Die Zeit der Ruhelosen – Literatur aus Frankreich

Was rettet uns? Es sind die Bücher, die Literatur, die Worte…

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Fiktion um die Wirklichkeit zu erzählen. Zeitgeschichte aktuell. Katrine Tuil ist ganz nah dran, am Jetzt, flechtet immer wieder „echte“ Begebenheiten in Ihre Erzählung ein. Gleich am Anfang landen wir bei 9/11 und in einem Auszug einer Rede von George W. Bush. Meiner Meinung nach hätte es das nicht gebraucht, aber das grundsätzliche Thema deutet sich damit im weitestem Sinne an. Man steigt sofort und brachial in die Thematik ein. Es folgt eine Art innerer Bericht eines Soldaten der in Afghanistan stationiert war. Ich gebe zu, ich konnte das nur überfliegen, zu schrecklich sind viele Details des Kriegseinsatzes.

Der Soldat ist Franzose. Wie kurz zuvor in der Rede von Bush zu lesen war, nehmen viele Länder am Kriegseinsatz im „Namen“ der Terrorismusbekämpfung teil.
Karine Tuil gelingt es eindringlich vom Krieg zu schreiben und vor allem auch davon, wie ein Soldat seine Einsätze erlebt und wie das Leben für ihn nach solchen Einsätzen weitergeht. Die Entfremdung vom „normalen“ Leben, das „nicht-vergessen-können“, die Bilder der Gewalt und Brutalität des Krieges ins Gehirn eingebrannt. Die Schuldgefühle, die Ängste, das Misstrauen und die Schreckhaftigkeit. Das sich „nicht mehr einstellen können“ auf ein Leben im Frieden.

Doch da ist auch ein Funken Hoffnung auf Trost, Rettung und eine Art Heilung, inform von körperlicher Nähe und Liebe. Der Rausch, den man nur mit jemand anderem zusammen finden kann. Leidenschaft, die eine ganz besondere Intimität entwickelt, einen Halt, ein sich verlieren im positiven Sinne, ganz nah an einem anderen Menschen, der auf seine eigene Art genauso empfindet. Romain Roller ist der Name des Soldaten. Und er trifft auf dem Weg aus dem Krieg auf die Schriftstellerin Marion Decker.

„Die Zeit der Ruhelosen“ ist ein 500 Seiten Werk, welches mich immer wieder staunen ließ. Es blieb durchgängig spannend und endet in einer fulminanten Implosion der angesprochenen Themen, und das sind nicht wenige. Absolut gekonnt und stilvoll wechselt die Erzählung zwischen den vier Protagonist*innen*en hin- und her, was zusätzlich noch eine ganz eigene Dynamik und Spannung aufbaut. Ich erinnere mich nicht, jemals solche phantastischen Übergänge gelesen zu haben. Als Leser*in gleitet man von der einen Person und ihrer Geschichte zur Anderen, ein regelrechtes aus- und einblenden, mit kleinen Überlappungen, die für mich immer wieder betonen wie doch jeder Mensch, verbindende und ähnliche Themen hat, bzw. sich in einer Geschichte etwas von der einen Seite wiederfindet und in der nächsten Geschichte von der anderen Seite, aber eben ein Thema. Sehr prickelnd für mich als Leserin.

„Während sie von traumatischen Verlusten, Kampfhandlungen und Konflikten mit internationalen Verästelungen erzählten, tobte in seinem Inneren ein völlig anderer Krieg.

Angst. Schon wieder nahm sie Romain die sicht, umgab ihn wie einen diffuser Nebel, blockierte seine Atemwege, behinderte seinen Gedankenfluß, sein Gehirn trübte sich ein, die Konzentration sank rapide… „

S: 100 – der erste Satz gehört zu Osmans Geschichte, der zweite zu Romains, ich denke man kann es hier gut nachvollziehen was ich meine.

Die Verbindungen verflechten sich im Laufe des Buches immer mehr, die Personen kommen sich immer näher, bis Sie am Ende alle auch live aufeinandertreffen. Mitten in einer gefährlichen Zone im Irak. Und wir bekommen immer mehr Einblick, nach und nach, erfahren Geschichten aus dem Hintergrund. Begreifen hier noch direkter als im Fernsehen oder Internet wie der Schrecken des Krieges, der Kleinen und der Großen, in unserer Welt zur Normalität gehören, die wir in den Friedenzonen natürlich besser ausblenden können.
Besonders interessant ist das bei der Figur Osman Diboula, der Politiker, der es, aus einfachen Verhältnissen stammend, vom Streetworker zum Vertreter seines Landes schafft. Karine Tuil erzählt hier nicht eine Story des „alles ist möglich“, sondern zeigt die Komplexität von Zufällen, Glück, harter Arbeit und der Funktionsweise von Politik und Macht auf, wirklich fabelhaft wie sich diese Storyline entwickelt.

Ähnlich wie die des Geschäftsmannes François Vély, dessen Leben ab dem Zeitpunkt der Erzählung immer weiter in den Untiefen von Machtspielen, Verleumdung, und Rassismus versinkt. Und grade hier begegnen wir immer wieder dem Brachialen und der Gewalt, welche die Autorin schon am Anfang des Buches als tragende Säule ins Spiel bringt. Entsetzlich auch wie der Lebenslauf von François sich punktuell deckt mit seinen jüdischen Vorfahren und ihm großes Leiden nicht erspart bleibt, das hat mich sehr betroffen gemacht beim Lesen und ist grandios geschildert.

Ungeschönt und ernsthaft tauchen wir in diese Geschichte, diesen Teil auch unserer Wirklichkeit, ein; bis alles kulminiert. Heftig und extrem schmerzhaft. Die Brutalität des Krieges und das lange leiden daran, zeigt sich an vielen Stellen. Und genau darauf wirft Katrine Tuil das Scheinwerferlicht. Unbarmherzig, ohne Weichzeichner und ohne etwas auszusparen. Ein Buch dem die 500 Seiten sehr gut stehen, keine scheint zuviel zu sein.

Eine Nebenfigur, der Vater von François, Paul Vély weiß am Ende Rat, vor dem Hintergrund eines langen Lebens. Einer davon sagt:

„Man muß das Leben wählen“

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Die Zeit der Ruhelosen

Karine Tuil

Übersetzung aus dem Französischen von Maja Ueberle-Pfaff

Ullstein Verlag

24,- €

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Interview:

http://www.resonanzboden.com/satzbaustelle/interview-karine-tuil-fiktion-realitaet/

Karine Tuil,
wurde als Tochter tunesischer Juden, 1972 in Paris geboren und lebt dort heute mit ihrem Mann und ihren drei Kindern. Sie studierte Kommunikations- und Informationswissenschaften sowie Recht an der Universität Panthéon-Assas. Sie hat zehn Romane veröffentlicht, deren Figuren sich mit sozialen, politischen, juristischen und ethischen Fragen auseinandersetzen.

 

 

Übersetzerin: Maja Ueberle-Pfaff,

geboren am 25. März 1954 in Karlsruhe, seit 1992 freiberufliche Literaturübersetzerin, Autorin und Herausgeberin

http://www.maja-ueberle-pfaff.de

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Ich empfehle zur Ergänzung das Fluter Heft Frankreich

www.fluter.de/heft62

 

Töchter einer neuen Zeit

Ein Hörspiel von der Autorin selbst gelesen, und das sehr gut. Die Lesung stimmt einfach. Die Geschichte umfasst eine lange Zeit vom Ende des 1. WK bis nach dem 2. WK. Es geht hauptsächlich um 3 Frauen und ihre Familien und natürlich um die Ereignisse dieser Zeit.

Sie sind welche von den Guten, wie meistens in diesen Geschichten aus dieser Zeit, das geht mir ehrlich gesagt so ein bisschen auf den Senkel bei solchen Erzählungen die den Nationalsozialismus streifen. Es gibt dort meistens sehr eindeutige Figuren. Schwarz oder Weiß. Trotzdem hat mich die Geschichte recht gut unterhalten. Allerdings hatte ich immer wieder das Problem die Frauen auseinander zu halten, so ganz hab ich den Überblick auch am Ende der Cd´s nicht gewonnen, und würde deshalb doch eher zum Buch raten oder zu einem sehr konzentriertem hören. Die Geschichte und Ihre Heldinnen finden aber sicher ihre Leser- bzw. Hörerschaft.
Die Box enthält 8 Cd´s mit einer Spielzeit von ca. 10h. Und leider nur ein sehr knappes Begleitblatt. Das hat mir eindeutig gefehlt, ein Begleitheft, wo man ja auch nochmal kurz die Hauptfiguren hätte vorstellen können. Im Mai erscheint nun der 2. Teil der Saga.

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Carmen Korn

Töchter einer neuen Zeit

Roman – Teil 1

Random House Audio

19,99 €

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Ein Kriegsenkel erzählt

DSCN3964Ein weiteres Buch im Kanon der Kriegsenkelliteratur. Diesmal ein auch sehr persönliches Buch des Journalisten Matthias Lohre. Ich muß zugeben, es war mir am Anfang nicht sehr sympathisch, da mir doch einiges zu sehr zusammengefasst und verallgemeinert erschien. Es wird nicht zwischen Kriegsgkindern und Nachkriegskindern unterschieden. Und die Jahrgänge der Kriegsenkel setzt der Autor schon ab 1955 an. Das sehe ich anders. Aber wie er auch schreibt, es gibt nicht den Kriegsenkel.

In Matthias Lohres Fall ist er ein später Kriegsenkel, Jg. 76 und seine Eltern Jg. 31 der Vater, und Jg. 37 die Mutter. Schon allein deshalb finde ich den Titel verfehlt, es müßte heißen: Das Erbe eines Kriegsenkels. Finde ich bedauerlich das auf solche wichtigen Feinheiten oft nicht geachtet wird. Bei mir lößt sowas erstmal Ärger aus, weil ich mich einfach in einen Topf geschmissen fühle. Und einer hier die Wahrheit für sich zu vereinnahmen scheint. Was aber sicher nicht die Absicht des Autors war, so wie ich es lese. Er ist ein Suchender wie viele von uns. Aber er gibt zu viele Antworten, die wie die Lösungen klingen und wie die einzigen Antworten, manchmal wie Anleitungen, das gefällt mir nicht so gut.

Ganz persönlich kann ich mich wenig in Matthias Lohres Erzählungen wiederfinden, weder ging und geht es mir „ja doch irgendwie gut“, wie in seinem Fall, er ist immerhin erfolgreicher Journalist der bei Taz und Zeit schreibt und schon das eine oder andere Interview zum Thema Politik gegeben hat, noch ist mein Weg vergleichbar mit seinem. Meine Eltern sind erst Anfang der 50iger geboren und bei uns gab es andere Familienthemen. Und so war auch das Schweigen der Familie ein anderes. Aber immerhin das Schweigen ist eine Gemeinsamkeit – und natürlich finden sich davon noch einige andere, auch wenn ich vielleicht andere Schlüsse ziehe wie er oder das gleiche Ergebnis erlebe mit anderen Voraussetzungen. Es muß auch dazu gesagt werden er ist ein Westdeutscher Kriegsenkel, ich denke hier gibt es doch einige Unterschiede.

Trotzdem haben das Werk und ich noch zusammengefunden, und ich habe Matthias Lohre bis zum Ende seines Buches begleitet. Auf seiner Suche nach Antworten und Klärung seiner eigenen Geschichte. Manchmal laß es sich als würde er laut denken. Hin wieder kam es mir vor, als würde er vor sich hinmurmeln, immer wieder wiederholend was wichtig ist und scheint, um den aufgenommenen Faden nicht wieder zu verlieren.Das ist einerseits ein bisschen nervig, auf der anderen Seite mußte ich aber auch schmunzeln weil es einfach allzu menschlich ist und ich es selber von mir kenne.

DSCN3965Das ganze ist eine Mischung aus Persönlichem und aus allgemeinen Erkenntnissen. Oft zitiert er auch gelesenes, vorallem Psychologen und aus einem Gespräch. Es gibt auch eine Bücherliste im Anhang. Ich finde es in der Mischung nicht so gelungen wie andere.

Am Anfang war mir das alles oft zu sehr auf einem Tablett präsentiert und ließ keinen Raum für mich als Leserin, aber das ist wohl einfach die Art des Journalisten. Er hat es aufjedenfall geschafft mich bei der Stange zu halten und vor allem das Ende hat mich sehr berührt. Und ich habe selbst im Kapitel über die Erziehung, und das schon ewig oft besprochene Thema Erziehung nach Haarer, noch etwas herausziehen können für mich, weil es gut formuliert war. Auch schön fand ich das er die Geschichte vorm Nationalsozialismus mit einbezieht. Das er nach Lösungen und Möglichkeiten sucht.

Viel hab ich markiert, oft die Stellen wo ich dachte ja das bringt er gut auf den Punkt und die andere Hälfte Stellen, wo es bei mir ganz anders war und ich nicht mitgehen kann… auch so kann man schließlich am eigenen einhaken, das bietet Reibungsfläche; und das ist es ja am Ende was man als LeserInn doch auch sucht, die Verbindung zu sich Selbst.

DSCN3972Mehrfach hab ich an „Der alte König im Exil“ denken müssen, die ganze Geschichte des Autors hätte ich da gerne eingeordnet, an dieser Stelle im Bücherregal, aber durch dieses sehr gemischte von persönlicher Geschichte und Verallgemeinerung, und Erkenntnissen der Psychologie ist das nicht passend. Ich würde fast sagen es wäre gut gewesen ganz bei der eigenen Geschichte zu bleiben bzw. die Rückschlüsse auf das Eigene zu beziehen und dies auch so zu schreiben… ich merk jetzt wieder beim schreiben wie sehr mich doch manches ärgert, obwohl ich wirklich gern die letzten Tage jeden Abend im Buch gelesen habe. Es war eines dieser Bücher die ich nicht so verschlingen konnte, sondern nur häppchenweise vertrug.

DSCN3969In meinem Kopf ist so ein Bild von diesem Mann in meinem Alter, ein durchaus sympathischer und ziemlich schöner Mann, so wissbegierig und sensibel, mit seinen wirklich traurigen Augen die viel Seelentiefe erkennen lassen – da fühle ich mich schon sehr verbunden. Es ist gut das er seinen Weg für sich gefunden hat. Diese Geradlinigkeit aber, und vor allem auch diese guten Bedingungen aus denen er heraus agiert die haben, glaube ich, eher wenige Kriegsenkel, aber vielleicht täusche ich mich da auch.

Die Kapitel

Anfang und Ende – Warum diese Geschichte?

Kriegskinder & Kriegsenkel – Wer ist das überhaupt?

Fremde Eltern & Fremde Kinder – Was ist bloß schiefgelaufen?

Erster Weltkrieg & die Folgen – Wann entstanden die ersten Traumata?

Zweiter Weltkrieg & Nachkrieg – Was macht ein Kind zum Kriegskind?

Überlebensschuld & Lebensfreude – Konnten Kriegskinder glücklich werden?

Täter & Opfer – Was machte das Schweigen der Mittäter mit ihren Kindern?

Die deutsche Mutter & Ihre Kinder – Was richtete die Nazi-Ideologie in den Seelen der Kleinsten an?

Kriegsenkel & Kriegsenkelinnen – Was macht das Erbe der Kriegsenkel mit Frauen und Männern?

Verstehen & Nicht-Verzeihen – Wie entwickeln Kriegsenkel mehr Verständnis für sich?

Mutter- & Vaterseelenallein – Wie können sich Kriegsenkel mit der Vergangenheit versöhnen?

Ende & Anfang – Wie lässt sich Abschied nehmen?

Fazit: keine leichte Lektüre, aber verständlich und gut zu lesen. Besonders empfehlenswert für Kriegsenkel mit Kriegskindereltern

Matthias Lohre

Das Erbe der Kriegsenkel Was das Schweigen der Eltern mit uns macht

256 Seiten, € 19,99, Gütersloher Verlagshaus

Anna und Armand

DSCN3102Was für ein Buch, was für eine spannende Familie. „Anna und Armand“ wurde mir nochmal von Devona empfohlen als ich vor kurzem „Die Mutter meiner Mutter“ vorgestellt habe.

Miranda Richmond Mouillot ist eine recht typische Kriegsenkelin, eine Frau der schon als Kind der Krieg in den Knochen sitzt, vererbt durch Ihre Großeltern mütterlicherseits. Ich fand mich in vielem wieder und spürte auch an sovielen Stellen die eigene Lücken in meinem Leben so sehr das mich das Buch wirklich ganz schön zum weinen brachte.

Eine ergreifende Geschichte., immer vermischt mit dem Erzählstrang der das aktuelle Leben Mirandas wiedergibt. Es ist schön Ihr zu folgen, auf Ihrer Lebensreise und im erforschen der Geschichte die von Amerika aus nach Frankreich geht und in die Schweiz. Miranda Richmond Mouillot ist wohl fast das was man eine Weltenbürgerin nennen kann, beheimat in den USA wo Sie geboren wurde und dem Ort Ihrer Seele in Frankreich wo Sie auch der Liebe begegnet. (was mich persönlich sehr gefreut hat)

Diesmal hab ich mit Bleistift gelesen um die mir wichtigen Sachen beim lesen anzustreichen nicht das ich nachher bei den Seitenmarkierungen meinen Lesegedanken nicht mehr folgen kann.

Kurz zum Inhalt: die Großeltern haben sich vorm 2. WK kennengelernt und bekamen später zusammen 2 Kinder. Miranda kannte Ihren Großvater aber kaum, da das Paar sich vor langer Zeit getrennt hatte. Auf vielen Seiten beschreibt Sie die Annäherung an diesen nicht ganz einfachen Mann, der mit 30 Jahren als Dolmetscher bei den Nürnberger Prozessen teilnahm. Seine Eltern hatten den Nationalsozialismus nicht überlebt. Eine beeindruckende Person. Genauso wie auch die Großmutter, zu der Miranda eine sehr viel engere Bindung hat, die Ihr sehr nahe steht bis hin zu bestimmten Talenten die Sie von Ihr geerbt hat.

Mir wird auch an dieser Geschichte wieder mal deutlich wieviel man doch von den Großeltern übernimmt – ziemlich oft scheinen Sie viel näher als die Eltern zu sein. Alles in Allem hat die Autorin sehr viel Glück in Ihrem Leben gehabt, von der Familie her, Ihren Möglichkeiten und dem was sich auf Ihrer Forschungsreise so ergibt. Was Sie auch selbst so beschreibt und was immer wieder durchschimmert, gerade wenn Sie eben von den schlimmen Zeiten erzählt die Ihre Großeltern auf der Flucht und in den Kriegsjahren erleben mußten. Äußerlich haben sich beide sicher gut aufgerappelt, aber es gibt tiefe Wunden die bleiben, körperlich, seelisch und in diesem nichtgreifbaren Raum zudem öfter jemand aus den Folgegenerationen Zugang findet.

„Uns beiden stand eine leichte Ehrfurcht darüber ins Gesicht geschrieben, dass manchmal unvollendete Geschichten viel, viel später von anderen Menschen zumindest zum Teil abgeschlossen werden…“

Am Ende gibt es außer den Quellenangaben noch einen kleinen Anhang zu Texten und Büchern die Miranda Richmond Mouillot beeinflußt haben, fand ich sehr interessant. Und „Die Glut“ werd ich jetzt wohl auch endlich mal lesen.

Alles in allem ein sehr berührendes und spannendes Buch. Und ein richtiger Schmöker mit seinen über 300 Seiten. Ein Buch zum versinken in anderen Leben, also vorsicht, am besten keine Termine machen in diesem Zeitraum.

 

Miranda Richmond Mouillot

Anna und Armand

Limes Verlag

19,99 €

Vor einem Monat erschienen

Hier geht es zur Seite der Autorin

 

Die Mutter meiner Mutter – Sabine Rennefanz

DSCN2673Auf das Buch war ich sehr gespannt. Vor einiger Zeit habe ich auch „Eisenkinder“ gelesen was mir zuerst nicht so gefallen hatte, dann aber Seite um Seite mehr. „Die Mutter meiner Mutter“ habe ich sozusagen gefressen. In 2 Tagen durchgelesen. mich hinein gestürzt, die Geschichte aufgesogen.

Die Geschichte hat im Grunde nicht so viel mit mir selbst zu tun aber irgendwie doch, so als Kriegsenkelin, die hier Parallelen findet zu den Menschen in Ihrem Leben. Solche Geschichten zu lesen, vor allem solche aus dem Osten von Deutschland ist schon auch eine Suche nach eigenen Antworten.

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An sich wäre alles schnell erzählt – ist es aber nicht, es bleibt insgesamt vieles offen auch auf die Frage warum es „Die Mutter meiner Mutter heißt“ anstatt meine Oma oder so. Daran störe ich mich aber nicht, denn um gewisse Dinge erzählen zu können braucht es Abstand zu den Dingen .

Eine Buchhändlerin, die hin und wieder Lesungen anbietet, sprach ich auf dieses Buch an und ob das nicht mal eine schöne Einladung wäre, die Sabine Rennefanz. Die Buchhändlerin meinte, wer will schon zu einer Veranstaltung kommen wo es um die Geschichte der Vergewaltigung der eigenen Großmutter geht. Diese Antwort hat mir ein wenig die Sprache verschlagen, denn dies so auszudrücken wird weder dem Buch gerecht noch der Thematik, die eben soviel weiter greift. Und wenn Sie es schon so auf den Punkt benennen will, wie sehr hat doch Gewalt an Frauen uns alle geprägt? Wie sehr sitzt diese Gewalt in unseren Genen? Wie sehr die Angst und der Schmerz? Und wie wichtig sind deshalb genau solche Bücher? Und wie wichtig ist es dies auch in die Öffentlichkeit zu bringen!

 

Wenn schlimme Dinge passieren sind diese nicht einfach vorbei, und genau darum geht es in diesem Buch. Das was passiert, ist sehr sehr lange ein Geheimnis und im nachhinein zieht die Autorin vielleicht so etwas wie ein Resümee, im Versuch der Erzählung, die ich immer als ein tasten und suchen empfunden habe, als ein vorsichtig sein, achtsam und bedächtig. Aber genauso finde ich auch einen Willen zur Wahrheit, ein verstehen wollen und sich annähern, genauso wie ein sich neu finden in der Verortung innerhalb der Familienkonstellation, die ja nach dem Lüften des Geheimnisses eine andere ist. Und wie es vielleicht manche Kinder und Enkel von Tätern erleben – dieser Schock, das die geliebte oder gedacht gekannte Person eben auch jemand ganz anderes war.

Was wissen wir Kinder und Kindeskinder schon? Das meiste was wir wissen, wissen wir doch aus den Erzählungen, wenn denn überhaupt erzählt wird. Wieviel wird sich automatisch zusammengereimt aus kleinsten Andeutungen und kleinen Fragmenten um die herum man eine Geschichte wachsen läßt. Vermutlich der Ordnung halber? Oder um sich daran festzuhalten? Um nicht ewig im suchen zu schwimmen?

Wie schwer ist es sich dem Unglück der Vorfahren zu stellen, wie viel schwerer noch sich den Taten der Täter in der eigenen Familie.

Der Großvater kam damals aus der russischen Gefangenschaft zurück…  auch einer meiner Großonkels kam von dort wieder, sehr spät, so wie auch der Friedrich Stein, mit dem man schon gar nicht mehr rechnete. Seine Möbel waren verschenkt und in seinem Haus lebten Flüchtlinge…

Sabine Rennefanz scheint mir soviel zu erzählen wie nötig aber nie mehr. Es bleibt viel Spielraum. Es wird viel in Andeutungen geschrieben, nichts schreckliches ausgesprochen. Und ist nicht gerade das die Stimmung die man auch kennt? Und die einem wenig Halt gibt? …die es auch aushaltbar machen.

Die Andeutungen reichen, und sind vielleicht auch gerade gut weil Raum bleibt für die eigene Geschichte. Das sind doch immer die besten Bücher, also die, in denen man sich selbst ein Stück weit wiederfindet. Und auch ist das schlimme doch gerade wenn es einen selbst betrifft, nicht immer gut aussprechbar, zumindest geht es mir so, und das finde ich auch gut so, da es schützt vor einer weiteren Entblößung.

Und eins wird klar, wie sehr die Vergangenheit, auch wenn sie geheim war, unser Leben heute prägt. Die Menschen prägt und die Art wie Sie leben. Ich bin so vertieft gewesen das ich mit meinen Markierungen gerade nicht viel anfangen kann und von daher hier auch nichts zitieren möchte.

Die 3 Töchter von Friedrich weinen zusammen als er gestorben ist – das fand ich sehr ergreifend und schön, die Mutter der Mutter räumt alles aus dem Haus was Friedrich gehört hat…

Das Buch spielt heute und gestern – an beiden Orten könnte man den Eindruck haben das von verschiedenen Personen die Rede ist, doch nur zusammen ist verständlich um was es geht.  Es muß ein großer Schmerz gewesen sein für die Autorin, aber ich denke es ist auch sehr sehr heilsam darüber zu schreiben und die Geschichte zu erzählen.

Das Buch hat mich sehr berührt. Die Umschlaggestaltung passt ganz wunderbar und ganz hinten auf dem Einschlag findet sich ein wirklich besonderes Foto der Autorin was ich mir lange angeschaut habe, wir sind fast derselbe Jahrgang.  „Die Mutter meiner Mutter“ empfinde ich ähnlich wichtig wie „Die Mittagsfrau„, es läßt sich aber leichter lesen und hinterläßt auch ein bisschen mehr Hoffnung. Diese Bücher sind auch eine Geschichte der Frauen. Und wir Enkelinnen spüren den Schmerz, nicht wie unsere Mütter die verdrängen, abspalten, nicht wissen wollen, so tun als ob und funktionieren, und trotzdem alles an uns weitergegeben haben. Negieren hilft nicht, das ist klar, zumindest uns. Und doch ist gerade das eben auch eine Folge des Traumas das Dinge getrennt sind die ohne das Trauma eine Einheit bilden würden.

Erzählte Geschichte. Die Politik der Kriege und der Unmenschlichkeit, wie Sie sich wiederfindet in den Familien, das wird einem klar mit solchen Büchern. Ich empfinde dieses erzählen als essentiell für die deutsche Identität, auch für die Identität als Frau, denn ich bin auch alle meine Ahninnen, Sie sind alle in mir. Es spielt eine Rolle woher wir kommen.

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Die Mutter meiner Mutter

Sabine Rennefanz

256 Seiten,  19,99 €

Verlag: Luchterhand Literaturverlag

Irmina – Grafik Novel

DSC05666Irmina von Barbara Yelin ist ein wirklich tolles Comic. Mich sprach die Geschichte an und so bestellte ich mir das Buch in der Bücherei und war total baff als ich diesen dicken Brocken vor mir sah – habs grad noch so in meinen Rucksack bekommen, aber damit ist auch der Preis geklärt.

Die Zeichnungen haben mich durchweg sehr angesprochen. Mit einem kräftigen, manchmal suchend erscheinendem, Strich sind die wunderbaren Bilder gezeichnet. In der Nähe ganz grob, erschafft Barbara Yelin doch wunderbare Details die vorallem durch Farbe/Kontraste dargestellt werden.

Die Geschichte spielt ja hauptsächlich in einer düsteren Zeit und das wird durch den dunklen Strich natürlich sehr gut dargestellt – ich bin wirklich sehr begeistert von den Zeichnungen.

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Einige Details – Bitte anklicken zum vergrößeren

Und natürlich hat mich auch die Geschichte gepackt. Nicht nur weil es auch eines meiner Themen ist, sondern weil Sie sehr gut erzählt wird. Es hat mir schon die Tränen in die Augen getrieben. Alle die wir damals nicht lebten, können uns glücklich schätzen.

Achtung Spoiler:

Irmina ist am Anfang des Buches eine junge Frau die eine Ausbildung in England macht – dort aber in Ihrem Umfeld schon ein wenig eine Außenseiterin ist. Mir kommt Sie manchmal ein bisschen schüchtern vor und unsicher. Das lese ich auch sehr aus der Körperhaltung in den Zeichnungen heraus. Sie lernt dann einen jungen Mann kennen, der ebenfalls ein Außenseiter ist, durch seine Hautfarbe. Die beiden freunden sich an und genießen Ihre Zeit zusammen. Durch die politischen Umstände geht Irmina irgendwann das Geld aus und auch Ihre Unterkunft wird gekündigt, so das Sie erstmal zurück nach Deutschland fährt, wo der Irrsinn leider schon voll im Gange ist.

Man versteht es vielleicht nicht ganz warum Sie zurück geht. Aber ich denke es ist sehr schwer für Sie, so allein in England, wo Sie auch nie richtig Anschluß gefunden zu haben scheint und als Deutsche sich immer wieder erklären muß.

Howard Ihr Freund ist sehr mit seinem Studium beschäftigt, und da wo sich Irmina wagt aufzulehnen ist er lieber vorsichtig. Sie bleiben in Kontakt, aber irgendwann kommt ein Brief an Ihn zurück. Und der Kontakt ist nicht mehr da.

Spoiler aus

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Die Geschichte gefällt mir und gleichzeitig macht Sie mich sehr traurig. Eine junge Frau, auch mutig – ein bisschen naiv vielleicht, aber mit Ideen; geht unter im Lauf der Geschichte. Wird auch zu einer Mitläuferin. Aber eigentlich steckt Sie nur in einem normalen Alltag fest, wie soviele Frauen heute auch. Sie heiratet, bekommt ein Kind. Ihr Mann fällt im Krieg, danach bleibt Sie für immer allein, obwohl dieser Mann bestimmt nicht Ihre große Liebe war. Sie scheint mehr auszuhalten als zu leben, und das kommt mir manchmal ziemlich bekannt vor. Es es tut einem im Herzen weh..

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AchtuDSC05670ng Spoiler:

Sehr sehr viel später macht Howard, der Freund von damals aus England aus England Sie ausfindig. Und Irmina fährt nach Barbados. Dort ist Howard ein angesehener Mann und hat im Gegensatz zu Irmina Wohlstand und Familie. Ein wirkliches Gespräch ist nicht möglich…. und trotzdem hinterläßt es ein versöhnliches Gefühl das Irmina nun doch nochmal in Barbados war und beide von sich wissen.

Spoiler aus.

Mein Lieblingsbild ist eines auf dem sehr wenig drauf ist und was auch dadurch sehr viel Stimmung erzeugt.

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Das ganze hat ein, für mich unerwartetes Nachwort, von einem Dr. Alexander Korb. Diesem kann ich mich aber nicht anschließen. Ich lese anderes aus den Bildern.

B. Yelins Stil gefällt mir sehr gut, und zwar so, das ich jetzt nochmal ganz konkret nach Ihren anderen Arbeiten schauen werde. Sie hat auch eine interessante Webseite – Irmina wurde mehrfach ausgezeichnet.

Es gab sogar eine Veranstaltung zum Thema „Comics als Metageschichte – Lesung mit Christina Plaka und Barbara Yelin“.

Wirklich schön diese Mischung von Comic und ernsten Themen – ähnlich wie Michel Kichka – Zweite Generation nur anders eben.

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Irmina

Barbara Yelin

288 Seiten, farbig, 19,5 x 23,5 cm, Hardcover

EUR 39,00

Reproduktverlag

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weitere Rezensionen:

http://www.fr-online.de/literatur/barbara-yelin–irmina–die-ganze-welt-stand-ihr-offen,1472266,28766614.html

http://www.spiegel.de/kultur/literatur/graphic-novel-irmina-ueber-nazizeit-alternative-zu-deutschland-a-1008601.html

Wir sind doch Schwestern

DSC05063Den Schmöker hat mir die liebe Mina von Aig an taigh ausgeliehen – Sie macht übrigens über das Pfingswochenende einen Lesemarathon und man kann mitmachen.

400 volle Seiten, das is ja so mein Ding. 🙂

Es geht um das Leben 3er Schwestern und um den 100. Geburtstag der Einen herum entspinnen sich die Lebensgeschichten der 3 Frauen. Es gibt immer wieder Zeitsprünge von heute zu gestern, beginnend mit dem Jahr 1945. Erst war ich deshlab ein bisschen enttäuscht weil ich grade zuviel mit den Themen des 2. Wk´s beschäftigt bin und dachte och nö nich noch son Thema, aber dann wars ok. Denn das Buch ist gute Unterhaltungsliteratur. Aber auf 400 Seiten für 3 Leute ist der Platz natürlich begrenzt und so wird manches eben weniger ausgiebig erzählt um den Höhepunkten dann etwas mehr Raum geben zu können. Auch wenn sich alles um den 100. Geburtstags Gertruds lang hangelt ist die Hauptperson doch eher Katty. Ihren Namen konnte ich am Schluß schon nicht mehr „hören“. Katty hier Katty dort. Ansonsten sind die 3 Schwestern doch auch ein Buch über die Emanzipation die im Leben so und so passieren kann. Und auch ein Zeugnis dafür wie unterschiedlich sich Wege entwickeln können. Am schönsten sicherlich das alle 3 Schwestern eben diesen besonderen Geburtstag feiern können und nebenbei auch noch Ihre Beziehung aufarbeiten und Frieden schließen mit sich und Ihrer Geschichte.

Michel Kichka – Zweite Generation

Buch-Cover-Michel-Kichka-Zweite-Generation-Was-ich-meinem-Vater-nie-gesagt-habeDer Blog des Autors: http://en.kichka.com/

Und hier beim Verlag findet Ihr eine Leseprobe!

Die zweite Generation berichtet ganz persönliches vom Leben des Autors als Kind eines Überlebenden der Shoa. Man könnte denken ein schlichter Comic, das liest man schnell weg. Tat ich nicht. Ich brauchte inhaltlich 3 Tage dafür. Der Stoff packt einen und das Thema Judenverfolgung und das andauernde Leiden der Überlebenden bohrt sich in einen rein. Aber noch mehr hat mich an dieser Geschichte bewegt wie offen Michel Kichka über seine Familie schreibt. Das er aber immer eines dabei bewahrt -und das ist der Respekt vor dem Leiden, auch wenn er als Nachfolger am Leiden seines Vaters leiden muß bzw.mußte. Es kommen natürlich auch ganz normale Generationskonflikte auf den Tisch und in manchem habe ich mich wiedererkannt, aber was ist das alles schon dagegen das der Vater Auschwitz überlebt hat und bis heute nicht loslassen kann. Ich habe echt Ehrfurcht davor wie er seine Geschichte erzählt – wie mir scheint von allen Seiten betrachtet, mit viel Verständnis aber auch Gefühl für sich selbst – was ich mir vorstelle sicher nicht leicht zu entwickeln war wenn man immer und immer das Thema Auschwitz um sich rum hat. Es geht um seine Kindheit und Jugend in der er und seine Geschwister im Grunde das Leben seines Vaters mitleben sollen, für Ihn ersatzleben sozusagen, es geht um den Selbstmord seines Bruders (vererbtes Trauma?), und darum wie Michel sich auf den Weg machte sein eigenes Leben zu finden, hier und heute.

Am meisten getroffen aber hat mich Seite 84 wo er tiefstes Verständnis für seinen Vater ausrückt, trotz allem. Was kann man jemandem schon ankreiden der soviel Leid erlebt hat, wie kritisch darf man ihm gegenüber sein, wo und wie sich Selbst positionieren. Der Vater klebt an seinem Thema. Das ist mir aus anderen Zusammenhängen auch bekannt das viele Menschen traumatische Themen auf diese Art verarbeiten, was zu einer großen IchWertigkeit führt – viel Nachholbedarf auch des Ichseins, Ich Meinung, Ich Bedürfnisses – sehr logisch. Was vielleicht auch deshalb so zustande gekommen ist weil der Vater eben in der Jugend, was ja mit die prägendste Zeit im Leben ist, dies Schlimme alles erlebt hat. Er ist wohl nie richtig im hier und jetzt angekommen.

Abgesehen von der gut erzählten Geschichte gefällt mir auch sein aussagekräftiger schlichter aber detailgenauer Zeichenstil sehr. Das Buch ist Schwarzweiß gehalten und hat einiges an Text zu bieten.

Wirklich ein gutes Buch zum Thema. Das wäre eine gute Schullektüre, auch weil es als Comic einfach leichter zu fassen ist, bzw man leichter rankommt irgendwie, durch die Art der Präsentation.

Nachtrag 00:50 Uhr

Das Buch ist auch ein Familienbuch. Ein Kind/Eltern Beziehungsbuch, es hat all diese Themen die wir alle kennen. Und es gibt diese Geschichten vor allen möglichen Hintergründen. Ich habe in mir eine peinliche Berührtheit gefühlt als ich diesen Gedanken dachte. Ich merkte wie ich vieles verglich mit meiner Familie und meiner Kindheit, die ich heute auch als teilweise sehr belastend ansehe, allerdings erheblich subtiler als bei Michel Kichka. Es ist schwierig bei solchen Themen zu vergleichen. Ich glaube ein Vergleich passiert vielleicht reflexartig sollte aber dann, wenn er ins Bewußtsein tritt gelassen werden. Ein jeder steht für Sich und auch jede Geschichte steht für sich.

Ich bin keine 2. Generation sondern eine 3. Ich bin kein Kind und kein Enkel von Holocaustüberlebenden. Ich bin ein Enkel von Kriegsüberlebenden. Das Thema Nationalsozialismus hat mich mein ganzes Leben begleitet, ich weiß nicht mehr wann das anfing. Ich weiß das ich Anne Frank gelesen habe und mich auch mit den Schollgeschwistern und der weißen Rose beschäftigt habe, ich lebte ja auch eine Weile in Ihrer Stadt. Aber ich weiß nicht wie das Thema zu mir kam. Klar in der Schule hatten wir das x mal, und es nervte – das hielt mich eher ab von meinem eigenem Weg durch die Zeiten.

Meine Abschlussarbeit in Geschichte damals habe ich trotzdem über die Jugend im Nationalsozialismus geschrieben – also der aktiven Bewegungen. Ich habe, denke ich zumindest, auch so gut wie alles zum Thema gesehen. Mir lag die Geschichte der Juden in Deutschland damals immer besonders am Herzen. Wahrscheinlich weil von Ihnen und Ihrem Leid auch viel erzählt wurde – inzwischen habe ich unzählige Dokumentationen gesehen und viele Interviews, vom jüddischen Leben in Berlin bis New York . Meine Großeltern, unser aller Großeltern wurden ja immer als Täter hingestellt, die gehörten alle zu den Nazis irgendwie – und entsprechend habe ich auch versucht die ältere Verwandschaft auszufragen. Anstatt Sie zu fragen was hast Du erlitten, wie schlimm war das, was ich später sicher auch fragte, war das erste Thema: kanntest Du Juden? Wußtest Du was mit Ihnen passiert, hast Du was mitbekommen? Warum hast Du nichts gemacht? Das hat nicht dazu beigetragen mehr zu erfahren. Von dem was meiner Oma angetan wurde habe ich erst nach Ihrem Tod erfahren. Sie war jung gewesen, genauso wie mein Opa, der wg. einer Behinderung, ein verkrüppeltes Bein, eine schwer Zeit damals hatte – eine Zeit in der die nordische fitte Rasse das Non plus Ultra war (und sein Vater war wohl wirklich ein Nazi), nicht eingezogen wurde – und später immer wieder nach den Angriffen auf Dresden Leichen einsammelte, wie er mir relativ spät, mehr in einem Nebensatz, selbst erzählte. Anscheinend nur mir. Wenn man in einer Stadt wie dieser geboren ist springt die Geschichte einen aus allen Ecken an, die der Jahre damals vor und während des 2. Weltkriegs – ich kannte die Altstadt als Kind noch mit vielen verbrannten schwarzen Trümmern und die Reste der Frauenkirche – das ist heute alles wieder aufgebaut und hübsch gemacht. Und auch die Geschichte der DDR die gerne alte Architektur zerstörte, so wie heute DDR Architektur abgerissen wird. Und wir wissen alle von Verfolgten auch in diesem System.

Als ich klein war, in der 2. Klasse, damals noch in der DDR, bekamen wir, wenn wir lieb waren, von einer Lehrerin Kriegsgeschichten erzählt. Vom brennenden Dresden  – darüber lesen konnte ich erst mit über 30 Jahren wieder. Wir machten damals auch einen Ausflug auf den Soldatenfriedhof – mit 7 Jahren. Das kann ich heute kaum glauben. Ich war immer ein Kind mit blühender Phantasie und malte mir all die Schreckensszenen aus die mir erzählt wurden – ich werde Sie hier nicht wiederholen, ich hab Sie noch sehr genau in meinem Kopf. Hochsensibel eben, mit starker Vorstellungskraft.

Später mit der Klasse, damals vielleicht 14 Jahre alt fuhren wir nach Dachau. Und ich spürte die Energie dieses Platzes ganz genau. Ich stellte mir die Gefangenen vor wie Sie vor Ihren Baracken standen und ein Spalier bildeten, durch das ich ging. Ich konnte an diesem Tag nicht mehr sprechen. Hab nur gefühlt. (und ja auch hierzu habe ich ein paar Filme gesehen). Habe teilweise das Thema richtig aufgesaugt. heute bin ich erheblich vorsichtiger mit dem was ich konsumiere und mir damit ja irgendwie auch einverleibe.

Ich habe nie einen Juden gekannt, war aber immer von der jüdischen Kultur und dem Jiddisch schwer begeistert. Ich mag es das dort so schön gesungen wird. Die Frauen die Religion weitergeben, das es jeden Freitag ein Fest gibt, das vieles auf dem Miteinander sein basiert, und alle irgendwie wohl ein Großfamilie hatten und die älteren Frauen hervorragend kochen und backen. Nunja es erschien mir alles wie ein großes Fest und sehr interessant. Bis auf das mit dem Beschneiden, das finde ich nicht gut. Das mit dem koscherem Essen wiederum finde ich sehr spannend.

Inzwischen weiß ich etwas mehr über die Vererbung von Traumata von Generation zu Generation, habe auch darüber gelesen und spüre die Wahrheit dessen wirklich tief in mir. So wie ich auch an Energien von Plätzen,Gebäuden, Räumen glaube, weil ich es manchmal spüre, hab auch von Geomantie und ähnlichem gehört. Weiß von Kulturellen und Völkertrauma etc. Habe ein Gefühl zu den Fakten entwickelt. Welches sich dann mit dem Wissen irgendwie potenziert und eine Art wissendes intuitives Erleben erschafft.

Die Juden haben eine Kultur über soviel Zeiten der Verfolgung gerettet. Die Deutschen haben in meinen Augen keine Kultur mehr. So wie Lästern, schweißt auch Leiden zusammen. Doch die Deutschen kommen erst in den letzten Jahren auf Ihr Leiden zu sprechen und darauf es zu fühlen. Es ist ein ganz Anderes. Und es ist so wichtig das es jetzt endlich auch nach oben kommt. Man muß durch diese Tiefen der Verarbeitung hindurch bevor man wieder an einen Aufbau, z.B. von eigener Kultur denken kann. Das Leiden, die Schmerzen, die Trauer möchten und müssen gefühlt werden. Die Deutschen sind für mich gesamt betrachtet ein Volk was schweigt, verdrängt, negiert, was sich getrennt hat von seiner Geschichte die der Nationalsozialismus aufs schlimmste beschmutzt hat. Und ich denke wir müssen uns diese Geschichte unserer Ahnen wieder aneignen, denn hier liegt unsere eigene Weisheit verborgen. Auch die Volksweisheit. Und ich denke danach sehnen sich viele Menschen, die, die gute Yoginis werden wollen oder sich heilsversprechenden Kulturgütern fremder Völker zuwenden, weil das eigene fehlt, weil dort eine große Wunde klafft. Auch wenn ich an kulturelle Vererbung glaube muß  auch Eigenes erobert werden, immer wieder neu. Beides ist wichtig. Wurzeln und Flügel. Und davon erzählt Michel Kichka auch.

Der Trafikant

DSC04360Charmant ist das Wort was für mich dieses Büchlein nach dem ersten Lesen, am besten beschreibt. Bis ca. 3/5 des Buches ist es recht leichte und nette Lektüre, trotz der Zeit in welcher die Geschichte spielt. Umso härter kommt es dann.

Das Buch hat mir das ein und andere Lächeln ins Gesicht gezaubert. Doch dann wendet sich das Leben hier schlag auf schlag – von der Ahnung war schon vorher die Sprache. Als Einschlaflektüre gedacht fesselte es mich so sehr das da nix mehr mit schlafen war und ich nur schwer aufhören konnte. Allerdings wird es leider nicht leichter, was da erzählt wird.

Ich hatte irgendwie ein bisschen was anderes erwartet anhand des Umschlagtextes. Aber so ist es ja oft. Aufjedenfall kann ich es sehr empfehlen auch wenn es kein fröhliches Buch ist. Herr Seethaler hat eine sehr schöne Erzählsprache und schafft es ganz wunderbar atmosphärisch den Leser/die Leserin hineinzuziehen so das fast eine eigene Sinneswahrnehmung stattfindet. Wirklich schön und so lesenswert. Also der Autor interessiert mich jetzt sehr. Ich frage mich ob er auch Hochsensibel ist oder einfach die richtigen Wörter an die richtigen Stellen gesetzt hat. Aber ich denke so eine Sprache muß man im Gefühl haben die läßt sich nicht wirklich bauen und lernen, sondern das hat man und kann man, oder nicht.

Ich möchte das Buch gerne weitergeben und verlose es zum Nikolaus. Wenn Du es gern haben möchtest schreibe bitte einen Kommentar. Die Auslosung findet am 6.12. statt. 🙂

Beste Grüße für einen schönen 1. Advent morgen.

Ps.: lustigerweise kam justamente gestern im Radio ein Bericht über den Pilgerort in London – wo Freud damals hingeflüchtet war, über sein Haus im Stadtteil Hampstead, wo heute seine Couch zu bewundern ist. Viele Fans kommen von weither gereist und manch einer hat wohl heftige Gefühlsausbrüche wenn er davor steht. Hat sich wahrscheinlich die Energie abgespreichert, in diesem Möbelstück.

Freud wählt nicht lange nach seiner Flucht den Freitod – er litt viele viele Jahre an Gaumenkrebs und konnte am Ende kaum noch sprechen. Wie natürlich das früher möglich war. Das wünsche ich mir auch für heute.

Nachtrag:
Was mich im Nachgang stört am Buch ist der extrem positive Blick auf Herrn Freud, der für die psychische Gesundheit von Frauen leider nicht sehr förderlich war. Er prägte den Begriff der Hysterie neu, der bis in die 50 Jahre hinein pathologisch verstanden wurde. Als Diagnose wurde es später ersetzt, anders benannt.
Freud hatte viele Klientinnen, und viele waren von Missbrauch betroffen, auch damals tief verankert in der Gesellschaft, die damals ja noch von Männern beherrscht wurde. Dieser Missbrauch wurde als Phantasie umgedeutet von Freud, weil er damit besser ankam bei seinen Kollegen. Aufschlussreiches lässt sich bei Liv Strömquist und Sandra Konrad dazu nachlesen.
Bis heute prägt dieser Begriff die Gesundheitsfürsorge für Frauen, immer noch werden sie schnell als hysterisch bezeichnet anstatt das man genauer schaut was Sache ist. Hysterie ist ein abwertender Begriff gegenüber des Lebensausdrucks von Frauen – in Hinblick auf das Frauenleben im Lauf der Geschichte fatal.

Ein Maler aus Deutschland

Ich lese momentan das Buch über Gerhard Richter. Bin dabei auch nochmal auf seine tollen Kataloge gestoßen…ein bisschen beneide ich Herrn Richter das er mit soviel Farbe auf Leinwand malen kann.

Zum Buch: Jürgen Schreiber wird im Klappentext als einer der besten Investigativen Journalisten Deutschlands bezeichnet. Investigativ: von lateinisch investigare ‚aufspüren‘, ‚genauestens untersuchen‘. Ok das war klar, ich habs trotzdem nochmal nachgeschlagen, weil ich bei der Lektüre das Gefühl hatte das Wort Investigativ falsch verstanden zu haben. Momentan bin ich auf Seite 95 angekommen. Und es wurde mehr über seine Tante und die Umstände drumrum berichtet als über Gerhard Richter. Ich hoffe das kommt noch.

Mir geht ganz eindeutig das Gedeutele von noch so kleinsten Begebenheiten in diesem Buch echt auf den Senkel. Deswegen werde ich es wohl auch nicht so richtig zu Ende lesen, sondern eher quer. Für mich hat das sowas schleimiges und überdramatisierendes, sehr unangenehm.

Die Geschichte der Tante und Ihrer Schizophrenie und überhaupt der Vernichtung von soviel Leben was von den Nazies als unwert empfunden wurde ist furchtbar genug. Es ist lächerlich dieses Drama noch mehr steigern zu wollen. Was für mich interessant war, war das da viel in Arnsdorf und Pirna stattgefunden hat, was mir so noch nicht ganz bewußt war. Aber nun ist mir auch klar warum ich beim Namen Arnsorf immer so ein komisches unangenehmes Gefühl hatte. Interessant, die Tante war wohl mit der Malerin Elfriede Lohse-Wächtler zusammen weggesperrt worden, also Sie waren auf der gleichen Station gefangen. Sie wurden beide umgebracht, wie noch viele tausende Menschen mehr.

Mal schauen was sich noch über den Maler erfahren lässt aus diesem Buch.

Beitrag zu Euthanasie bei Kindern auf der ARD http://www.ardmediathek.de/tv/Selbstbestimmt/Selbstbestimmt-Die-Reportage-Die-verge/MDR-Fernsehen/Video?bcastId=7545356&documentId=30544750

zu sehen bis 13.9 2016

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