Kinobesuch „Die Schachnovelle“

Ich bin keine geübte Kinogängerin mehr, und ich hab es eine ganze Weile vor mich hergeschoben in diese Neuverfilmung zu gehen, ich hatte eine Karte geschenkt bekommen und habe Stefans Zweig Literatur in guter Erinnerung. Ohne die geschenkte Karte wäre ich nicht hingegangen. Der Film geht über 2h Stunden, dafür muss man ja schon gewappnet sein. Und hoffentlich muss man zwischendurch nicht auf Toilette, denn dann verpasst man auch noch einen Teil. Ich wünsch mir ja generell im Kino gern etwas Licht, so das ich nebenbei stricken kann. Der Pausenknopf fehlt.
Wer die Schachnovelle kennt, und das werden wohl ziemlich viele sein, der weiß das es kein leichter Stoff ist, auch sowas geht nicht jeden Tag. Nun hab ich mich am Sonntagnachmittag dann doch ins Kino um die Ecke begeben.

Ich muss sagen ein fulminanter Film, wenn man auf die Gestaltung blickt! Die Geschichte entspricht leider nicht ganz der Vorlage, (ist aber schon lange her das ich sie gelesen habe) was ich bedauerlich finde, und auch keinen Grund sehe außer, daß man den Zuschauer/die Zuschauerin nicht ganz hoffnungslos aus dem Kino entlassen wollte. Mich stören gewisse Verfälschungen in Verfilmungen schon sehr. Die Novelle wurde von Zweig während seines brasilianischen Exils gesschrieben und 1942 veröffentlicht, 1947 erschien es dann in Deutschland.

Die Bilder, die Stimmung, die Atmosphäre, vorallem durch die Bildsprache erzeugt, inklusive Ausstattung sind einfach nur großartig gemacht und man wird sofort in die Zeit versetzt und fühlt entsetzlich mit. Wenn der Held der Geschichte Stück für Stück in den Wahnsinn treibt, in der Isolationshaft und nur eine Weile aufgehalten vom Schachspiel. Preise für Kamera, Kostüm und die Hauptrolle müssten drin sein.
Beim deutschen Filmpreis gab es allerdings keine Nominierung für die Kamera, aber für Kostümbild (gewonnen) und auch den Hauptdarsteller, der den Preis für die Beste männliche Hauptrolle erhielt.

Obwohl ich Oliver Masucci, der den Josef Bartok (Hauptfigur) spielt in den letzten Jahren wirklich oft auf dem Bildschirm gesehen habe und überlegte ob ich ihn mit der Rolle vereinbaren kann, war dem keineswegs so. Ein unglaublich guter Schauspieler von dem man hier immer wieder neue Gesichter sieht. Sicher ist vieles auch der Kameraarbeit zuzurechnen, aber ich empfand ihn einfach nur genial in dieser Rolle. Und der Film schafft es das der Zuschauer sehr nah ran kommt, was ihn auch schwerer ertragbar macht. Grausamkeiten in der Darstellung sind immer eine Gradwanderung, aber ich glaube nicht das sich Filmschaffende darüber immer so bewusst sind. Von Ergriffenheit bis Abstumpfung bis Dissoziation ist hier alles zu erwarten in der Reaktion auf das „anschauen“ (müssen).

Insgesamt ist es natürlich ein Männerfilm, die Frauen spielen nur am Rand eine Rolle. Und sie ist finster, traurig, entsetzlich, die Geschichte, so wie die Zeit damals, und wie die Grausamkeiten, die auch heute noch täglich stattfinden, über 80 Jahre später – der Film setzt am Ende noch einen Lichtpunkt.

Was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann ist, wie man diesen Film, der wirklich einiges an Grausamkeiten bereithält ab 12 Jahren freigeben kann. Ich wollte eigentlich meine nun 16jährige ExBonustochter mitnehmen, und war verdammt froh das sie nicht mitgekommen ist. Ich hätte mich schuldig gefühlt ihr sowas zuzumuten, vermutlich hätten wir das Kino auch verlassen.
Die ersten 40 Minten gehen, dann kommt Schach ins Spiel und es wird zusehends finsterer und brutaler. Folter und Qual sind keine Unterhaltung.


Ein Nebengedanken:
Isolation ist heftige Folter, mir fallen da die Gesichten aus den DDR Jugenheimen ein, aber auch die Geschichten von Kindern die in Zimmern über Jahre verwahrlosen und nur wenn sie Glück haben gefunden werden, oft leider tot. Isolationshaft wird immer noch in Gefängnissen angewandt. Und viele Menschen die z.b. durch Krankheit am Rand der Gesellschaft stehen wissen wie schmerzhaft schon leichtere Formen der Isolation sind.

Weitere Bücher/Filme zu ähnlichen Themen:

Raum (ebenfalls sehr gut verfilmt)

Der Trafikant

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Die Schachnovelle
von Stefan Zweig
Regisseur Philipp Stölzl
Drama, 112 min

Es gibt auch eine ältere Verfilmung von 1960, mit Curd Jürgens, Hansjörg Felmy, Claire Bloom und Mario Adorf

Außerdem habe ich die Schachnovelle als Comic entdeckt!

Durch einen Hinweis in den Kommentaren bin ich zu einem sehr interessanten Artikel zur Verfilmung gelangt, und ich bin nun auch nochmal gespannter auf die Lektüre des Originals, welches so viele Jahre zurück liegt, das sie mir nur grob in Erinnerung ist.
Zitat: „Die Zweig’sche Einteilung, hie dumpfe Nazis, da empfindsame Geistesmenschen,…“ war mir gar nicht bewusst. von daher, ja, unbedingt nochmal lesen. Aber tatsächlich habe ich das Werk auch viel milder in Erinnerung als es der Film zeigte.

Interview mit dem Hauptdartseller

Die Zeit der Ruhelosen – Literatur aus Frankreich

Was rettet uns? Es sind die Bücher, die Literatur, die Worte…

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Fiktion um die Wirklichkeit zu erzählen. Zeitgeschichte aktuell. Katrine Tuil ist ganz nah dran, am Jetzt, flechtet immer wieder „echte“ Begebenheiten in Ihre Erzählung ein. Gleich am Anfang landen wir bei 9/11 und in einem Auszug einer Rede von George W. Bush. Meiner Meinung nach hätte es das nicht gebraucht, aber das grundsätzliche Thema deutet sich damit im weitestem Sinne an. Man steigt sofort und brachial in die Thematik ein. Es folgt eine Art innerer Bericht eines Soldaten der in Afghanistan stationiert war. Ich gebe zu, ich konnte das nur überfliegen, zu schrecklich sind viele Details des Kriegseinsatzes.

Der Soldat ist Franzose. Wie kurz zuvor in der Rede von Bush zu lesen war, nehmen viele Länder am Kriegseinsatz im „Namen“ der Terrorismusbekämpfung teil.
Karine Tuil gelingt es eindringlich vom Krieg zu schreiben und vor allem auch davon, wie ein Soldat seine Einsätze erlebt und wie das Leben für ihn nach solchen Einsätzen weitergeht. Die Entfremdung vom „normalen“ Leben, das „nicht-vergessen-können“, die Bilder der Gewalt und Brutalität des Krieges ins Gehirn eingebrannt. Die Schuldgefühle, die Ängste, das Misstrauen und die Schreckhaftigkeit. Das sich „nicht mehr einstellen können“ auf ein Leben im Frieden.

Doch da ist auch ein Funken Hoffnung auf Trost, Rettung und eine Art Heilung, inform von körperlicher Nähe und Liebe. Der Rausch, den man nur mit jemand anderem zusammen finden kann. Leidenschaft, die eine ganz besondere Intimität entwickelt, einen Halt, ein sich verlieren im positiven Sinne, ganz nah an einem anderen Menschen, der auf seine eigene Art genauso empfindet. Romain Roller ist der Name des Soldaten. Und er trifft auf dem Weg aus dem Krieg auf die Schriftstellerin Marion Decker.

„Die Zeit der Ruhelosen“ ist ein 500 Seiten Werk, welches mich immer wieder staunen ließ. Es blieb durchgängig spannend und endet in einer fulminanten Implosion der angesprochenen Themen, und das sind nicht wenige. Absolut gekonnt und stilvoll wechselt die Erzählung zwischen den vier Protagonist*innen*en hin- und her, was zusätzlich noch eine ganz eigene Dynamik und Spannung aufbaut. Ich erinnere mich nicht, jemals solche phantastischen Übergänge gelesen zu haben. Als Leser*in gleitet man von der einen Person und ihrer Geschichte zur Anderen, ein regelrechtes aus- und einblenden, mit kleinen Überlappungen, die für mich immer wieder betonen wie doch jeder Mensch, verbindende und ähnliche Themen hat, bzw. sich in einer Geschichte etwas von der einen Seite wiederfindet und in der nächsten Geschichte von der anderen Seite, aber eben ein Thema. Sehr prickelnd für mich als Leserin.

„Während sie von traumatischen Verlusten, Kampfhandlungen und Konflikten mit internationalen Verästelungen erzählten, tobte in seinem Inneren ein völlig anderer Krieg.

Angst. Schon wieder nahm sie Romain die sicht, umgab ihn wie einen diffuser Nebel, blockierte seine Atemwege, behinderte seinen Gedankenfluß, sein Gehirn trübte sich ein, die Konzentration sank rapide… „

S: 100 – der erste Satz gehört zu Osmans Geschichte, der zweite zu Romains, ich denke man kann es hier gut nachvollziehen was ich meine.

Die Verbindungen verflechten sich im Laufe des Buches immer mehr, die Personen kommen sich immer näher, bis Sie am Ende alle auch live aufeinandertreffen. Mitten in einer gefährlichen Zone im Irak. Und wir bekommen immer mehr Einblick, nach und nach, erfahren Geschichten aus dem Hintergrund. Begreifen hier noch direkter als im Fernsehen oder Internet wie der Schrecken des Krieges, der Kleinen und der Großen, in unserer Welt zur Normalität gehören, die wir in den Friedenzonen natürlich besser ausblenden können.
Besonders interessant ist das bei der Figur Osman Diboula, der Politiker, der es, aus einfachen Verhältnissen stammend, vom Streetworker zum Vertreter seines Landes schafft. Karine Tuil erzählt hier nicht eine Story des „alles ist möglich“, sondern zeigt die Komplexität von Zufällen, Glück, harter Arbeit und der Funktionsweise von Politik und Macht auf, wirklich fabelhaft wie sich diese Storyline entwickelt.

Ähnlich wie die des Geschäftsmannes François Vély, dessen Leben ab dem Zeitpunkt der Erzählung immer weiter in den Untiefen von Machtspielen, Verleumdung, und Rassismus versinkt. Und grade hier begegnen wir immer wieder dem Brachialen und der Gewalt, welche die Autorin schon am Anfang des Buches als tragende Säule ins Spiel bringt. Entsetzlich auch wie der Lebenslauf von François sich punktuell deckt mit seinen jüdischen Vorfahren und ihm großes Leiden nicht erspart bleibt, das hat mich sehr betroffen gemacht beim Lesen und ist grandios geschildert.

Ungeschönt und ernsthaft tauchen wir in diese Geschichte, diesen Teil auch unserer Wirklichkeit, ein; bis alles kulminiert. Heftig und extrem schmerzhaft. Die Brutalität des Krieges und das lange leiden daran, zeigt sich an vielen Stellen. Und genau darauf wirft Katrine Tuil das Scheinwerferlicht. Unbarmherzig, ohne Weichzeichner und ohne etwas auszusparen. Ein Buch dem die 500 Seiten sehr gut stehen, keine scheint zuviel zu sein.

Eine Nebenfigur, der Vater von François, Paul Vély weiß am Ende Rat, vor dem Hintergrund eines langen Lebens. Einer davon sagt:

„Man muß das Leben wählen“

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Die Zeit der Ruhelosen

Karine Tuil

Übersetzung aus dem Französischen von Maja Ueberle-Pfaff

Ullstein Verlag

24,- €

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Interview:

http://www.resonanzboden.com/satzbaustelle/interview-karine-tuil-fiktion-realitaet/

Karine Tuil,
wurde als Tochter tunesischer Juden, 1972 in Paris geboren und lebt dort heute mit ihrem Mann und ihren drei Kindern. Sie studierte Kommunikations- und Informationswissenschaften sowie Recht an der Universität Panthéon-Assas. Sie hat zehn Romane veröffentlicht, deren Figuren sich mit sozialen, politischen, juristischen und ethischen Fragen auseinandersetzen.

 

 

Übersetzerin: Maja Ueberle-Pfaff,

geboren am 25. März 1954 in Karlsruhe, seit 1992 freiberufliche Literaturübersetzerin, Autorin und Herausgeberin

http://www.maja-ueberle-pfaff.de

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Ich empfehle zur Ergänzung das Fluter Heft Frankreich

www.fluter.de/heft62

 

Spätfolgen

Dieses Buch hatte ich schon länger im Auge und nun stand es einfach da in der Bücherei als hätte es auf mich gewartet. Sabine Bodes Schreibstil gefällt mir sehr gut. Nachdem ich die letzte Seite zuerst gelesen hatte war schon alles klar. Und wenn die Geschichten nicht ein Durchatmen erfordert hätten, ich hätte das Buch in einem Stück gelesen. Es entsetzt und fasziniert mich zugleich. Ich bin früher nie auf die Idee gekommen bei meinen Großeltern nach meiner Prägung zu schauen. Aber ich erkenne mich mit allem Erschrecken, mich und meine Familie, wieder.

Das ist wiedermal ein Buch was ich unzähligen Menschen am liebsten schenken würde weil es soviel offenbart. Und weil es wirklich dringend an der Zeit ist.

…mehr Worte habe ich gerade noch nicht

Dazu aus dem Forum Kriegsenkel:

Denn faschistische Gewalt, Traumata, Ängste, Minderwertigkeitskomplexe und Aggressionen wurden nach dem Krieg weitestgehend dort ausgelebt und weitergereicht, wo die Öffentlichkeit keinen Zutritt hatte: In der Familie.
Über Jahrzehnte wurden und werden familiäre Verstrickungen während der Zeit des Nationalsozialismus tabuisiert und über Kriegserlebnisse geschwiegen. Ein ganzes Kapitel deutscher Familiengeschichte wurde somit auf Jahrzehnte verdrängt.

Nicht selten leidet die Kriegsenkel-Generation dadurch an immer wiederkehrenden Blockaden, diffusen Ängsten, dem Gefühl der Heimatlosigkeit, bleiernen Schuldgefühlen oder depressiven Verstimmungen, ohne sich erklären zu können, wo die Probleme ihren Ursprung haben können.

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