Wenn ich lese das es um etwas Feministisches geht, werde ich erstmal hellhörig, aber gleichzeitig bin ich auch verhalten und sehr skeptisch. Denn allzu oft wird in unseren aktuellen Zeiten der Begriff Feminismus missbraucht. Wenn Feminismus draufsteht heißt es nicht das welcher drin ist, überall muss man heute sehr genau hinschauen.
„Einzeller“ von Gertraud Klemm hat mich diesbezüglich unglaublich positiv überrascht. Wir begegnen einer neu gegründeten Wohngemeinschaft. In dieser Gruppe von 5 Frauen kennen sich bereits 3 schon, 2 neue Frauen kommen dazu. Ich würde behaupten ein ganz schönes Wagnis, für so etwas intimes wie eine Wohngemeinschaft. Zwei der Frauen werden wir nahe kommen. Da ist einmal Simone, eine ältere Frau und Radikalfeministin und da ist Lilly eine junge „tolerante“ Frau, heute nennt man es woke – nicht radikalfeministisch, versteht sich aber selbst schon als feministisch.
„Sie werden hier ihre WG auf Schiene bringen. Eine WG ohne Kinder. Eine WG mit Vorbildfunktion. Eine kleine Revolution, die aus ihrer Hosentasche kriechen darf. Jetzt oder nie, …“
Simone hat intensiv gelebt, ist inzwischen Oma und eine Frau mit Ecken und Kanten, hat sich immer für ihre Ideale und die Frauenrechte eingesetzt und ist gradeaus was ihre Meinung angeht – dafür istz sie bekannt. Es liegt eine gewisse Hoffnung in diesem neuen feministischen Wohnprojekt welches sie startet. Lilly dagegen ist eine dieser jungen Frauen die stark auf die ethischen Aspekte ihres Nutzungsverhaltens und Konsums achtet, auch weil sie es sich leisten kann, es dauert bis ihre Ansichten ganz klar werden. Sie findet Frauen wie Simone … ah ne, das kann ich nicht verraten, das wäre zuviel Spoiler. Aufjedenfall sind sie ziemlich gegensätzlich, diese beiden Frauen, die wir in den abwechselnden Kapiteln näher kennenlernen.



Die WG bekommt einen Tv Deal – eine Sendung in der verschiedene feministische Wohnprojekte zu Wort kommen sollen. Nur das die anderen beiden Projekte nicht feministisch sind, aber irgendwie doch als solche gelten. Die Leute vom Fernsehen kommen zu ihnen nach Hause, bringen Gäste mit und bestimmen so in gewisser Weise die Themen über die gesprochen wird. Etwas was Simone, verständlicherweise wurmt.
Die neu entstandene Wg sitzt nun zusammen am Tisch – und gleichzeitig erscheint sie auf den Bildschirmen der Zuschauer. Hier zeigt sich schnell wie die Frauen denken und Differenzen werden deutlich.
Während das Projekt voran geht, dürfen wir den Gedanken von Simone „lauschen“, und es gibt soviele tolle Sätze und Abschnitte zu vielen wichtigen Themen und Debatten, richtig richtig gut. Für mich eine Freude, so radikalfeministische Gedankengänge in der Fülle in einem Roman zu lesen. Debatten die ich auch verfolge, bei denen ich meine Meinung vertrete. Eine sehr schwierige Position in unserer patriarchalen Welt. Und die Hauptprotagonistin ist manchmal so verdammt müde von all diesen Kämpfen und vom Abarbeiten am System Patriarchat. Die Mehrheit verschließt die Augen davor. Und die Wohngemeinschaft ist sich hier scheinbar nicht so einig. Hinzu kommt das Simone jede Menge Hassbotschaften per Email abbekommt und sie sich Gedanken macht wie es weitergehen soll.
Lilly hadert mit ähnlichem, aber ist vorallem mit ihrer Beziehung beschäftigt und wie sie unabhängig von ihrem Vater leben kann, und zwar ihr eigenes Leben und nicht das, welches die konservativen Eltern für sie vorgesehen haben. Während ihr Freund auf Reisen ist um die Welt zu verbessern verändert sich einiges ganz Grundlegendes für sie.
Man kommt den beiden Frauen nahe und es wurde immer schwieriger das Buch wegzulegen, so spannend entwickelt sich die Story. Die Geschichte ist eine voller Umbrüche und Veränderungen, die die Schwierigkeiten des Frauenlebens aufzeigen. Auch heute noch macht es eben den Unterschied ob man als weiblicher Mensch auf die Welt kommt.



Die Feministinnen haben so viel geschafft zu verändern, aber es geht so verdammt langsam und viele Themen stecken fest, weil es strukturelle Probleme sind, die von der Gesellschaft angegangen werden müssen. Wieviel Wahl hat eine Frau heute wenn es um Beziehung, Geld und Kinder geht? Warum sind immer noch soviele Frauen von schlechten Arbeitsverhältnissen und Armut betroffen? Was ist mit den Queers und Transleuten und denen die sich als moderne Feminsitinnen bezeichnen und die Kämpfe die ausgefochten worden nicht anerkennen, geschweige denn die Grenzen, die Frauen setzen, zu akzeptieren? Was ist Toleranz wenn sie keine Grenze mehr hat, und plötzlich kopftuchtragende religiöse Frauen und die „Sex is Work“ Fraktion den Feminismus verdrehen und alles irgendwie empowernd wird, was eigentlich nur alte patriarchale Muster in neuem Kostümen sind?
„Komm schimpf mich. Sag SWERF und TERF zu mir.Komm und hass mich auf einer Stellvertreterebene, die für uns nichts anderes als Theorie ist. Komm stell diesen ganzen Scheiß zwischen uns, damit wir über nichts anderes mehr reden.“
Wie ist das mit den Frauen die ihr Leben lang für den Feminismus gekämpft haben und was ist mit denen die schon von vornherein keine Zeit und Kraft dafür hatten, auch weil sie einfach mit ihrem Alltag als Frauen voll ausgelastet und überlastet sind? Wer führt die Debatten und wer nicht? Und wie ist das eigentlich mit dem Stand der Frauen ganz allgemein in unserer Gesellschaft?
Die Protagonistin schrieb schon ihren Geschichts-Studentinnen früher folgendes:
„Es geht nicht um ein bisschen Feminismus. Es geht um das Hinzufügen einer fehlenden Dimension. Ohne Mitdenken des weiblichen Parts bleibt die Geschichte eine zweidimensionale Darstellung.
…. Frauen wurden aus dem historischen, spirituellen und wirtschaftlichen Weltgeschehen und sogar aus der Sprache geschnitten. … Das ganze Leben und Leiden wird ausgelassen, die Frauen werden ausgelassen. … nie schreiben sie mit.“ Und leider ist es heute immer noch und wieder so,
Ein Buch, eine Geschichte, aus dem Leben einer Feministin inmitten des Patriarchats – absolut aktuell und am Puls unserer Zeit.
Es hätte noch Raum gegeben z.B. für die Beziehungen untereinander in der Wohngemeinschaft, dann wenn die Kamera nicht dabei ist. Die Geschichte erzählt das Nötigste – und so schnell die Wg sich gründet so schnell ist das gemeinsame Kapitel wieder vorbei – wie man heute so sagt: aus Gründen! Ein Grundproblem schlechthin, verschiedene Meinungen und Ansichten sind heute wohl nicht mehr tragbar. In Themenfeldern wo es um ganz Grundsätzliches geht ist das auch schwierig.
Wer wissen will um was es in den aktuellen Diskussionen im Feminismus geht und was dahinter steckt, und wie es damit läuft dem sei das Buch sehr ans Herz gelegt.
Es ist kein Schmöker zum festlesen im eigentlichen Sinn, 308 Seiten, sondern für mich die Essenz eines feministischen Lebens, knapp und unterhaltsam, auf den Punkt, wieder ein gutes Buch von Gertraud Klemm, erschienen im Kremayr&Scheriau Verlag.


