Buch aus der Hand zu legen. Die Bagage ist ihre eigene Familie. Sie ist die Enkelin von Maria, die sie selbst nie kennengelernt hat.
Der Begriff Bagage klingt schön, ist aber ein abfälliger Ausdruck und bedeutet soviel wie Gesindel. Eine andere Bedeutung für Bagage ist Gepäck, Pack, die ganze Verwandtschaft usw.
Familie, ja da hat ja jeder so sein Packerl zu tragen bzw. ist die Familie an sich doch oft auch eine Last, oder zumindest einzelne Personen. Und vielleicht ist damit auch das Verhältnis zum Dorf gemeint. Und ich glaube, der Begriff kann durchaus auch liebevoll verwendet werden. Wenn man um all die Eigenheiten seiner Familienmitglieder weiß, auch der unguten und verrückten, und sie trotzdem liebt.
Einfach ist diese Familie keinesfalls, das erzählen hier Enkelin (die Autorin) und Tochter (Tante Kathe) von Maria und zwischendurch noch eine Stimme aus dem Off, von der ich nicht weiß, wem sie gehört. Vieles was sie erzählen ist nur vielleicht wahr, weil es aus Vermutungen und bekannten Erzählungen zusammen gefügt ist. Aber diese Vermutungen und Vorstellungen scheinen flüssig aus den Mündern geflossen zu sein, denn dort ist der Text schnell und fließend. An anderen Stellen, grade am Anfang bis zur Mitte, findet sich dagegen hier und dort eine abgehackte Sprache, die manchmal ganze Satzteile verschluckt, oder sich wiederholt. Das ist weder anstrengend noch störend, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern sehr schön, so aus dem inneren heraus, ganz fühlend erzählt. Auch das macht den Zauber dieses Textes aus. Kein bügelndes Lektorat. Sehr schön.

Der andere Zauber besteht vielleicht darin, dass es die Bagage sehr schwer hatte, und diese Erzählung trotzdem nicht die Mitte einnimmt. Dort steht etwas anderes. Die liebevolle Beschreibung der schönen und wundervollen Maria. So schön, dass viele neidisch waren. Die Bagage ist zugezogen und wohnt auf dem Berg am Rand des Dorfes. Sie gehören nie ganz dazu bzw. nur in dieser Position der Außenseiter.
Das Leben für die Familie ist hart, sehr hart, ganz besonders als Josef in den Krieg muss und es hinten und vorne an allem fehlt. Aber Maria und ihre Kinder halten zusammen, alle in ihrer Eigenheit.
Das traurige ist, dass wenn Menschen dem anderen was neiden gern Gerüchte über diesen verbreitet werden. Und Maria war so schön und so reinlich, der Josef ein guter Geschäftsmann, allesamt klug und mit besonderen Talenten ausgestattet. Das gehörte sich doch nicht für eine Bagage, so gegen die Vorstellung der Dorfbewohner zu verstoßen. Der Bürgermeister weiß den Geschäftssinn von Josef für sich zu nutzen und hilft Maria und den Kindern auch am Anfang des Krieges, bis er dann doch recht schnell seine Begehrlichkeiten nicht mehr so ganz beherrscht. Schlau werde ich aus ihm nicht.
Aber man fühlt sich als Frau Maria nah, die ja eigentlich nicht so schön sein dürfte, und von der man sich fragt, ob diese Schönheit ein Gottesgeschenk ist oder nicht doch eins vom Teufel. Maria tut, was von ihr erwartet wird. Sie macht den Haushalt und bekommt Kinder, und muss schauen wie umgehen mit den Ansprüchen, die die Männer stellen. Ihr Mann ist schon nicht einfach, aber als er weg ist erst …
Das kleine Buch mit seinen 159 Seiten ist ein Pageturner, keine Frage. Und neben den Menschen beschreibt es auch die Zeit um den 1. Weltkrieg auf dem Land sehr gut, nicht ausführlich, aber soviel das man sich direkt dort auf dem Berg befindet, im Haus, dem Stall, auf der Jagd und im tiefen Schnee.
Hier erscheint der Krieg vorallem in Form von Hunger und dem allein sein. Da haben die Tiere mehr zu fressen als die Menschen.
Zum Abschluß erfahren wir noch ein wenig, was aus den Kindern wurde, einfacher wurde es nicht. Sie alle verlassen den Hof, gehen ihre eigenen Wege. Eine besondere Rolle, neben Maria, spielt in der Geschichte von Maria ihre Tochter, das fünfte Kind, die Mutter der Autorin, Grete. Aber das lies selber nach!
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„Diese Geschichte beginnt nämlich, als meine Mutter noch nicht geboren war…“
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Die Bagage
von Monika Helfer
Erschienen im Hanser Verlag
19,- € / Erschienen 2020
Was ich mir wünschte wäre ein anderes Cover, auch wenn ich Gerhard Richter mag, das Bild empfinde ich als sehr unpassend.
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Im Hanserverlag finden sich weitere Bücher von Monika Helfer zur „Bagage“ und auch früher erschienene Geschichten. Und es gibt grade zum besprochenen Titel einige Zusatzinfos – siehe oben über den Link
Titel: Löwenherz, ein Buch über ihren Bruder, zu dem sie früh den Kontakt verloren hatte
Titel: Vati, über ihren Vater und ihre eigene Kindheit
Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald, lebt als Schriftstellerin mit ihrer Familie in Vorarlberg.