Nach dem wunderbaren, einzigartigen und extrem empfehlenswerten Comic „Der Ursprung der Welt“ zur Kulturgeschichte der Vagina legt Liv Strömquist nach! „Der Ursprung der Liebe“ heißt der neue Titel. Hammerharte Lektüre. Mir blieb doch manches Mal die Luft weg beim Lesen, und ich brauchte echt Pausen um den Inhalt stückchenweise zu verarbeiten. Einfach phänomenal, wenn man Dinge liest, die man sich auch schon oft gedacht hat, oder jemand sehr ähnliche Fragen stellt, wo man sich sonst recht allein fühlt mit seinen Ansichten. Aber auch ganz schön heftig wie es zu rattern anfängt bei so mancher Theorie, über die Liebe, das Verhalten in Partnerschaften, also Beziehungen zwischen zwei Menschen, hier vornehmlich Mann und Frau.
Bekannte Paare müssen herhalten, was sehr schlau ist, denn sie geben wunderbare Beispiele ab für alle möglichen „Fehl“tritte, und Liv zeigt uns eine ganze Menge, was so schief laufen kann.
Wie ist das mit der Liebe? Alles Biologie? Oder soziale Konstruktion?
Wir treffen Diana und Charles, Britney Spears und ihren Ehemann, Mr Big und Carrie aus „Sex in the City“ und noch viele viele andere Paare. Bekannt und unbekannt.
Hier merke ich, wie sich meine Auffassung stark unterscheidet – je nachdem ob Bauch oder Kopf grad involviert sind.
Mehr als einmal bleibt einem der Mund offenstehen, denn Liv haut echt so einige krasse Punkte raus, über die sich, glaube ich, so zumindest noch keiner getraut hat zu reden. Wie z.B. die Thematik, daß selbst die furchtbarsten Männer, auch wenn sie Pflegefälle sind, viel jüngere und sehr liebevolle oder zumindest fürsorgliche Frauen bei sich haben. Was im Umkehrschluss kaum vorkommt. Wusstet ihr, daß Nancy Reagan ihren dementen Mann noch bis zum Ende pflegte? Oder auch Hemingway (sehr tragische Familie die Hemingways), der von seiner 4. Ehefrau lange Jahre betreut wurde. Was bringt nur all die Frauen dazu? Der krasseste hier aufgezählte Fall ist Oona Chaplin, viele Jahre (36) jünger als Charles, pflegte ihn über 30 Jahre lang… wow!
Das Buch ist 130 Seiten stark. Viel Inhalt, unterteilt in einige Kapitel, die aber recht fließend ineinander übergehen. Im ersten Kapitel geht es zuerst um Fernsehserien, die allen den gleichen Klischees folgen und so ein Rollenverständnis fabrizieren/wiederholen, was sich eben durch diese Serien und ihre Zuschauer extremst potenziert. Auch dadurch, daß darüber gelacht wird. Wenn man, gerade als Frau da mal genau hinschaut, sag ich nur: Wut ahoi!
Warum landen wir in solchen Arrangements? Sprich Paarbeziehungen und Ehen. Diese sind oft sehr sehr einseitig und immer wieder ähnlich aufgeteilt. In Frauen die Fürsorge geben und Beziehungsarbeit leisten und Männer, die da sind, aber weder das gleiche tun, noch groß etwas eigenes wirklich in die Beziehung einbringen, und nennen das dann Liebe? Ich denke wir werden es alle kennen. Auch wenn es natürlich positive Ausnahmen gibt.
Ich habe mich in den letzten Jahren oft gefragt was eigentlich Liebe wirklich ist. Heute sage ich: Echte Liebe gibt es für mich nur an ganz wenigen Stellen – die Liebe eines Kindes was seine Eltern bedingungslos liebt kann ich z.B. nur noch biologisch betrachten – es ist und bleibt ein hochabhängiges Verhältnis, denn das Kind ist angewiesen auf die Zuwendung, um zu überleben -, …. denn das was wir gemeinhin Liebe nennen, hat meist viel mehr mit Erwartungen und Bedürfnissen zu tun. Oder, wie Liv eben auch aufzeigt, mit Biologie und Prägung, und nicht mit Freiheit.
Echte Liebe basiert aber auf Freiheit. Wir in unserem Zeitalter, die wir an die Liebesheirat glauben, und viele Menschen viel Energie und Geld investieren in dieses ominöse Liebesding – so von wegen „du bist mein ein und alles“ (Hilfe!), hören sowas natürlich nicht gern. Erst macht dich die Biologie schwach und dann springt deine soziale Konditionierung an. Wie oft geht es z.B. um Macht?
Wo mir das schon immer arg aufgestoßen hat, das ist die Popkultur – diese ganzen Songs und Bücher, in denen sich alles um die eine wahre Liebe dreht, sind für mich nur verstörende Versionen symbiotischer Abhängigkeiten. Und mir ging das schon in meinen 30ern mega auf den Senkel. Drama Drama und alle finden es toll. Auch darauf geht die Autorin ein. Und ja, na klar ist richtiger Liebeskummer total beschissen und schlimm, aber sehr wahrscheinlich gar nicht mal so wegen dieser anderen Person.
Liv Strömquist erklärt uns das alles, auch warum Mädchen auf Typen stehen, die sich nicht für sie interessieren und Jungs eher kein Interesse haben feste Beziehungen einzugehen. Nur kurz dazu: Drama bauscht schön auf – ich denke auch das kennt fast jede*r. Was das alles mit Sexualität zu tun hat? Auch das wird erklärt. Es geht um das Konstrukt der Ehe durch die verschiedenen Zeitalter, um Selbstbestimmung bzw. eben keine Selbstbestimmung, Eifersucht, Gewohnheitsrechte. Alte Freiheiten und neue Erfindungen. Liv erklärt uns kurz das Patriarchat und was Liebe mit Marktwirtschaft, Macht und Religion zu tun hat, sehr genial! Augenöffnend! Die Dekonstruktion dessen, was gemeinhin als Liebe verstanden wird …und findet dann doch zum Schluß etwas Versöhnliches. Und wünscht uns viel Glück.
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Ja es gibt eine Menge zu bedenken, vieles zu hinterfragen und es heißt den vielleicht schon gespürten Zweifeln wirklich Raum zu geben und sich dann etwas Zeit zu nehmen das alles auch zu verdauen. Dieses Paarkonstrukt ist wirklich eine recht unglückliche Erfindung, vor allem für Frauen. Chuck Spezzano sagte schon so schön: „Wenns wehtut ist es keine Liebe!“ Also Achtung.
Wer weiß, vielleicht gehts ja dann im nächsten Buch um das Scheitern der Idee der Kleinfamilie, auch ein echt wichtiges Thema, das im Untergrund schon länger gärt. Wir werden sehen 😉 Jetzt erstmal ran an den „Ursprung der Liebe“.
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Liv Strömquist
Der Ursprung der Liebe
Avant-Verlag
20,- sehr gut angelegte €
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Liv Strömquist, geboren 1978 in Lund, Schweden, ist eine der einflussreichsten feministischen Comiczeichnerinnen. Die studierte Politikwissenschaftlerin zeichnet regelmäßig für unterschiedliche schwedische Magazine und Zeitungen. Ihre Buchveröffentlichungen befassen sich mit sozialen Fragen.
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