Elternbücher – „Vergiss mein Nicht“ und „Können Wir nicht über etwas anderes reden“

DSCN1562In „Vergiss mein nicht“ erzählt David Sieveking über die fortschreitende Demenz seiner Mutter bis hin zu Ihrem Tod. Vor längerer Zeit lief mir mal ein Trailer seines Filmes dazu über den Weg, ich glaub der Film war auch der ursprüngliche Gedanke, leider habe ich Ihn noch nicht gesehen. Ich vermute das es eine sehr schöne Doku ist. Denn wer berichtet schon so zärtlich wie ein liebendes Kind es tut. Und gerade im ersten 1/3 des Buches ist es doch ein arges Gretel dies und Gretel das. Gretel seine Mutter, die sich rapide verändert und von der alle Ärzte aber meinen es wäre nichts weiter und schon gar nicht eine Demenz.

Ich lese alles was ich zum Thema finde. Ich weiß gar nicht so genau warum. Aber ich glaube inzwischen das die Demenz verschiedene Ebenen hat und auch psychosomatische Gründe des Vergessen wollens. Demenz ist wirklich eine sehr extreme Krankheit, die alle Angehörigen und Pflegekräfte vor die größten Herausforderungen stellt. Und oftmals findet sich an ganz unerwarteter Stelle Frieden. So wie im Buch der Vater von David und Ehemann Gretels für Sie in dieser Zeit da ist obwohl Sie beide eine eher offene Ehe führten. Es kommt zu ganz bezaubernden Momenten, die aber auch wehmütig machen weil man sie allen früher gewünscht hätte und trotzdem machen auch diese Momente die Krankheit ertragbarer.

Ab der Mitte hat mich das Buch dann wirklich gepackt und ging mir sehr nah. Manchmal dachte ich an „Der alte König im Exil“ wo aber in einer ganz anderen Art und Weise erzählt wird. Eigentlich in einer Art die mir besser gefiel. Aber es sind 2 ganz verschiedene Geschichten, vor allem dadurch verschieden das die Leben der Kranken so unterschiedlich waren und in ganz verschiedenen Milieus spielten, von daher läßt es sich auch nicht so ganz vergleichen. Was mir besonders gut gefallen hat das waren die Bilder. Und deshalb würde ich mir auch sofort den Film anschauen wenn er irgendwo läuft.

DSCN1563Meine Großtante litt auch an einer Demenz und verwandelte sich zusehends in einen anderen Menschen in dieser Zeit. Auch bei Ihr wurde nicht rechtzeitig diagnostiziert, so aber konnte Sie wenigstens zu Hause sterben. Mithilfe eines Pflegedienstes kam Sie noch lange recht gut zurecht. Ich selber fühlte mich heillos überfordert von der ganzen Situation und habe bis heute ein schlechtes Gewissen nicht mehr dagewesen zu sein. Ich konnte sehr schlecht damit umgehen. Umso mehr bewundere ich auch den Umgang der Familie hier im Buch.

Bei meiner Großtante war es ähnlich wie bei Gretel, das so eine ganz eigene Zartheit zu Tage trat, die fast ein wenig kindlich wirkte und dabei sehr authentisch war. Und manche Eigenheiten verschwanden ganz, so wie auch bei Gretel. So als zählten Sie nicht mehr im Land der Demenz, als wären  Sie nicht mehr nötig. Es ist schon immer wieder erstaunlich, finde ich, wie zum Lebensende hin die Menschen weniger werden aber auch mehr in Ihrer Essenz sind. Das hat etwas von einer sanften Kraft die sehr viel Liebe zulässt und auch zeigt.

„Vergiss mein nicht“

von David Sieveking

Herder Verlag

240 Seiten, 17,99 €

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hier noch ein Link zum Thema: http://buhl-coaching.de/author/2015/12/06/demenz-ist-keine-krankheit-demenzkranke-sind-die-fluechtlinge-unserer-gesellschaft/

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Ein anderes Buch zum Thema „das Altern der Eltern“ lief mir zufällig beim Rowohlt Verlag über den Weg und auf meine Anfrage hin bekam ich ein verkürztes Leseexemplar zugesandt. Die Autorin Roz Chast ist eine bekannte Illustratorin von Cartoons im weltberühmten „New Yorker“. DiDSCN1561e Geschichte „Können wir nicht über was Anderes reden?“ greift viel weiter aus als „Vergiss mein nicht“; ist eine typisch jüdisch-amerikanische würde ich sagen, oder vielleicht auch nur eine typische Geschichte über Menschen mit jüdischem Hintergrund. Damit meine ich, das sich viel mit der eigenen Familiengeschichte auseinander gesetzt wurde, zumindest so, das auch was über die Vorfahren, alte Geschichte und sogar eigentliche Familiengeheimnisse bekannt ist. Ich liebe diese Art sehr. Bei mir selbst bedauere ich immer wieder die blinden Flecken die schon bei der Herkunft meiner Großeltern auftauchen – was vielleicht auch was ziemlich deutsches ist, ich bin mir nicht ganz sicher.

Der Zeichenstil ist wunderbar schnoddrig und passt hervorragend zur Geschichte, die an dem Punkt einsetzt als Roz´Eltern schon an die 90 Jahre alt sind und Roz Chast Sie das erste mal nach über 10 Jahren in Brooklyn besucht. Beide Eltern werden bis ins Detail wunderbar beschrieben mit Ihren Eigenheiten und Macken. Die Mutter streng, praktisch und der Vater meistens irgendwie hilflos und leicht panisch. Und dann wird die Mutter, die eigentlich alles praktische im Haushalt macht auch noch krank, und muß ins Krankenhaus. Wohin nun mit dem Vater?

Roz Chast erzählt echt mit viel schwarzem Humor und bringt alle Ihre Stimmungen wirklich genial rüber, schon allein in Ihren Zeichnungen. Trotzdem lese ich die Tragik zwischen den Zeilen, die ich allerdings auf mein Wissen über die Nachwirkungen von schlimmen Ereignissen auf das weitere Leben zurückführe. Ich weiß nicht ob das jeder so rausliest. Psychologisch betrachtet scheint mir vieles an den Eigenheiten auf Traumafolgen zurückzuführen zu sein. Und da hier nicht drumrum geredet wird sondern alles auf den Tisch kommt, obwohl wohl ein Motto der Familie ist: „Und wenn wir nicht drüber reden, passiert es auch nicht“, läßt sich das auch einfach so lesen. Dem vorhandenen Drama begegnet die Tochter und Autorin mit Pragmatismus. Was bleibt Ihr auch anderes übrig. Ich denke in diesem Buch konnte Sie vieles auch verarbeiten. Einfach ist Ihre Geschichte, sind Ihre Eltern, nicht, aber Sie findet einen tollen Weg das alles zu erzählen. Und selbst das tragische wird unterhaltsam. Ich kann natürlich nur für den Bereich der Geschichte sprechen den ich kenne, das sind 81 Seiten von 236. Ich bin aufjedenfall sehr neugierig wie die Geschichte weitergeht und mag den Stil von Roz Chast sehr. Und auch die verrückten Eltern wachsen einem irgendwie ans Herz.

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„Können wir nicht über was Anderes reden?“

von Roz Chast, Rowohlt Verlag

236 Seiten im Original, für 19,95 €

 

Nachtrag 23.2.2016: Nun habe ich den Vollständigen Band in der Bücherei bekommen und die besten Sachen sind in der Leseprobe nicht enthalten, also von mir volle Empfehlung für http://www.rowohlt.de/hardcover/roz-chast-koennen-wir-nicht-ueber-was-anderes-reden.html! Es wird echt Hardcore, und ich finde das Buch sehr mutig, sehr gut!

Hier noch ein interessanter Text zum Thema Demenz

http://www.bzw-weiterdenken.de/2016/03/das-andere-in-der-demenz/

Mitsingbuch für Demenzkranke

Fast ein Leben – Petra Mader

DSC03348 Dieses Buch habe ich im Zuge meiner Recherchen zum Thema Lebenswelten/Krieg/Kriegsenkel ausgeliehen. Petra Mader hat ein Buch über Ihre Erinnerungen und Nachforschungen zu Ihrer Großmutter geschrieben, mit der Sie nur schwer reden konnte. So stellt Sie im Fortschreiten des Schreibens auch fest: „Das meiste was ich von Ome weiß ist das was andere mir erzählt haben.“

Ihr Ome Rosa, ist ein ganzes Stück vorm 2. Weltkrieg geboren, zu reichen Leuten in die Anstellung gegangen, nachdem Sie Ihre Jugend schon arbeitend zu Hause auf einem Hof im Schwäbischen verbracht hat. Später dann mit einem unehelichen Kind doch geheiratet und noch 3 weitere Kinder bekommen. Immer irgendwie hart geblieben und wenig liebevoll. So wie Sie schreiend im Kinderwagen liegen gelassen wurde machte Sie es auch mit Ihren Kindern.

Das Buch ist relativ dünn und wechselt in der Perspektive zwischen heute und gestern. Zwischen Erzählen und Forschen der Enkelin Petra. Zum zitieren ist für mich nicht so unbedingt herrausgestochen. Aber das Buch hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Also ich konnte es sehr schlecht weglegen und hatte es in 2 Abenden durch. Doch ja die Geschichte hat mich gefesselt.

Auch hier geht es dann auch um die Demenz der die Oma verfällt, in kleinen Szenen sehr authentisch wiedergegeben, was mich an das Buch „König im Exil“ erinnert hat – auch wegen der ähnlichen Lebensverhältnisse.

Sehr sympatisch fand ich den schwäbischen Dialekt, in welchem die Stuttgarter Ome immer wieder zu Wort kommt. Ich habe ja selbst 14 Jahre im Schwoabeländle gelebt, und da kommen dann Zweitheimatgefühle hoch. Hier gibt es ein kleines Porträt der Journalistin Petra Mader, vom Stuttgarter Wochenblatt, was auch eine kleine Rolle spielt im Buch. Und wie soll es anders sein, erschienen ist das Buch im Schwäbischen Silberburg Verlag.

Es kommt mir immer wieder und wieder unter, in vielen Geschichten und auch aus eigenem erleben. Das die alten Menschen hart sind und wenn es blöd lief haben Sie Ihre Härte an die nächsten Generationen vererbt. Es ist mir durchaus begreiflich warum die Ome wurde wie Sie wurde, es wird auch nicht viel anderes als ein Schutzpanzer gewesen sein. Aber ich finde es unglaublich traurig das selbst im Alter kein weicher Zug zugelassen wird. Viele alte Menschen werden starrsinnig und regelrecht böse. Da ist nur jedem Kind zu gratulieren was dieser Falle entgangen ist. Und ich bin sehr froh das in unserer Familie die Alten weicher geworden sind, zumindest die Frauen, und die sich anschleichende Demenz auch so etwas wie etwas Ruhe und Frieden, und auch Versöhnung gebracht hat. Ich habe in meiner Jugend gelernt das man vor dem Alter Respekt haben muß und soll. Aber irgendwann ist mir klar geworden das ich das so nicht gelten lassen kann – nur wg. dem Alter. Aber ich habe Respekt vor Menschen die der Härte des gelebten Lebens nicht mit Bitterkeit begegnen oder den Umständen und Anderen Schuld zuschieben.

Ich bin froh das meiner Oma  das Alter die Liebenswürdigkeit ihren Enkeln gegenüber hat wachsen lassen. Für mich bleibt Sie in Erinnerung als diejenige bei der man mehr durfte als zu Hause, die mir das Sticken beibrachte und auch andere Handarbeiten, die mir die letzte Rose aus dem Garten schickte, und sich mit mir nach den Familienfeiern traf, weil Sie wußte das ich die nicht aushalten will. Wir haben immer Halma zusammen gespielt, und als Kind hat Sie mir endlos russische Märchen vorgelesen… ein Traum von Oma. In Dankbarkeit 🙂

Ps.: Buch: Echt lesenswert und interessant auch im Vergleich mit Strittmatters „Laden“ – wäre beides was für den Deutsch- und Geschichtsunterricht. Da sieht man auch das es zwischen Ost und West kein weiteren Unterschiede im Leben gab, damals.

Nachtrag: Im Nachhinein ist mir aufgefallen das etwas fehlt in diesem Buch. Die Erzählerin spart sich Selbst aus. Das Leben von Oma und Enkelin kommt so gut wie gar nicht vor. Sehr schade. Ich glaube das hätte es dann wirklich rund und auch noch etwas persönlicher gemacht.

Rückrat – Phillipe Djian

Ich kann der euphorischen Kritik über dieses Buch nicht ganz zustimmen. Aber irgendwie hat es mich trotzdem in seinen Sog gezogen. Allerdings fragte ich mich die ganze Zeit was Djian eigentlich erzählen will.

Besonders tolle Sätze habe ich auch nicht entdeckt oder das wirklich etwas spezielles über das Leben ansich erzählt worden wäre. Aber vielleicht liegt das auch am Beruf des Helden, der so ja nun nicht unbedingt einen Durchschnittsbürger darstellt. Nein, irgendwie scheint er immer noch genug Geld zu haben um sich der Stille, der Faulheit, dem Sinnieren oder dem Genuß hinzugeben. Und wer hat schon dieses Glück. Auch fand ich es eher befremdlich das der Protagonist immer schon ganz genau wußte was in Ihm selbst vorgeht. So als könnte er sich selbst gleichzeitig fühlen und beobachten.

Am Ende geht es  um einen Mann der seine Ehe versaut hat. Mit seinem Sohn lebt, den er über alles liebt, und dem er sich in den Zeiten der Pupertät neu nähern will/muß und der am Ende seine neue Beziehung zu einer jüngeren Frau, nach einer Menge Affären, endlich ernst nimmt. Eine weitere Geschichte ist die des Protagonisten als Schriftsteller, ehemaliger Schriftsteller, Ator für schlechte Fernsehserien bis hin zum Job als Auswähler neuerer Literatur für eine Stiftung/Förderung, an welchem er auch fast komplett zugrunde geht, die Ihn aber schließlich auch antreibt selbst wieder zu schreiben. Eine Message habe ich aber nicht gefunden, bzw. blieben mir die Figuren doch etwas fremd.

Ich war vor Jahren ein großer Fan des Films Betty Blue, habe seitdem das Buch hier stehen. Aber ich muß es wohl nochmal lesen, denn ich erinnere mich kaum noch daran. Außerdem habe ich mir noch die „Frühreifen“ besorgt. Mal schaun wie es mir damit geht. Aber bis jetzt bleibt mir Djian doch eher ein Rätsel.

Nachtrag: die Frühreifen fand ich sehr gut geschrieben und insgesamt auch eine gute Geschichte, realistischer, bewegender

Bild

Arno Geiger – Der alte König im Exil

Gerade fertig gelesen:

Ich hatte das Buch erst als Hörbuch, fand es aber sehr schwierig zum anhören, jetzt habe ich es in der Bücherei als Buch erwischt. Das Thema Alter interessiert mich sehr. Und überhaupt mag ich biografische Bücher. Hier erzählt Herr Geiger von seinem Vater. Auslöser der Erzählung war die Demenzerkrankung des alten Herrn. Doch es geht nicht nur um die Krankheit, sondern um das Leben des Vaters, seinen Werdegang, um Familie und veränderte Zeiten.

Mir gefällt sehr, das trotz des „einfachen“ Lebens so viel zu erzählen ist. Besonders schön sind auch die ausführlichen Beschreibungen vorallem auch die des Weges mit der Krankheit. Ein wirklich gutes Buch und gar nicht traurig.

Herr Geiger hat auch eine eigene Website, was ich sehr schön finde. Hier entlang.

Und Hier, bei der Zeit, gibt es noch ein Interview von Ihm zum Buch. Hier noch ein Beitrag der Ard über Naomi Feil, die die Validation nach Europa gebracht hat. Auch bei Youtube gibt es viele Beiträge zum Thema Demenz. z.B. dieser 3 Teiler.

Zum Thema Alter und Pflege möchte ich noch diese kleine Geschichte hinzufügen:

When an old man died in the geriatric ward of a nursing home in an Australian country town, it was believed that he had nothing left of any value.
Later, when the nurses were going through his meagre possessions, they found this poem. Its quality and content so impressed the staff that copies were made and distributed to every nurse in the hospital.
One nurse took her copy to Melbourne. The old man’s sole bequest to posterity has since appeared in the Christmas editions of magazines around the country and appearing in mags for Mental Health. A slide presentation has also been made based on his simple, but eloquent, poem.And this old man, with nothing left to give to the world, is now the author of this ‘anonymous’ poem winging across the Internet.

Cranky Old Man

What do you see nurses? What do you see?
What are you thinking when you’re looking at me?
A cranky old man, not very wise,
Uncertain of habit, with faraway eyes?
Who dribbles his food and makes no reply.
When you say in a loud voice, ‘I do wish you’d try!’
Who seems not to notice the things that you do.
And forever is losing a sock or shoe?
Who, resisting or not, lets you do as you will,
With bathing and feeding, the long day to fill?
Is that what you’re thinking? Is that what you see?
Then open your eyes, nurse. You’re not looking at me.
I’ll tell you who I am as I sit here so still,
As I do at your bidding, as I eat at your will.
I’m a small child of ten, with a father and mother,
Brothers and sisters who love one another
A young boy of sixteen with wings on his feet
Dreaming that soon now a lover he’ll meet.
A groom soon at twenty my heart gives a leap.
Remembering, the vows that I promised to keep.
At twenty-five, now I have young of my own.
Who need me to guide and a secure happy home.
A man of thirty, my young now grown fast,
Bound to each other with ties that should last.
At forty, my young sons have grown and are gone,
But my woman is beside me to see I don’t mourn.
At fifty, once more, babies play ‘round my knee,
Again, we know children, my loved one and me.
Dark days are upon me. My wife is now dead.
I look at the future. I shudder with dread.
For my young are all rearing young of their own.
And I think of the years, and the love that I’ve known.
I’m now an old man and nature is cruel.
It’s jest to make old age look like a fool.
The body, it crumbles. Grace and vigour, depart.
There is now a stone where I once had a heart.
But inside this old carcass, A young man still dwells,
And now and again my battered heart swells.
I remember the joys, I remember the pain.
And I’m loving and living life over again.
I think of the years, all too few, gone too fast.
And accept the stark fact that nothing can last.
So open your eyes, people. Open and see.
Not a cranky old man.
Look closer .. See.. Me.

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