Acht deutsche Sommer

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…“ich kenne kein Land, das seine kostbarsten Momente so leicht verwirft und vergisst und sie so ungelenk feiert wie meines“…

Acht deutsche Sommer beinhaltet 8 Geschichten von 1945 bis 2015, jedes Jahrzehnt eine. Hochaktuell und sehr besonders. DAS Buch des Sommers für mich. Ein echtes Highlight.

3 Autoren erzählen hier erweiterte biografische Geschichten einzelner Menschen und unseres Landes. Ehemals als kleine Serie in der „Welt“ erschienen, nun ausführlicher in diesem wunderbarem kleinen Buch. Und wieder sieht mann deutlich wie sich die Politik im Privaten spiegelt.  Wie schön wäre es für jedes Jahr eine Geschichte zu haben, das wäre dann natürlich ein wirklich dicker Schmöker, das würde mir sehr gefallen.

Oft hatte ich Tränen in den Augen, weil es allesamt sehr persönliche Schicksale sind, die hier erzählt werden. Außerdem habe ich noch einiges gelernt, z.B. über Politik oder die Geschichte des Frauenfußballs.

Es beginnt 1945, kurz nach dem Krieg, als ein junger Mann von 17 Jahren und mit Kampferfahrung, nach Hause kommt und seine Familie sucht. Es geht um die Orte und um den Krieg an diesen Orten und um das Leben kurz nach dem Krieg, die Besatzungszonen und viel Glück am Ende.

1955, Nachkriegszeit, langsam kehrt wieder Alltag ein, erst jetzt beginnt wirklich ein Leben. Einem Jungen, der fasziniert ist von den Amerikanern, gelingt es, ein Auslandssemester in den USA zu gewinnen. Und auch hier spielen die Orte eine besondere Rolle, Deutschland vs. Amerika, Kassel als Heimat und Austragungsort der Documenta, Ungarn als Ort der Aufständigen und blutigen Proteste, Ost und West. Der junge Mann findet sich später dann in der Politik wieder.

Der Prozess bzw. die Prozesse gegen die Nazis, das Jahr 1965, kurze Zeit vor der Studentenrevolte. Adorno als Dozent und ein Student der sich um angereiste Prozessgäste kümmert, die aus aller Welt gekommen sind, um ihre Aussagen zu machen. Keine leichte Aufgabe und vor allem eine, die das Leben prägt.

1975 bringt das Wunder von Bonn, eine Geschichte über den Frauenfußball, eine der Geschichten, die mir besonders gut gefallen haben, vielleicht auch, weil da doch vieles für Nichtinsider gar nicht bekannt ist. Und, nun ja, auch mein Geburtsjahr. Es war mir nicht bewusst das Fußball für Frauen förmlich verboten war und es harte Kämpfe gab, bis Frauen endlich offiziell spielen durften, geschweige denn als Profis anerkannt wurden und öffentliche Spiele stattfinden durften. Zur Erklärung hieß es 1955 , also schon 10 Jahre nach dem Krieg, von Seiten des DFB „.. dieser Sport sei eine Form der Aggression, die eine unerbittliche Härte erfordere [..] wesentliche Demonstration der Männlichkeit [..] Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerliche Schaden […] usw.“ Unfassbar. Und das nach einem Krieg, in dem Frauen oft die Stellen der Männer hatten übernehmen müssen… Aber die junge Anne hält durch, wird später richtig berühmt und vor allem erfolgreich mit Ihrem heiß geliebtem Fußball, gegen Funktionäre und alle anderen Widerstände.

Nun kommt auch endlich eine Geschichte aus dem Osten, 1985. Ein junger Mann, der im Osten ins Abseits gerät in seiner stillen Widerspenstigkeit gegen den Arbeiter-und-Bauern-Staat. Ausreisen will er aber nicht, er bleibt allen Schwierigkeiten zum Trotz und geht später nach der Wende in die Politik. Bei dieser Geschichte ist mir der Ton ein wenig zu säuselnd und zu lobend. Den Herrn, um den es hier geht, fand ich unangenehm „schleimig“, aber das Stück Lebensrealität in der DDR ist allemal sehr interessant. Und ich werde das Wort Wende nun anders oder vielleicht gar nicht mehr verwenden, da der Begriff wohl durch Egon Krenz geprägt wurde, der doch ernsthaft von einem menschlichem Sozialismus sprach, was manch einer ja leider heute immer noch tut, wenn von der DDR die Rede ist. Klaus Zeh, um den es hier geht, sagt deshalb auch lieber „friedliche Revolution“.

1995 – auch eine ganz phantastische Geschichte, die Einblick in das Leben von Djane im nun „freien“ Berlin gibt – damals neue Musik wie Techno, Acid House, Deep House erobert die schnell gegründeten Undergroundclubs. Und Ellen Allien ist dabei, legt auf, komponiert und gründet zweimal ein Musiklabel. Wirklich gut erzählt, man ist mittendrin, und die Stimmung der Zeit sprüht einem förmlich entgegen. Eine Ahnung von einer kurzen Zeit vollkommener Freiheit – Sehnsucht wird hier geweckt. Aber es dauert nicht allzu lange, dann beginnt die aufgerissene Stadt zusammen zu wachsen und wird Hauptstadt. Meine zweite Lieblingsgeschichte.

Nun beginnt sich der Kreis, den das Buch zieht, wieder zu schließen. Es geht in der Geschichte von 2005 um das Leben eines Bundeswehrsoldaten, der am Hindukusch im Auslandseinsatz ist. Was heißt es heute, Soldat in Deutschland zu sein und im Auslandeinsatz in Afghanistan sein Leben aufs Spiel zu setzen? Was heißt es, Kameraden zu verlieren und keine Anerkennung zu bekommen? Eine sehr berührende, und wie ich glaube, eine der sehr wichtigen Geschichten in diesem Buch. Soldaten im Widerspruch zwischen gesellschaftlichem Auftrag und Ansehen.

Die Geschichte von 2015 lässt einen privilegierten Flüchtling zu Wort kommen. Privilegiert heißt nicht, dass da weniger Leid ist, nur dass „anders“ geflüchtet wurde. Ein Leben zwischen der Angst um die Angehörigen, der Trauer um den Tod von Freunden und dem Versuch, in einem neuem Land anzukommen, vorbildlich aktiv, mit Energie und Willen. Anis, ein gebildeter Theatermensch, der einiges auf die Beine stellt und trotzdem nicht weiß, wie es weitergehen kann. Herzzerreißend erzählt schließt sich hier der Kreis zur ersten Geschichte, als der Krieg in Deutschland zu Ende war und die Menschen auch damals nach einem Platz und einer Zukunft suchten.

Was soll ich noch sagen, außer: Lest dieses Buch, gebt es Euren Jugendlichen, kauft es Euren Freunden. So nachfühlbar und nah, und in gut zu lesenden Happen kommt Geschichte selten auf den Tisch. Es schafft Nähe und Durchblick, es lohnt sich sehr.

„Der Staunende ist der Liebende, bevor er weiß, dass er liebt“

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Acht deutsche Sommer

Wolfgang Büscher, Christine Kensche, Uwe Schmitt

rowohlt Berlin, 192 Seiten, 18,95 €

 

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