Die Wut die bleibt

Meine exellente Badewannenlektüre
der letzten Wochen.

Dieses Buch hat tatsächlich etwas Magisches, obwohl es im Grunde genommen um das ganz profane alltägliche Leben von Frauen geht. Es beginnt mit einem Tod, dem Tod einer Frau und Mutter. „Mal wieder“ dachte ich, muss eine Frau sterben für eine Geschichte. Vielleicht ist es euch selbst schon mal aufgefallen, wie sehr die toten Frauen und Mädchen verbreitet sind, ob im Buch oder in Serien und Filmen. Man muss nur mal in die Mediathek schauen.

Der Unterschied hier im Buch ist der, daß die Tote immer wieder auftaucht und sich mit ihrer besten Freundin unterhält bzw. ihre beste Freundin sich mit ihr. Ihre Erscheinung begleitet sie durch das erste Jahr dieses großen schrecklichen Verlustes.

Es geht um Mütter, Mutterschaft, Nichtmutterschaft, das Tochtersein, um Frauenfreundschaft und die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft. Das magische sind die unterschiedlichen Perspektiven des weiblichen Lebens. Ich habe mich in so Vielem wiedererkannt, das war schon erstaunlich. Die weiblichen Figuren und ihr Erleben sind in so vielen Facetten dargestellt, daß sich sicher jede Leserin irgendwo wieder findet. Es gibt die Rolle der Tochter, die der Mutter und die der Kinderlosen Frau und ganz wichtig die beste Freundin.

Die Tote lässt 3 Kinder zurück und ihren Mann und ihre beste Freundin. Die beste Freundin und die älteste Tochter sind die Hauptfiguren in diesem Buch. Sie berichten von sich, wir lauschen ihren Gedanken und sie erzählen auch vom Leben mit ihrer Mutter und Freundin, und davon wie es ist so einen großen Verlust zu erfahren. Alle müssen sich neu verorten, sich selbst neu finden in der neuen Ordnung, mit dieser großen Leerstelle.

Es war eine Freundschaft, wie sie nicht allzu oft vorkommt. Sie war lang und sehr eng. Die beiden Frauen kannten sich schon als junge Mädchen. Der Verlust ist für alle dramatisch, doch für die Tochter und die Freundin am schlimmsten. Sie kannten Helene am besten, standen ihr am nächsten. Der Mann glänzt in der ganzen Story vor allem durch seine Abwesenheit. Die 2 kleineren Kinder können kaum verstehen, was passiert ist. Carearbeit und Caregap realistisch geschildert, mittendrin im großen 24/7 Job mit Kind und Kegel finden wir uns wieder.


Frauen wie wir und wie wir sie kennen. Frauen mit Träumen und Ideen, die dann aber doch in alten Mustern landen und sich anpassen, ergeben und versuchen da durch zu kommen. Die sich auch fragen wie das eigentlich passieren konnte und wann es vorbei war mit ihren Idealen.

Es ist schön, die zwei sehr unterschiedlichen Figuren der Freundin und Tochter durch das Buch zu begleiten. Sarah ist Schriftstellerin und schreibt gefällige Bücher, mit denen sie Erfolg hat, führt ein gutes eigenständiges Leben und beneidete ihre Freundin trotzdem immer um ihre Familie. Sie hatte die Hoffnung, dass sie und Helene ihre Tochter Lola vielleicht zusammen aufziehen würden. Aber dann kam ein neuer Mann in Helenes Leben. Helene, deren Name „die Leuchtende“ bedeutet.

Eine Geschichte, wie sie tausendfach passiert. Und die sehr viel über die Emanzipation erzählt. Nämlich das, daß die alten Muster weiblicher Unterwerfung noch unglaublich lebendig sind. Das Frauen immer wieder mit Männern eine Familie bilden und sich dann doch um alles alleine kümmern, anstatt sich mit Freundinnen zusammenzutun und sich die Familienarbeit zu teilen. Und so ging es auch Helene. Helene die am Ende mit ihren 3 Kindern Hausfrau war und sich durch jeden Tag kämpfte anstatt ihren Träumen zu folgen, bis sie nicht mehr konnte.

Sarah übernimmt nach dem Tod der Freundin und kümmert sich.

Lola ist die älteste Tochter und in dem Alter, in welchem man alles hinterfragt, was einem die Erwachsenen so servieren. Für sie war das Leben in der Patchworkfamilie nicht immer einfach. Sie kontrolliert ihr Essen und achtet extrem auf ihr Gewicht, so als wöllte sie keinen Platz einnehmen oder wegnehmen, unscheinbar bleiben. Und auch sie hat eine allerbeste Freundin.

Freundschaft ist ein ganz großes Thema dieser Geschichte. Und die Freundinnen haben die Nähe, die in einer Standardfamilienkonstellation nicht zu finden ist, dort zwischen den Frauen und Mädchen findet sich die Geborgenheit und der Funken Verrücktheit, den man für ein gutes Leben braucht.

Lolas Leben verändert sich nach dem Tod der Mutter sehr. Sie und ihre beste Freundin lernen eine Clique Mädchen kennen und beginnen zusammen einen Verteidigungs- und Boxkurs, der ab nun eine wichtige Rolle spielt. Lola ist ne ziemlich coole Socke, und feinfühlig und klug. Im Grund ist sie Feministin, auch wenn man am Anfang denkt, daß es eher um Wokeness geht, und dazu leider auch am Ende noch ein kleiner Wink kommt, den man sich hätte ersparen können. Das ist der einzige kleine Wermutstropfen in diesem Buch, über den ich aber hinwegsehen kann, bei all der Frauenpower und Frauenliebe und Warmherzigkeit.

Lola und ihre Freundinnen sind feministischer als ihre Mutter und Sarah, die beide keine so guten Vorbilder sind.
Die ganze Geschichte ist eine Feministische. Es geht darum, den eigenen Weg zu finden, sich zu befreien, sich nicht ausnutzen zu lassen, laut zu werden, Tacheles zu reden und Stellung zu beziehen. Das artet in der Mädchenclique heftig aus. Es wird brutal und gewalttätig auf dem Weg der Selbstermächtigung und Rache und große Veränderungen halten Einzug.

Für mich am strahlendsten waren die Zwiegespräche zwischen Sarah und ihrer toten Freundin Helene. Die Reflexionen und Rückblicke die die Weichen nun neu stellen. Alles großartig erzählt von Mareike Fallwickl

Für mich am strahlendsten waren die Zwiegespräche zwischen Sarah und ihrer toten Freundin Helene. Die Reflexionen und Rückblicke von Sarah und Lola, die die Weichen nun neu stellen. Alles absolut großartig erzählt von Mareike Fallwickl. Eine unbedingte Empfehlung von mir. Mir sind X Frauen eingefallen denen ich am liebsten das Buch schenken würde.


#LiteraturvonFrauen

Mareike Fallwickl
Die Wut die bleibt
Rowohlt Verlag

Der Verlag sagt zur Autorin folgendes

Mareike Fallwickl, 1983 in Hallein bei Salzburg geboren, arbeitet als freie Autorin und lebt mit ihrer Familie im Salzburger Land. 2018 erschien ihr literarisches Debüt „Dunkelgrün fast schwarz“ in der Frankfurter Verlagsanstalt, das für den Österreichischen Buchpreis sowie für das Lieblingsbuch der Unabhängigen nominiert wurde. 2019 folgte der Roman „Das Licht ist hier viel heller“, dessen Filmrechte optioniert wurden. Sie setzt sich auf diversen Bühnen sowie Social-Media-Kanälen für Literaturvermittlung ein, mit Fokus auf weiblichen Erzählstimmen.

Für mich war es das erste Fallwickl Buch, ich denke weitere werden folgen.


Weg vom Fenster


Zuerst oder als Letztes?
Kommt drauf an von wo aus du das betrachten willst.
Wer geht vor? Oder was?
Über den Jordan. Hoffentlich denkt jemand an die Münze.
Und kommt jemand nach? Auf die andere Seite.
Und ob ich das dann noch weiß?
Erster, Erster schreit das Kind und klatscht ab.
Wenn ich zuerst sterbe? Der Tod ist doch eh das Letzte.
Eine todernste Sache das Ganze, is klar.
Irgendwann geht das letzte Lichtlein aus.
In der Reihe von vielen mach ich mich vom Acker.
Also zuerst sterb ich schonmal nicht.
Wenn ich ins Gras beiße,
dann schau ich mir die Blümchen von unten an.
Vielleicht spring ich vorher dem Tod auch nochmal von der Schippe
bevor ich von dannen geh.
Über die Klinge, die Grätsche gemacht.
Irgendwann steig ich in die Kiste und hör die Englein singen
Oder geb ich auch den Löffel ab?
Nur welchen, von der langen Liste?
Hab dann wohl mit dem Leben bezahlt und die Kurve gekratzt
Vorher segne ich aber auf jeden Fall das Zeitliche,
in den letzten Zügen.
Hopps gegangen
So oder so
Vor allem sanft entschlafen möcht ich sein.
Und dann komm ich als Geistin zu Besuch,
Buh huuuh

Bild von mir – die Blümchen von unten anschauen und als Geistin zu Besuch kommen

Dies ist mein Beitrag zur November-Blog-Aktion vom Totenhemdblog

Es war mir wie immer eine Freude dabei zu sein.

Thema Löffelliste, was das ist, einfach auf den Link im Text klicken.

Die Grasbeißerbande

Kinder und Hospiz, zwei Wörter die man nicht gern in einem Satz zusammen liest. Aber auch Kinder sterben, und ich bin froh das es Hospize gibt. Jedem Mensch sollte es möglich sein an seinem Lebensende einen Platz in einem Hospiz zu bekommen. Hospize sind Häuser, die am Ende der Lebenszeit die Menschen umsorgen und auf ihrem letzten Weg begleiten. Auch Zugehörige finden hier Fürsorge.

„Kinderhospizarbeit ist ein Versprechen, betroffene Kinder und Jugendliche und deren Familien auf ihrem Weg bis zum Ende zu begleiten. Das erfordert den Einsatz von Zeit und Geld. Ohne den unermüdlichen Einsatz von mehr als 80.000 ehrenamtlich Tätigen, wäre dieses Versprechen nichts wert. Darüberhinaus müssen bis zu 70% der anfallenden Kosten für diese bedeutsame Aufgabe durch Spenden finanziert werden.“

Ein Grund warum es nun das Buch „die Grasbeißerbande gibt. Die Autorin und der Autor, das Ehepaar Stanberger sind über einen Freund auf das Thema aufmerksam geworden und stellen ihr Projekt gleich am Anfang des Buches vor.

In jedem Jahr sterben ca. 5000 Kinder noch vor ihrem 15. Lebensjahr an einer lebensverkürzenden Erkrankung.

Das Sterben ist vielen Menschen fremd geworden, es gehört nicht mehr zu unserem Alltag. Und das Sterben von Kindern wird noch weniger thematisiert. Der Tod und die damit verbundenen Themen sind meist raus aus den unmittelbaren Lebensumfeldern, hinein in Kliniken und Heime. Das Hospiz ist hier eine positive Ausnahme, denn Hospize widmen sich dem Sterben in seiner Ganzheit, geben den Menschen noch Lebensqualität bis zum Schluß, soweit wie es möglich ist. Als ich vor vielen Jahren die wunderbare Wanderausstellung „Erzähl mir vom Tod“ hier in Dresden begleiten durfte, habe ich das erste mal ein Hospiz besucht und war sehr angetan von dieser Arbeit und empfinde diese Räume als ungemein wichtig.
Ebenso wichtig wie den Tod wieder mehr Raum zuzugestehen im alltäglichen Leben. Ich habe z.b. in meiner Kindheit und Jugend niemanden wirklich trauern erlebt und auch meinen ersten toten Menschen erst sehr spät im Erwachsenenalter gesehen, obwohl meine Mutter beruflich mit dem Thema zu tun hat.

Das der Tod uns so fern geworden ist, macht es oft schwer darüber zu sprechen oder sich damit auseinander zu setzen. Ich muß sagen auch ich persönlich habe Angst vorm sterben.
Dabei ist es – so schlimm es auch immer wieder scheinen mag – etwas, was zum Leben unabdingbar dazugehört.
Mit dem Buch „Die Grasbeißerbande“ haben die Autoren sich ein doppeltes Tabuthema vorgenommen – den Tod und den Tod von Kindern. Denn in der „Graßbeißerbande“ geht es um Kinder die sterben. Es ist ein herzzerreißendes Buch was einen mittenrein trifft. Auf jeder Doppelseite gibt es ein Kinderbild und die Frage eines Kindes.

Ich war wirklich in dem Irrglauben das Kinder das mit dem Sterben irgendwie besser greifen können, …vielleicht weil sie noch nicht so lange am Leben sind? Vielleicht noch eine Verbindung zu den Welten haben die vor der Geburt oder nach dem Tod kommen. Aber wenn ich mir die Fragen durchlese wird mir so schwer ums Herz – und grade jungen Menschen fällt es wahrscheinlich sehr schwer sich vom Leben zu verabschieden : „Weint Batman auch?“ fragt Timo 5 Jahre alt oder Jennifer, 13 Jahre fragt: „Wird mit mir auch meine Liebe zu dir begraben?“

 Ich kannte noch kein Kind persönlich was gestorben ist, aber über die Ferne. Und vielleicht haben auch manche von den kleinen Erdenbürgern ihren Frieden machen können. Bei alten Menschen kann man sagen „sie haben ihr Leben gelebt, hatten ihre Zeit“, aber bei Kindern… Sterben ist wohl nie einfach. „Die Gradbeißerband“ ist aufjedenfall ein Augenöffner. Und es ist gut das dieses Projekt das Thema Kinder und sterben aufnimmt und sich für Kinderhospizarbeit engagiert.
Am Ende des Buches gibt es viel Platz und einige Seiten ganz für dich und deine Beschäftigung mit dem Thema Tod und Sterben. Vielleicht der richtige Platz für eine Reflektion.

Hier könnt ihr durch den Buchkauf unterstützen:

Zur Buchbestellung – und damit gleichzeitigen Unterstützung der Hospizarbeit: https://www.grasbeisserbande.de/produkt/die-grasbeisserbande/

Hier gibt es noch einen Film zur gleichnamigen Ausstellung zu sehen – er ist eingebettet in die Körperweltenaustellung, von der ich kein Fan bin und deswegen nur den Link hier poste und nicht den Film. Du kannst ja weiterklicken wenn du magst: https://www.rnf.de/mediathek/video/wenn-kinder-ueber-den-tod-sprechen-die-grasbeisserbande/

Und hier könnt ihr direkt für die Hospizarbeit spenden bei der Grasbeißerbande

SPENDENKONTO

IBAN
DE24 4265 0150 0090 2508 46

BIC/Swift-Code
WELADED1REK

Sparkasse Vest Recklinghausen

BLZ 426 501 500
Kontonr. 902 508 46

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Die Grasbeißerbande
Das Sterben wieder ins Leben holen
22,95 €
https://www.grasbeisserbande.de/

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https://www.evangelische-zeitung.de/nachrichten/top-thema/news-detail-top-thema/nachricht/was-die-grasbeisserbande-noch-wissen-moechte.html

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https://www.zeit.de/2017/47/tod-kinderliteratur-thema-konfrontation

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Zum Tag des Friedhofs – Lebensraum Friedhof

Der alte Friedhof

 

Ich wohne gegenüber von einem alten Friedhof, teile dieses Areals sind etwas verlottert und unglaublich charmant. Es wachsen dort sehr unterschiedliche Bäume und Pflanzen. Viele alte große Exemplare, viele Buchen und Eichen, Ebereschen, Birken und die üblichen Nadelhölzer. Überall finden sich Farne und Gräser. Riesige Koniferen sind längst über die Gräber hinaus gewachsen. Eibenbüsche überdecken wie Höhlenwände alte Familiendoppelgräber, Rosenstöcke schlagen aus.  Im Unterholz hört man es rascheln, viele Amseln waren dort die letzten Jahre zu sehen. Katzen gehen auf den schmalen Pfaden zwischen den Grabreihen spazieren, vorbei an rostigen Zäunen, die gerne mal von Baumstämmen überwachsen wurden. Soviel gibt es hier auf diesem Fleckchen Erde zu entdecken, jedes Jahr wieder etwas Neues.

 

Auf dem Friedhof meiner Kindheit – Neuer Annenfriedhof Dresden

Ich hatte schon immer ein besonderes Verhältnis zu Friedhöfen. Vielleicht hängt das damit zusammen, daß man mit mir als Baby und Kleinkind gern auf dem Friedhof spazieren ging – ich sehe auch heute noch viele Eltern mit ihren Kleinkindern. Eine der wenigen Erinnerungen an meine Oma väterlicherseits ist auch ein Aufenthalt auf dem Friedhof. Wir haben dort die Spatzen gefüttert.
Der Friedhof meiner Kindheit hatte eine riesige und phänomenale Allee. Noch immer gibt es von einem Teil meiner Familie dort ein Grab. Vor einigen Jahren habe ich ein kleines Ahornbäumchen gepflanzt. Der Friedhof ist immer noch so schön. Leider komme ich nur selten hin. Wird Zeit das ich mal wieder vorbeischaue, auch um zu kucken ob das Ahornbäumchen den heftigen Sommer überstanden hat.

Weinende Frauenfigur

Dafür fühle ich mich meinem Friedhof hier sehr verbunden. Man eignet sich Orte einfach auch an, wenn man sie lange kennt und immer wieder über die Jahre die gleichen Wege geht, die Jahreszeiten verfolgt und all die kleinen und großen Veränderungen. Es gibt viele alte Gräber, wunderbar restaurierte und extrem verfallene – das Geld reicht nicht um alles zu erhalten. Alte Bildhauer- und Steinmetzkunst aus den verschiedenen Zeiten sind auf „meinem“ Friedhof zu bewundern, und auch ganz moderne Grabsteine.

Mein Lieblingsgrabstein ist ein Würfel auf 4 Stahlbeinen. Im Würfel gibt es tiefe Löcher. Manchmal steckt dort eine Feder drin oder eine Blume. Oben auf dem Stein ist eine kleine Kuhle, hier sammelt sich das Wasser, eine Tränke für Insekten und Vögel. Ich geh oft auf dem Friedhof meine Runde und fast immer an diesem Grab vorbei. Es ist sehr liebevoll gepflegt.
Manche Gräber sind das leider überhaupt nicht. Hin- und wieder pflanze ich dort bei den kahlen Gräbern etwas oder verteile ein paar gesammelte Samen wie z.B. von der Akelei, die es in vielen Farben auf dem Friedhof gibt. Im Sommer gieße ich auch hier und dort und fülle vor allem die Wasserschälchen auf, von denen es für die Tiere viel zu wenig gibt.

Dieser ganz besondere Platz so mitten in der Stadt, dieser Friedhof mit seinen vielfältigsten Pflanzen und Tieren, Raum für Insekten und Vögel, ist ein ganz eigener Lebensraum. Hier treffen sich Tod und Leben, über den Jahreslauf, und an den Gräbern die Menschen und ihre Erinnerungen. Die Natur als Lehrmeisterin schlechthin wenn es um das werden und vergehen geht. Naturbetrachtung ist im Grunde genommen Therapie.

 

Ich selbst habe hier auf dem kleinen Friedhof schon Leben gerettet: Bienen und Vögel die in den Wassertonnen am ertrinken waren. Und eine Amsel habe ich beim Sterben begleitet, für mich ein sehr intensiver Moment. Hin- und wieder treffe ich auf eine kleine Katze ohne Schwanz, wir kennen uns so gut, das wir ein Stück miteinander gehen und etwas streicheln darf ich auch. Die anderen Katzen gehen den Menschen lieber aus dem Weg, oft sind sie wahrscheinlich auch auf der Jagd.
Im hinteren Teil wohnte auch ein Eichhörnchen, gesehen habe ich es nur selten, aber manchmal knuspern gehört, wenn ich dran denke nehme ich ein paar Nüsse mit. Und wie oft in den Abendstunden gab es wunderbare Vogelkonzerte. Und auch die Menschen lassen sich nicht lumpen, auf vielen Beerdigungen spielt eine wunderbare Blasmusik auf, mit den schönsten Stücken, hab inzwischen ein ganz anderes Verhältnis zur Blasmusik gewonnen, weil es immer wieder so gut klingt und ergreifend ist, hier zuzuhören zwischen den alten Bäumen und Gräbern.

Ich finde diesen Lebensraum so wichtig. Wieviele Pflanzen und Kräuter habe ich im Laufe der Jahre hier entdeckt, viele Heilpflanzen sind dabei. In unserer Zeit wo die Städte zugepflastert sind und überall auch noch die letzten Brachen bebaut werden, sind diese kleinen Biotope umso wichtiger. Ein wenig Ruhe, Besinnung und eben Platz für all die Tiere. Bäume die unsere Luft reinigen und frischen Sauerstoff schenken, so wichtig, auch für unser Stadtklima. wie ich finde ein unterschätztes Thema. Auf dem Friedhof kann ich Luft holen, zwischen all dem Grün. Ganz besonders denke ich auch an die Insekten, Bienen und Vögel – sie werden immer weniger, Friedhöfe sind enorm wichtig für sie. Diese Räume müssen geschützt werden, auch für uns und inklusive der Ruhe, die es zu bewahren gilt. Hier bei meinem kleinem Friedhof führt nun leider eine neue Bahnlinie entlang und viele lange und laute Güterzüge stören über den Tag und auch die Nacht, es wurde nicht daran gedacht einen Lärmschutz mit zu bauen, was ich sehr bedauere.
Ich wünsche mir mehr Sensibilität für solche Themen und eben auch diesen Raum für Trauernde, wo sie in Ruhe sein dürfen. Aber auch für uns andere die wir hier einfach gern spazieren gehen, ganz nah dran am Lauf des Lebens. Noch ein paar Sitzmöglichkeiten mehr wären toll. Die Bewahrung möglichst vieler Bäume, und verwachsener Ecken finde ich wichtig. Das auch mal Totholz liegen bleiben darf und das es für Insekten und Vögel Möglichkeiten gibt ungefährlich an Wasser zu kommen. Ich werde weiterhin die Jahreszeiten hier besonders verfolgen, schauen welchen Pflanzen ich begegne, denn oft geben genau diese uns einen Hinweis darauf was wir brauchen. Und ich werde darauf hoffen das wieder mehr Vögel und Schmetterlinge zurück kommen. Wir können das mit der Pflege solcher Naturstücke und der Auswahl der Pflanzen mit beeinflussen. Und sicher ist an vielen Stellen noch Platz für ein Wasserschälchen.

Danke fürs lesen, hast du auch etwas über einen Friedhof zu erzählen?

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Leuchtende Gräser,

dort wo sich Amsel und Eichhörnchen von ferne zunicken,

zwischen den alten Bäumen und verwitterten Grabsteinen,

wo der Tod so nah ist und das Leben sprießt.

Die Stille des werdens und wachsens

den KonzertRaum bereitet für den Gesang der gefiederten Freunde,

neben der heiligen Eibe, dort wo ich mich mit der kleinen schwanzlosen Katze auf einen Schwatz treffe

und wir nicht über das Leben philosophieren sondern nur leise flüstern

was dringend zu sagen ist,

etwas über die Schönheit und Freude,

kleine Liebkosungen austauschend

gehen wir ein Stück zusammen

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Ein Blick auf die andere Seite

Die Edition Büchergilde ist bekannt für die besondere Aufmachung der herausgegebenen Bücher. Da ich mich selbst viel mit Illustration befasse und der Illustratorin Theresa Schwietzer bei Facebook folge, lief mir eines dieser besonderen Bücher über den Weg. Es geht um Jenseitsvorstellen und Totenkulte: Wer diesen Blog gut kennt weiß das ich mich viel mit diesen Themen befasse.
Das Buch passt thematisch natürlich auch hervorragend in den November, der Monat des Totengedenkens und der Ahnen.

Theresa Schwietzer schreibt am Anfang des Buches das Sie durch eigene Erlebnisse bei einer Beerdigung auf das Thema kam. Sie möchte anders begraben werden und das Bedürfnis nach einer schöneren Beerdigung führt Sie zu diesem Projekt. Sie stellt uns in ihrem Buch, ja Sie hat es auch selbst geschrieben, die Riten verschiedener Länder vor. Haiti, Ecuador, Zentral- und Südafrika, sowie Indien. Länder die noch eine echte Trauerkultur haben, ganz im Gegensatz zu uns hier.

Sie erzählt uns Geschichten über den Glauben, die Götter und begleitenden Ritualen all dieser fremden Kulturen bis in die Details hinein. Und mir fiel manchmal auf das sich einiges mit meinen eigenen Gedanken und Gefühlen deckt. Ich weiß allerdings nicht woher ich das habe.

Ich bin selbst erstmal ohne jegliche Religion aufgewachsen. Als meine Oma väterlicherseits starb – ich war 4 – wurden wir Kinder ferngehalten. Später mit 8,9 Jahren lernte ich die evangelische Kirche kennen, aber lernte noch lang nichts über Trauer oder über eine Trauerkultur. Auf Beerdigungen hab ich immer noch keinen Plan wie das jetzt abläuft und schwimme so mit, was sich nicht gut anfühlt; in vielerlei Hinsicht.
Was mich mein Leben lang begleitete waren Märchen. Ich vermute das hier doch so manches zu mir gelangte, was in anderen Kulturen zur Tradition gehört. Später bekam ich noch durch die Archäologie einiges mit.

Wenn z.b. im Buch von Grabbeigaben gesprochen wird, erinnere ich mich an unsere Geschichte und die Zeichnungen und Fotos gefundener Gräber von Vorzeiten, alle mit oft reichhaltigen Grabbeigaben. Oder Thema Wiedergeburt, ein bisschen glaube ich auch daran.
Sehr gruslig empfinde ich den Vodoo (Haitit), der im Buch auch ausführlich beschrieben wird. Vodoo ist ein Importgut aus Westafrika und kam mit den Sklaven nach Haiti und (Süd)amerika.

„Ein Blick auf die andere Seite“ ist ein Sachbuch, würde ich sagen. Doch es entführt uns trotzdem in das Reich des Magischen und Mystischen, dunkel, geheimnisvoll, fremd und rätselhaft und sehr interessant.
Neben dem Thema sind vor allem die Illustrationen sehr besonders. Eine Mischung aus Drucken und Buntstiftzeichnungen, in sehr zurückhaltender Farbpallette. Hin- und wieder viel flächiges Schwarz und dann zartere Linien die auch mal einen flächigen Druck überlagern, so wie auch beim Titelbild.
Wirklich ein Kleinod, auch wenn ich mir die Texte abschnittsweise etwas weniger sachlich und mehr erzählender, märchenhafter, gewünscht hätte, das erfüllen dann die Bilder im Buch.
An die 115 Seiten ist das Werk dick, fest gebunden, mit Lesebändchen. Im Anhang eine weiterführende Literaturliste, was ich sehr schön finde.
Die Illustratorin hat auch eine schöne Seite mit vielen weiteren Arbeiten, schaut doch mal hier:

Theresa Schwietzer Portfolio.

 

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Theresa Schwietzer

Ein Blick auf die andere Seite

Edition Büchergilde

20,00 €
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Von der Verlagsseite zur Autorin:

Theresa Schwietzer lebt als freiberufliche Illustratorin und Grafikerin in Hamburg. Sie studierte Illustrations- und Kommunikationsdesign an der Münster School of Design. Neben der Fotografie begeistert sie sich v. a. für Siebdruck. Theresa Schwietzer hat u. a. für Gruner + Jahr, das Rotary Magazin, das Magazin Walden und den Wildtierpark Alexanderschanze in Freudenstadt gearbeitet.

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Neue Friedhofskultur?: http://www.deutschlandfunkkultur.de/veraenderte-friedhofskultur-picknick-am-grab.976.de.html?dram%3Aarticle_id=401295

A Monster calls – Sieben Minuten nach Mitternacht

Filmbesprechung

Ein Junge und ein Monster. Ein Monster welches eigentlich ein Baum ist, und zwar eine uralte Eibe. Das sind die 2 Hauptrollen in diesem Film. Es geht um die Familie, um Bindungen, Einsamkeit, Krankheit, Tod und um das annehmen und sehen dessen, was wirklich ist. Sich selbst zu glauben, sich der Realität zu stellen und Schmerzen zu (er) tragen. Zutiefst berührend und wunderbar umgesetzt, mit viel Feingefühl und ganz besonderen Bildern.

Der Roman von Patrick Ness (2011 veröffentlicht) nach einer Originalidee der verstorbenen Siobhan Dowd wurde in fast 40 Sprachen übersetzt. „Sieben Minuten nach Mitternacht“ hat zahlreiche renommierte Preise weltweit erhalten, darunter die angesehene Carnegie Medal sowie die Kate Greenaway Medal für Illustrator Jim Kay. Ich habe das buch noch nicht gelesen und kann deshalb dazu nichts sagen.

Ich war ewig nicht mehr im Kino bis zu diesem Film, und es war wirklich beeindruckend diese Geschichte auf einer großen Leinwand zu sehen und auch der Sound war phänomenal. Ich sag es gleich, falls ihr ihn anschaut, haltet Taschentücher bereit.

Conor (Lewis MacDougall) ein Junge von vielleicht 10- 12 Jahren lebt allein mit seiner Mutter (Felicity Jones) in einem kleinem Haus, und hat immer wieder Alpträume. Er wird in der Schule gehänselt, und wie wir dann mitbekommen ist seine Mutter sehr krank. Sein Vater ist nicht erreichbar für Ihn. So der Anfang.
Und dann beginnt es! Regelmäßig um sieben Minuten nach Mitternacht passieren merkwürdige Dinge. Auf dem Hügel, den er von seinem Fenster aus sieht, steht ein sehr großer alter Baum. Ein Baum der zum Leben erwacht.

„Was willst du von mir?“, fragte Conor.
Das Monster presste sein Gesicht gegen die Scheibe.
Es geht nicht darum, was ich von dir will, Conor O’Malley.
Es geht darum, was du von mir willst.“

Schon gleich am Anfang war ich ganz fasziniert von den Nahaufnahmen und der Sinnlichkeit der Darstellung. Conor zeichnet gern und viel und sehr gekonnt; wir folgen dem Strich des Bleistiftes, spät am Abend in seinem Zimmer. Das Zeichnen und Malen spielt im Film eine ganz besondere Rolle. Dieses Talent verbindet Conor mit seiner Mutter, und am Ende schließt sich hier ein überraschender Kreis und es bleibt eine Magie im Raum hängen, die Trost spendet.

Es geht darum die Wahrheit auszusprechen und die Wut anzuerkennen, so schmerzhaft das auch alles ist,  und das Monster hilft Connor im Grunde dabei, auch wenn das erst nicht unbedingt so scheint. Es besucht Ihn nun regelmäßig und es bleibt etwas unklar welche Rolle es spielt. Es ist kein liebes Monster. Und die Themen sind schwer und voller Wucht. So heftig das Sie uns und eben auch Conor förmlich umhauen. Es wird nichts beschönigt. Doch auch im Schmerz und den Themen Krankheit, Einsamkeit und Tod findet sich eine eigene Art der Poesie.

„Es ist ok wenn du wütend bist“

Umgesetzt wird das in Form von 3 Erzählungen, die das Monster Conor Nachts erzählt. In einer Mischung aus Collagentechnik und fließenden Aquarellstrichen werden diese Geschichten vorgetragen, absolut faszinierend und wunderschön gemacht.

Geschichten sind wichtig, sagte das Monster.

Sie können wichtiger sein als alles andere. Wenn sie die Wahrheit in sich tragen.

In Conors Alltag taucht dann seine Großmutter (Sigourney Weaver) auf, bei der er leben soll. Sie wirkt streng, und Conor hat so gar keine Lust bei Ihr zu sein – an diesem Punkt läuft das Faß dann auch über und er spürt eine mächtige Wut, eine Wut die das Monster zu nähren scheint.
Wer ist dieses Baummonster? Es ist eine Eibe, so alt und groß wie es sie in der Realität wohl kaum noch irgendwo geben wird. Der Eibenbaum steht bei uns auf der roten Liste, schon im 16. Jh gab es kaum noch Eibenbäume, da Ihr Holz zur Bogenherstellung verwendet wurde. Die Eibe ist ein wirklich besonderer Baum, die meisten werden die Eibe wohl nur als Busch kennen. Auf dem Friedhof zur Grabgestaltung sehr beliebt. Und traditionell ein Baum der als Totenbaum galt.
Die Samen der Eibe, außer das rote Fruchtfleich, sind giftig. Aber wie das so ist, die richtige Dosis kann auch heilen. Und in diesem Sinne hilft das Monster Conor durch seinen schmerzhaften Prozess hindurch.

„Natürlich hast du Angst, aber du wirst es schaffen!“

Ein mächtiger und wunderbarer Film!

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Sieben Minuten nach Mitternacht

Länge 108 min

Freigegeben ab 6 Jahre – ich finde das ist kein Film für so kleine Kinder, ich denke eher ab 10 – 12 Jahre geeignet

Verfilmt hat das Buch der spanische Regisseur Juan Antonio Bayona,

Das Waisenhaus (2008) und The Impossible (2013)

Produzent ist Belén Atienza (Pans Labyrinth)

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http://www.siebenminutennachmitternacht.de

http://www.geo.de/reisen/community/bild/594485/Eibe-in-Llansilio

http://www.heilkraeuter.de/lexikon/eibe.htm

https://www.vitamine.com/heilpflanzen/eibe/

Friedhofsgeheimnisse erklärt

Hannah lueftet Friedhofsgeheimnisse von Diana Hillebrand

Hannah lüftet Friedhofsgeheimnisse von Diana Hillebrand

„Hannah lüftet Friedhofsgeheimnisse“ ist ein richtig dickes Buch mit über 150 Seiten, da wurden meine Erwartungen wirklich übertroffen. Nicht nur ein Kinderbuch. Ein Hardcover mit durchaus auch harten Inhalten und Fakten. Ja einfach ist das Buch nicht, und auch nicht leicht. Die Hannah im Buch interessiert sich für den Tod und fängt an die Leute darüber auszufragen, passenderweise hat Sie einen Vater der sich mit dem Thema schon ausgiebig beschäftigt hat, so das Sie wirklich megaviele tolle Informationen bekommt. Sehr spannend. Viele Totenbräuche und Kulturen werden angesprochen. Riten und Geschichten vorgestellt. In Wort und Bild.

Witzigerweise taucht am Anfang ihrer Forschungen auch noch ein alter Freund der Mutter auf, und der ist auch noch Friedhofsgärtner – also besser kann die Ausgangslage bald nicht sein. Schon sehr praktisch. Einfach wirklich toll, was für ein Wissen sich im Buch entfaltet. Und die Figur des Friedhofsgärtners ist auch extrem sympatisch. So einen gibts hier leider auf meinem Friedhof nicht.

Das Buch ist kein Bilderbuch, sondern mit viel Text. Und so manches mal fand ich Hannah doch ein wenig sehr altklug und oberschlau für eine Zehnjährige, aber gut die  Kinder heute bringen einen ja wirklich oft zum staunen. Stichwort kein Bilderbuch: trotzdem gibt es ganz besondere und superschöne Illustrationen, die mich sehr begeistert haben. Ein lockerer Strich kombiniert mit Farbenfreude und tollen Texturen. Einfach klasse:

die Illustratorin

http://www.stefanie-duckstein.de

Was mich persönlich doch ziemlich bewegt hat war die Geschichte die nebenbei erzählt wird über den Papa von Hannah. Der ist nämlich in Krisengebieten der Welt unterwegs, und da hatte ich teilweise echt einen Kloß im Hals. Echt schwer Kost. Ich hätte da persönlich Bedenken und würde sehr genau überlegen welchen Kindern ich sowas zumuten kann. Auch würde ich gar nicht sagen das es ein reines Kinderbuch ist, denn auch als Erwachsener gibt es interessante Details zu erfahren, und unterhalten wird man aufjedenfall auch. Vielleicht liest man es am besten zusammen, denn es ist sicher ein Buch was Redebedarf weckt.

Sonst ein wirklich interessantes Buch, und sehr schön gestaltet! Es gibt ja zum Thema inzwischen einiges in der Kinder- und Jugendliteratur, im Gegensatz zu den Büchern für Erwachsene, meistens wird der Tod dort in Geschichten verarbeitet hier finden wir beides. Geschichten und ganz viele Erklärungen.

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Hannah lüftet Friedhofsgeheimnisse

Eine Geschichte über den Tod und was danach kommt

Diana Hillebrand

Illustrationen: Stefanie Duckstein

Kösel Verlag, 16,99 €

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von der  Autorin und der Illustratorin zusammen gibt es auch ein Weihnachtsbuch

http://www.diana-hillebrand.de/buecher/kinderbuecher/paulas_wilde_weihnachtsjagd/

Schwester Tod – zur Trauerkultur

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Im letzten Beitrag sprach ich über das trauern und klagen im Angesicht des Todes und heute möchte ich ein dazu passendes Buch vorstellen.

„Schwester Tod“ – der Tod, das Sterben und alles drumherum, ein Bereich um den sich immer mehr die Frauen gekümmert haben, neudeutsch auch Carearbeit. Ein wirklich umfassendes Buch, wo mir einerseits einiges wieder begegnet und andererseits viel Neues zu finden ist.

Die Autorin hat sich mit Traditionen und Überlieferungen befasst, und gibt sehr viele praktische Hinweise zur Ausgestaltung und Begleitung von Sterben, Tod und Trauerzeit. In unseren Breitengraden sind wir doch recht traditionslos geworden, und in vieles spielen Paragrafen und Gesetze hinein. Der Kontakt zum wesentlichen, wozu eben auch das Sterben gehört, geht verloren. In diesem Buch finden wir einen wunderbaren Zugang zu alten Sitten und Bräuchen und einen liebevollem Umgang mit all den Themen rund um das Sterben. Es nimmt einem die Angst und führt heran an eine sinnvolle und liebevolle Art der Begleitung. Bringt das Sterben, welches ja nun täglich geschieht und von dem wir alle betroffen sind, wieder näher heran. Sehr berührend und herzlich fühlt sich das beim lesen für mich an.

Das Buch beginnt mit einem Kapitel über Symbole und innere Bilder, als Sprache der Seele, Unterstützung in schweren Zeitenwelch schöne Einleitung. Man spürt die profunde Kenntnis zur Religions- und Kulturgeschichte und es ist spannend wie viele Geschichten sich im Buch finden. Dann, ganz ausführlich, zur Frühgeschichte und Volkstradition, über Totenkulte hin zur europäischen Sagenwelt.

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„Eine Schale will ich sein

empfänglich für die Wunder des Lebens

Eine Schale für Dich, heilige Weisheit…

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Dann wird uns die Tödin vorgestellt, ja auch hier eine weiblich Gestalt. Heilige Damen oder mythische Gestalten mit Ihren Werkzeugen.

Im zweiten Teil geht es um die Sterbebegleitung, ganz lebensnah und praktisch. Es werden Rituale aufgezeigt, es geht um Abschiede, um Sterbeammen und Seelenwächterinnen. Richtig friedlich wird mir zumute. Ich finde gerade alte Bräuche geben sehr viel Halt und Rituale helfen mit den Dingen umzugehen.

Es folgt nun im dritten Teil das Thema der Bestattungskultur. Es geht um die Zeit zwischen Tod und Beerdigung. Die ganz praktischen und notwendigen aber auch hilfreichen Abläufe. Was ist uns möglich zu tun, was kann uns begleiten, und wie gehen wir um mit den Dingen?

Danach geht es um Abschiedsfeier, Trauerrituale und Beisetzung. Viele Beispiele und Geschichten sind auf den Seiten zu finden und alte Abschieds- und Gedenkbräuche werden vorgestellt.

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„Im gehen der Spirale beweg ich mich nach innen

und spür mit allen Sinnen ins Zentrum meines Seins.

Im gehen der Spirale verlasse ich das Alte

und leg es in die Spalte

von Mutter Erdes Schoß.

Im gehen der Spirale erkenne ich das Leben

und fange an zu weben,

was neu entstehen soll“

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Das letzte und fünfte Kapitel handelt dann von unserer Erinnerungs- und Gedenkkultur, hier wird auch nochmal auf Ahnenfeste im Jahreskreis hingewiesen – der November ist ja der Ahnenmonat schlechthin. Am Ende werden der Tödin noch einige Seiten gewidmet und  Gedichte, Segenssprüche und Gebete runden am Ende alles ab – in deutscher Sprache – ich kenne viele der Lieder auf Englisch.

Also wie ihr seht kein wissenschaftliches Buch und keine reine Erzählung, sondern mit wirklich praktischem Wissen und einer Fundgrube an umsetzbaren Ritualen für die eigenen Wege. Ein wenig mehr gestalten hätte man das Buch können, um diesem Schatz einen würdigen Rahmen zu geben. Aber im Nutzen der Inhalte kann dann ja jeder selber kreativ werden.

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von Erni Kutter

Schwester Tod – weibliche Trauerkultur, Abschiedsrituale, Gedenkbräuche, Erinnerungsfeste

Kösel Verlag, Paperback, 17,95 €

Mein Totentanz – wider die Ordnung

cemetery-1688304_1280In dieser speziellen Stille fanden sich alle Gäste nach und nach vor der kleinen Kapelle ein. Viele Menschen die ich noch nie gesehen habe oder sehr lange nicht mehr und auch viele bekannte Gesichter. Auch an diesem glühend heißen Sommertag alle vorbildlich in Schwarz gekleidet. „Getragen“ nennt man wohl diese Stimmung. Es war wie ein kleines Rollenspiel.

Ich war noch nicht auf allzu vielen Beerdigungen und die Abläufe sind mir immer noch nicht vertraut. Nie hat mir jemand etwas dazu erklärt, nie wurde ich weiter befragt, was ich dazu zu sagen habe oder mir wünsche, noch dass ich etwas mitgestaltet hätte, außer vielleicht das Grabgesteck … diesmal Rittersporn. Beim Einnehmen der Sitzplätze war schon unklar wer wo zu sitzen hat, zumindest saß wenigstens meine Schwester neben mir. Die Rede, des sonst sehr sympathischen Pfarrers, machte mich ärgerlich und erst heute wurde mir klar, dass der Verstorbene anscheinend echt was mit Glauben und Kirche am Hut hatte. Nicht zum ersten Mal hatte ich bei einer Beerdigungsrede den Eindruck, dass da von einer anderen Person gesprochen wurde als die, die ich gekannt habe. Es war trotz der extremen Hitze draußen kalt in der kleinen Kapelle, die Stuhlgruppen standen in einem rechten Winkel zueinander und ich fühlte mich beobachtet auf meinem Stuhl am Rand. Es war furchtbar unbequem.

Das Heulenwoher auch immer es kam, machte Druck in meiner Kehle und stieg den Hals weiter hinauf bis in den Kopf, verkrampft und fröstelnd saß ich auf meinem Platz. Irgendwann konnte ich es nicht mehr aufhalten, liefen die Tränen einfach. Aber nur ganz vorsichtig und leise traute ich mich in mein Papiertaschentuch zu schnauben. Bloß keinen Ton von sich geben. Auch die anderen zückten nur verschämt hier und da ein Taschentuch.

Als wir dann aus der Kapelle stolperten, gab es wieder so kleine Ordnungsprobleme, wer wie und wo den Urnenträgern hinterherlief. Eine Zeremonie mit festen Regeln, die keiner kennt, wenn es nicht so traurig wäre, wärs echt zum Schieflachen. Die Trompetenspieler begleiteten uns mit ihrem wunderschönen Spiel und die Töne trugen uns den Weg entlang. Die heiße Sonne trocknete die Tränen – ist ja jetzt auch mal gut, nicht. Eng standen wir aufgereiht im schmalen Gang zwischen den niedrigen Hecken und kleinen Urnengräbern. Unsicher und irgendwie steif. Ich spüre es innerlich brodeln, wenn ich daran denke. Eine immense Kraft und den Wunsch auszubrechen. Nur gerade so geht es. Dunkel pocht es unter der dünnen Haut. Die wilde Frau in mir, die sich nur knapp bändigen lässt.

Jammern und Klagen, bei uns doch verpönt. Bei Trauer vielleicht kurzfristig erlaubt, aber dann doch soll man sich auch mal wieder zusammenreißen, einkriegen, ruhig sein. Beschwörung des alles ist gut und hey, nein das ist es eben nicht, und das ist auch kein Trost. Wenn alles gut wäre würdest Du mich jammern und klagen lassen, mir mein Gefühl zugestehen oder allen anderen die es sich noch trauen zu zeigen, die sich vielleicht gar keinen Kopf machen und einfach sind, wie Sie gerade sind.

Ich denke an das Geheul der Wölfin – La Loba (Die Wolfsfrau erzählt), ich denke an das eigene Heulen, was für eine kurze Zeit morgens direkt nach dem Aufwachen und den ersten unklaren, noch freien Sekunden wie ein Sturm über mich hereinbricht und meinen Körper überrollt, so sehr das mir zum Kotzen zumute ist und später als ich es mir nicht mehr erlaube, implodiert.

Was braucht es, um den Ton nach außen zu lassen? Töne zu machen, Laute auszustoßen in einer reglementierten Welt, in welcher dem kleinsten Baby schon das Weinen abtrainiert werden soll, pscht, still. Der Ausdruck von Schmerz niedergemacht wird mit der Erklärung, dass das, was man empfindet, nicht wahr sei und man gefälligst anders sein solle … solang und so sehr, bis man seine Gefühle schon gar nicht mehr kennt und sich heimlich fragt, was mit einem nicht stimmt, weil man das alles so gar nicht so sieht, wie man es gesagt bekommt und irgendwie auch gar nicht mehr so richtig fühlt und alles mit dem Kopf angeht. Ein Bauchgefühl nur noch vorhanden ist in Form von Unwohlsein und Schmerz, von Magen-Darm-Problemen und Menstruationsbeschwerden.

Eine Welt, in der alles geordnet abläuft, und man herausfällt, wenn das Innere im Außen Ausdruck findet. Früher wurde mir verboten zu singen, weil es anscheinend so schlimm klang, zu sprechen hat man ruhig, und zu heulen gar nicht. La Loba La Loba*, wo ist dein Geheul?

Wie der Ton im Hals sitzt, das Schluchzen und das Elend, alles verkrampft noch tagelang. Wie könnte man nur einfach laut sein, einfach sich gehen lassen, sich hingeben, fallen lassen, schreien, klagen, seufzen, greinen, jammern, heulen

Gesittet läuft die Trauergemeinde den Urnenträgern hinterher, nur leises schnäuzen, und rote Augen sieht man Bäche von Tränen stumm gestürzt, aus den Fenstern der Seele. Die Wangen hinunter, im versteckten und verschämten, gebeugte Köpfe, den Blick auf den Boden, Tränen den Hals entlang in den Ausschnitt hinein, zumindest bei den Frauen Papiertaschentuch feuchte Knäule in den Fäusten.

Wut ein Pochen in den Schläfen, ein laut schlagendes Herz, ein Geheul, was sich aus der Kehle presst, ein Schrei in den Himmel, ein Kleid ungefärbt und ungebleicht. Geballte Fäuste. Kraft, die den ganzen Körper anspannt, ein Knurren tief aus dem Bauch, zusammengekniffene Augen, die letzte Tränen auspressen, fast schon Grimasse das Gesicht und mit einem Mal bricht sich der Ton in die Stille, ein Laut, ein Schluchzen und Jammern.

Heulen, wie es kommt, fast wie ein Gesang. Ein echtes Klagelied, ohne Worte, aber erdig und voll. Ein Kniefall zwischen den sauber geschnitten Hecken, der helle Stoff im Staub. So wie Rotz und Wasser im Gesicht. Gezeichnete Tränenspuren. Huhuuuuaaaaahhhhuuuu

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dies ist ein Text für die Blogparade vom Totenhemdblog:

https://totenhemd.wordpress.com/2016/10/04/unsere-november-blogaktion-ich-hab-mit-den-toten-getanzt/

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Vor einigen Jahren habe ich mich aufgrund meiner Arbeit in einer archäologischen Sammlung und einer Wanderausstellung intensiv mit dem Thema Totentanz beschäftigt – unglaublich was für eine Fülle an Literatur es zum Thema gibt – begriffen habe ich die Sache bis heute nicht, aber ich vermute einen Drang dahinter. Einem Drang nach Ausdruck, denn dem Tod entkommt keiner.

http://www.berlin.de/kultur-und-tickets/archiv/2777555-2805649-erzaehl-mir-was-vom-tod-interkative-auss.html

http://www.philosophieren-mit-kindern.de/erzaehl_vom_tod.html

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Ich erinnere mich gern an eine Szene aus „Six Feet Under“ in welcher der Protagonist Nate in einem Boot steht, unfähig seiner Trauer über den Tod seines Vater, Ausdruck zu verleihen, sein Blick Richtung Strand auf welchem sich schwarzgekleidete Klageweiber versammelt haben.

Eine wunderschöne Idee in der Serie ist, das all die Sterbenden ihre schon verstorbenen Liebsten sehen, sozusagen von Ihnen abgeholt werden. Ich finde das sehr tröstlich, diese Idee des Wiedersehens und abgeholt werdens.

http://www.serienjunkies.de/SixFeetUnder/alle-serien-staffeln.html

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Literatur:

*die Geschichte der La Loba erzählt von der Auferstehung. Die wilde Frau singt über den Knochen, die sorgsam zusammengetragen wurden, um ihnen neue Seelenkraft einzuhauchen.

„Die Wolfsfrau erzählt“ https://reingelesen.wordpress.com/2013/05/01/davor-die-wolfsfrau-erzahlt/

„Die Bücherdiebin“ – hier ist der Tod eine liebevolle Figur welche den gerade gestorbenen in die Arme schließt. Den Gedanken mag ich sehr.

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In vielen Kulturen gab es Klageweiber. Das waren Frauen die man dafür bezahlte anwesend zu sein und zu heulen und zu jammern und zu klagen. Ich denke das ergab auch eine Art Schutzraum in welchem man selbst besser weinen konnte, weil die Scham überwunden werden kann, wenn man nicht alleine ist mit seinem Geheul. Später fand das manchmal noch Ausdruck bei den Totenwachen.

Das Klageweib vor Christus: http://www.rhm.uni-koeln.de/138/Kudlien.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Klageweib

http://www.zeit.de/1990/11/flehen-der-klageweiber – das hätte ich gern gehört

http://www.spiegel.de/reise/staedte/schweiz-vom-duesteren-zug-der-klageweiber-a-72420.html

Auferstehung – die Wandlung zumindest des Aggregatzustandes – Potpourri

Statue Friedhof Innere Neustadt DresdenKein Aprilscherz, ich bin dabei, bei einer Blogparade.

Diesmal pünktlich gewesen 😀 und ich durfte mitmachen beim Totenhemdblog. Das Thema war: Auferstehung

schaut doch mal rein: Mein Text zur Auferstehung

Und dann gibt es noch ganz viele andere schöne Texte zum Thema, einfach mal durchklicken.

 

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