Es ist erstaunlich wie sich der Blick auf das Geschriebene ändern kann im Laufe der Jahre. Jedes Buch hat seine Zeit. Und manche auch mehrere. Herr Schlink, Jahrgang 44 (auch ein Kriegskind) hat ja mit „Der Vorleser“ – erschien 1995, ein Buch geschrieben was innerhalb von ein paar Jahren in den Klassikerkanon einging, und soweit ich weiß, heute zur Schullektüre gehört. Ich muß es so um das Jahr 2001 herrum gelesen haben. Und ich muß sagen es ist mir nicht besonders in Erinnerung geblieben. Warum auch immer. Ich werde es wohl nochmal lesen. Denn Sommerlügen ist ein wahres Kleinod.
Der Unterschied allerdings: es sind Kurzgeschichten. Und diese erzählen so äußerst Präzise, so daß das um was es geht, hinter den Worten sehr klar und deutlich wird. Ich finde das eine große Kunst. Etwas was man unbedingt an Themen erzählen möchte nicht platt nach vorne zu tragen, sondern so gekonnt und elegant in die Zwischenräume eines Geschichtenverlaufs zu verpacken, das es fesselt, mitnimmt und klärt.
Ich dachte bis fast zum Schluß das „Sommerlügen“ ein Buch der Männer ist. Denn bis auf die letzte Geschichte wird von Männern erzählt bzw. erzählen Sie über sich. Ich fand das sehr logisch das ein Mann über Männer schreibt, das macht es mir doch gleich glaubwürdiger. Aber in der letzten Geschichte berichtet er aus dem Blickwinkel einer alten Frau. Und auch hier fügt es sich alles gut zueinander. Vielleicht ist diese Frau so glaubwürdig weil Sie sehr männlich in Ihrem Verhalten ist…so wie die meisten Menschen dieser Generation: funktionierend, Ihre Pflichten erfüllend.
Die anderen Geschichten handeln allesamt nicht von Männern die es schwer haben weil sie lügen, sondern die sich das Leben schwermachen bzw. sich schwertun, sich selbst und anderen, und dann dadurch bei der Lüge enden. Ist die erste Geschichte: Nachsaison eine noch leichte Art des Ringens, die durchaus ein „nettes“ Ende implizieren könnte, wenn da nicht der Titel des Buches wäre, so geht es doch in „Die Nacht in Baden-Baden“ stellenweise sehr viel saftiger zu. Da entstehen aus vielen kleinen Lügen, der Mann erkennt sie nichtmal wirklich als solche, für Ihn ist es ein Verschweigen – der Einfachheit halber, irgendwann eine die keine genaue Grenze mehr hat und die Beziehung so in Frage stellt, das sie stellenweise einer Farce gleicht. Für uns als Leser natürlich alles leichter zu durchblicken, als für den jeweiligen Protagonisten der ja immer nur seinen eigenen Ausschnitt kennt. Eigentlich ist es eine Mischung aus Verständnis für den Wunsch danach sich durchs Leben treiben zu lassen und der Tatsache wie er seine „Frau“ als etwas gegebenes behandelt, fast wie ein Einrichtungsstück, die ja nichts zu wissen braucht, denn dann müßte er ja darüber reden oder sogar etwas erklären. Irgendwie sehr traurig aber am Ende auch befreiend klar. Für mich als Leserin.
„Ist die Wahrheit, von der Du sagst, du brauchst sie als Boden unter den Füßen, nicht immer nüchtern?““Nein, die Wahrheit, die ich meine und brauche, ist nicht nüchtern. Sie ist leidenschaftlich, manchmal schön, manchmal häßlich, sie kann dich glücklich machen und kann dich quälen, und immer macht sie Dich frei. Wenn Du es nicht sofort merkst, dann nach einer Weile […] dann wird klar, das nicht sie dich quält, sondern das wovon sie die Wahrheit ist.“
Der Mann wird das bis zum Ende nicht verstehen, und so wie er ist, sich weiter treiben lassen, keine Entscheidungen fällen. Die Frau hat erkannt das jede Wahrheit, auch die noch so schmerzhafteste besser ist als die klügste Lüge. Das kommt vielleicht drauf an wie man selbst Beziehung sieht, und wie und was man lebt. Und ob man selbst schon einmal gelitten hat unter Lügen oder lügen, um die Geschichte so oder so einzuteilen. Ich wünschte ich könnte das, was ich zu sagen haben so einbetten in eine flüssige Erzählung, ohne mit dem Finger drauf zu zeigen um was es geht.
Die 3. Geschichte „Das Haus im Wald“: Auch hier ein Mann, der seinen Kram, sein Leben, am Ende einfach nicht auf die Reihe bekommt. Sich einem Pseudoentwurf widmet, einem Traum, in welchem er jede Menge Spielraum hat, dies aber nicht erkennt. Und so seine Probleme auf anderes projiziert und irgendwie dann ganz schön austickt. Gut geschrieben, wunderbarer Dramabogen.
„Der Fremde in der Nacht“ hat mir persönlich nicht so gut gefallen, irgendwie bekommt die Geschichte für mich den Bogen nicht. Und es würde mich sehr interessieren wie andere LeserInnen das so wahrnehmen.
Dann „Der letzte Sommer“ – es braucht ein Weilchen bis sich diese Geschichte gesetzt hat. Ich spüre hier eine starke Verbindung zum Hintergrund der „Baden-Baden“ Geschichte. Ein Mann fächert im Rückblick sein Leben auf und fragt auch seine Frau danach, und ich kann verraten es gibt einiges an Erstaunen auf seiner Seite. Ich habe so den Eindruck wenn all die Männer sich Ihren Frauen gegenüber geöffnet hätten, wie anders hätten die Geschichten verlaufen können. Männer/Männlichkeit ist/sind ja dafür bekannt die Dinge mit sich selbst auszumachen, aber sie liegen so oft so extrem daneben damit. Warum? Weil sie in all Ihrem Denken die Gedanken nicht zu Ende denken und den Personen die damit zu tun haben vielleicht Dinge unterstellen – im Guten wie im Schlechten, die so überhaupt nicht wahr sind, sondern reine Fiktion. Und am Ende wird dieses sich – ich weiß doch wie der andere das sieht und was das wird – das Wissen, das nur eine Vermutung ist, zu einer Lebenslüge, oder eben einem Leben was auf Vermutungen fußt und damit nicht wirklich wahr ist…es bleibt blass und oberflächlich…gar routiniert?
Dann noch die Vorletzte Geschichte, „Bach auf Rügen“ – war auch nicht ganz so mein Ding. 2 Männer. Vater und Sohn, bzw. Sohn mit Vater. Doch was wirklich wunderbar geschrieben ist: das Verhältnis der beiden spiegelt sich phantastisch in der Stimmung der Zeilen, auch wenn Sie für mich am Ende ins Leere läuft, was aber vielleicht so auch ganz passend ist.
Wahrscheinlich die längste und genaueste Rezension, die ich je geschrieben habe. Dabei ist es so kalt geworden über Nacht. Die ersten Eisblumen am Fenster, und Fingerlinge (Handschuhe ohne Finger) an den Händen. Die warme dicke Katze auf dem Schoß, und der Ofen der nicht so schnell warm wird, wie ich es mir wünschen würde. Das Buch muß leider zurück in die Bücherei. Es wurde vorbestellt und es ist schon zu spät. Deswegen waren die Zeilen jetzt zu schreiben, bevor es weg ist, das Buch. Es wird innerlich mit einsortiert auf der Liste meiner Lieblingsbücher.