Wovon wir nicht sprechen

Ich könnte sagen, ein schönes Buch, wenn, ja wenn da nicht die Härte des Themas wäre. Joanne Fedler widmet sich in „Wovon wir nicht sprechen“ dem Thema „Gewalt an Frauen“. Die Protagonistin arbeitet als Rechtsberaterin in einem Frauenhilfsverein „SISTAA“ genannt. Und die Hälfte des Romans hat damit zu tun.
Die zweite Hälfte dreht sich um das Leben dieser Rechtsberaterin, die selbst auch schon einiges hinter sich hat, bei dem ihre Ursprungsfamilie eine Rolle spielt.

*Achtung mein Text könnte triggernde Elemente enthalten*

Das Thema im Roman kommt nicht von ungefähr. Einmal hat die Autorin selbst bei einer Anlaufstelle für misshandelte Frauen gearbeitet UND wenn wir uns umschauen: es passiert jeden Tag! von daher bin ich auch froh das es Bücher gibt die solche Dinge aufgreifen.

Ein wenig Statistik:

Weltweit ist sexualisierte und häusliche Gewalt für Frauen bis 44 Jahren die häufigste Ursache für Tod und Behinderung / Quelle: Heise.de

In Deutschland wird alle 3 Minuten eine Frau vergewaltigt / Quelle: die Netzfrauen

… allein im Jahr 2015 über 104.000 Frauen durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner misshandelt – durch Drohungen, einfache oder gefährliche Körperverletzung, Stalking oder sogar Mord. / Quelle: Tagesschau

Trotz schwerem Themas hat mir die Geschichte und das Buch insgesamt sehr gut gefallen. Es hat für mich gegen Ende ein paar kleine Schwächen, wo mir nicht so ganz klar wird, wie und was jetzt mit einigen Figuren der Geschichte geschieht. Aber es ist insgesamt schön erzählt, wenn man das überhaupt bei einem solchem Thema sagen kann. Joanne Fedler scheut sich nicht auch krasse Dinge anzusprechen, Gewalt und Schmerz zu thematisieren. Das erschrickt durchaus erstmal, aber vielleicht würde es nicht passen dies in einer solchen Geschichte auszublenden oder nur anzudeuten? Ich bin mir da nicht ganz sicher. Da dieses benennen nun aber nicht ständig der Fall ist und es einen zweiten Erzählstrang gibt, ist es für mich ertragbar gewesen.
Mich hat die Story gefesselt und ich freue mich, das ich das Buch zufällig in der Bibliothek gefunden habe. Schon allein deshalb, weil mich das Thema beschäftigt und ich durch den ganzen Themenkomplex Feminismus/Erziehung/Frauenrechte  etc. auch immer wieder auf das Thema Gewalt gegen Frauen stoße. Erschreckend wie sehr diese Realität so so viele Frauen weltweit betrifft und schockierend wie wenig darüber gesprochen wird. Und noch schlimmer, es ändert sich nichts. Dieser Fakt scheint, wie so vieles, als Normalität hingenommen zu werden, vorallem von Männern, die die Gesetze machen, als Polizisten arbeiten und die Gewalt größtenteils ausüben. Ich denk da gleich an den Gesetzentwurf zum Thema Vergewaltigung in der Ehe, worüber so unfassbar lang (20 Jahre) gesprochen wurde und die männlichen Politiker feixend im Bundestag saßen und sich amüsierten. https://twitter.com/tagesschau/status/864177990229528576?lang=de

Lange Zeit war das Thema vollständig tabuisiert. Viele der betroffenen Frauen fühlen sich immer noch hilflos. Scham und Angst vor Gerede oder weiteren Übergriffen hemmen sie, ihre Rechte einzufordern und Hilfe zu suchen. Viele sprechen mit niemandem über die erlebte Gewalt. / Quelle: Frauen gegen Gewalt

Etwas was mich sehr betroffen gemacht hat war die Nutzung der Namen von Gewaltopfern für die Figuren des Romans, die am Ende des Buches aufgelistet sind, mit jeweils einer kurzen Erklärung was Ihnen widerfahren ist.

Die Protagonistin der Geschichte heißt Faith. Sie hat ihr eigenes Päckchen zu tragen, denn in ihrer Familie ist ein Kind verstorben und das Verhältnis zu ihren Eltern und ihrer Schwester ist nicht gerade einfach. Faith scheint auch etwas aus der Art geschlagen. Aber sie hat eine Großmutter, Nonna, die sie sehr liebt. Mit der sie sprechen kann, mit der sie eine ganz besondere Verbindung hat.
Doch das reicht leider nicht aus, damit sie selbst mit sich zurecht kommt. Ihr Arbeit macht sie voller Hingabe und mit unglaublich viel Engagement, oft hat sie ein besonderes Gespür für die Vorgänge und eines für die Menschen, gleichzeitig scheint sie damit aber auch vor sich selbst zu flüchten und vor der eigenen Geschichte. Doch die Dinge kommen in Bewegung, nach und nach gibt es kleine Veränderungen und wichtige Begegnungen. Kurz vor Schluß wird es fast ein bisschen kitschig, aber das ist vollkommen ok. So ein bisschen Glück….

Von mir unbedingt eine Leseempfehlung. Das war mal wieder ein Buch welches mich angezogen hat und was ich in einigen wenigen Tagen gelesen habe. So ein Schmöker, den man nicht weglegen möchte, auch wenn es schon wieder zu spät ist. Ich mochte die „Figurenzeichnungen“ und habe gern den Gedanken und Überlegungen von Faith gelauscht, die manchmal ein wenig herb und kühl rüberkommt,  aber im Grunde genommen eine Seele von Mensch ist. Es es schön gewesen ihren „Prozess“ durch den Sie geht zu beobachten.
Es ist eines dieser Bücher, wo man sich am Ende ein wenig wundert das es so dick ist, weil man auch den Eindruck hat, daß ja nun gar nicht so sehr viel passiert wäre, aber das ist es eben doch. Es hat sich nur so gut zusammengefügt und ist so gut erzählt, das es unterhält und die Zeit schnell vergeht und man mittendrin ist in der Geschichte.

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Joanne Fedler
Wovon wir nicht sprechen
Droemer, 443 Seiten
19,99 €

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Joanne Fedler studierte Jura und engagierte sich in ihrer Heimat Südafrika für Frauenrechte.
auf der Verlagsseite gibt es nun ein interessantes Video mit der Autorin: Gründe für das Schreiben dieses Buches

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Artikel und Lesestoff zum Thema

https://www.tagesschau.de/inland/gewalt-frauen-deutschland-101.html

https://www.frauen-gegen-gewalt.de/gewalt-gegen-frauen-zahlen-und-fakten.html

https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/260339/gewalt-gegen-frauen

https://www.rundschau-online.de/aus-aller-welt/femizid-wenn-aus-liebe-toedliche-gewalt-wird-28073808

https://diestoerenfriedas.de/femizid-und-das-ohrenbetaeubende-schweigen-der-gesellschaft-ein-wake-up-call/

 

Und es schmilzt

Selten hatte ich ein Buch mit so einem schönem Einband, geschweige denn einem echtem Farbkonzept und solch einem farbigen Schnitt. Wirklich wunderschön gemacht und sehr verführerisch. Schlußendlich hat mich die Gestaltung auch verführt das Buch zu lesen.
Das ist eines der Bücher aus dem Überraschungspaket vom S. Fischer Verlag gewesen, ich hatte dazu etwas im Artikel über das Bloggen geschrieben. Ich bin eine Weile drumrum geschlichen, weil der Klappentext so klang als wäre es kein Buch für sensible Menschen wie mich.  Aber dann war ich doch zu neugierig.
Die Autorin wird in ihrem Heimatland Belgien sehr gefeiert. Belgien also, puh, da hätte ich jetzt doch ein paar Fragen.
Denn, Achtung! dieses Buch ist brutal und es ist mir ein Rätsel, wie man dieses Werk feiern kann. Ich weiß nicht warum so ein Buch geschrieben wird und wozu?

Mir gingen lange nach dem lesen die Figuren, besonders die 2 Mädchen, die Hauptfigur Eva und die kleinere Tesje, nicht aus dem Kopf und ich hätte gern darauf verzichtet. Der Aufbau der Spannung ist logisch, dadurch das mal hier mal dort was gestreut wird. Darin sehe ich jetzt kein besonderes Talent, sondern eine Schreibtechnik die immer funktioniert, oder sagen wir meistens. Erstaunlich ist für mich die Dicke des Buches. Ich frag mich jetzt, ist denn da wirklich so viel passiert, das es echt diese vielen Seiten füllt?

Wir begegnen Eva, und ihrer Familie. Ihrer dysfunktionalen und kaputten Familie, in der die Kinder vollkommen allein auf sich gestellt scheinen. Und im Grunde nicht mal wirklich mit dem nötigsten versorgt sind.
Schnell läßt uns Lize Spit in der Atmosphäre ankommen. Das gelingt ihr ganz hervorragend. Die Beschreibung des Dorfes und seiner Bewohner. Wir werden teilhaben an kleinen Ritualen und dem Alltäglichen, befinden uns ganz nah dran. Ein Ort, begrenzt, und jeder kennt jeden. Schnell kommt Lize Spit zur Sache, hier und dort werden die Samen gestreut, die später aufgehen. In anderen Rezensionen las ich das der Anfang seine Längen hätte, das kann ich so nicht sagen. Es gibt nicht soviel Handlung aber eine Verdichtung von Atmosphäre, der Nährboden auf dem sich die Grausamkeiten entfalten.

Und da geb ich einem Kommentar auf dem Buchrücken recht: „…gnadenlos, knallhart und kompromisslos grausam…“ Die Auswahl ist immer klein für Eva. Ob es um einen eigenen Platz geht, um das Essen, gute Momente, Freunde. Es gibt keine Vertrauten, dafür aber einen kleinen Kreis von „Freunden“. Jungs. Und dann noch ein Mädchen. Diese Verbindungen, die tage auf dem Dorf, das alles ist wirklich gut geschrieben.

Aber warum Gewalt – die so schon so verbreitet ist – auch noch so detailiert in der Literatur schildern, wie es hier passieren wird? Wenn eben nichts daraus gezogen werden kann. Oder was bitte sollte man aus expliziter Schilderung von Gewalt ziehen? Die Wucht der Brutalität und des Leidens, welchen einen innerlich fast erschlägt? Und die Momente der Gewalt werden hier und da gestreut, sie wachsen, nach und nach. Kleine Begebenheiten bis zu einer furchtbaren Tat an Eva. Als gäbe es nicht schon genug schreckliches im Leben des Mädchens, der Schwestern… Und das Ende? Ich bin so überhaupt nicht einverstanden damit. Gut es bleibt eine kleine Lücke die unserer Interpretation überlassen ist….

Ich hoffe nicht das so viele Menschen das Buch lesen und ich hoffe es wird kein Erfolg. Es wird drüber gesprochen und ich bin entsetzt wenn ich Lob darüber höre. In der japanischen Literatur gab es ja dieses exzessive sich selbst zerfleischen und zeigen, in der Postmoderne, aber hier kann ich es nicht einsortieren.
Wie kann man selbst in solche eine brutale Welt einsteigen als Schriftstellerin,  es kommt mir ein wenig krank vor, im Sinne von einer Art Selbstgeiselung oder auch Bösartigkeit . Oder ist es die Verarbeitung eines Traumas? Sollte dieser Text nicht unbedingt eine Triggerwarnung dabei haben? Ich habe es weiter gelesen, weil ich immer noch auf einen kleinen Fitzel von gutem hoffte. Das ein kleines Stück gutes Ende dabei sei. Aber das Ende ist ja nicht mal ein richtiges Ende.
Die Autorin hat es geschafft das man die Kälte am eigenem Leib spürt und diese graue Wolke um alles. Das man mitten drin ist. Aber wer will schon mitten in so einem Horror sein, der für einige Menschen sehr wahrscheinlich nah an der Realität ist?

Ich bin froh das ich zwischen dem Lesen und der Rezension einige Monate habe vergehen lassen, so das ich jetzt im Nachgang durchaus auch der Qualität die das Buch hat Raum geben konnte. Denn direkt nach dem lesen war ich einfach nur geschockt und wütend. Ich wünschte mir trotzdem noch ich hätte es nicht gelesen.

Hat jemand von Euch das Buch gelesen? Wie geht ihr mit so etwas um?

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Lize Spit
Und es schmilzt
S.Fischer Verlag

22,- €

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