Zum Tag des Friedhofs – Lebensraum Friedhof

Der alte Friedhof

 

Ich wohne gegenüber von einem alten Friedhof, teile dieses Areals sind etwas verlottert und unglaublich charmant. Es wachsen dort sehr unterschiedliche Bäume und Pflanzen. Viele alte große Exemplare, viele Buchen und Eichen, Ebereschen, Birken und die üblichen Nadelhölzer. Überall finden sich Farne und Gräser. Riesige Koniferen sind längst über die Gräber hinaus gewachsen. Eibenbüsche überdecken wie Höhlenwände alte Familiendoppelgräber, Rosenstöcke schlagen aus.  Im Unterholz hört man es rascheln, viele Amseln waren dort die letzten Jahre zu sehen. Katzen gehen auf den schmalen Pfaden zwischen den Grabreihen spazieren, vorbei an rostigen Zäunen, die gerne mal von Baumstämmen überwachsen wurden. Soviel gibt es hier auf diesem Fleckchen Erde zu entdecken, jedes Jahr wieder etwas Neues.

 

Auf dem Friedhof meiner Kindheit – Neuer Annenfriedhof Dresden

Ich hatte schon immer ein besonderes Verhältnis zu Friedhöfen. Vielleicht hängt das damit zusammen, daß man mit mir als Baby und Kleinkind gern auf dem Friedhof spazieren ging – ich sehe auch heute noch viele Eltern mit ihren Kleinkindern. Eine der wenigen Erinnerungen an meine Oma väterlicherseits ist auch ein Aufenthalt auf dem Friedhof. Wir haben dort die Spatzen gefüttert.
Der Friedhof meiner Kindheit hatte eine riesige und phänomenale Allee. Noch immer gibt es von einem Teil meiner Familie dort ein Grab. Vor einigen Jahren habe ich ein kleines Ahornbäumchen gepflanzt. Der Friedhof ist immer noch so schön. Leider komme ich nur selten hin. Wird Zeit das ich mal wieder vorbeischaue, auch um zu kucken ob das Ahornbäumchen den heftigen Sommer überstanden hat.

Weinende Frauenfigur

Dafür fühle ich mich meinem Friedhof hier sehr verbunden. Man eignet sich Orte einfach auch an, wenn man sie lange kennt und immer wieder über die Jahre die gleichen Wege geht, die Jahreszeiten verfolgt und all die kleinen und großen Veränderungen. Es gibt viele alte Gräber, wunderbar restaurierte und extrem verfallene – das Geld reicht nicht um alles zu erhalten. Alte Bildhauer- und Steinmetzkunst aus den verschiedenen Zeiten sind auf „meinem“ Friedhof zu bewundern, und auch ganz moderne Grabsteine.

Mein Lieblingsgrabstein ist ein Würfel auf 4 Stahlbeinen. Im Würfel gibt es tiefe Löcher. Manchmal steckt dort eine Feder drin oder eine Blume. Oben auf dem Stein ist eine kleine Kuhle, hier sammelt sich das Wasser, eine Tränke für Insekten und Vögel. Ich geh oft auf dem Friedhof meine Runde und fast immer an diesem Grab vorbei. Es ist sehr liebevoll gepflegt.
Manche Gräber sind das leider überhaupt nicht. Hin- und wieder pflanze ich dort bei den kahlen Gräbern etwas oder verteile ein paar gesammelte Samen wie z.B. von der Akelei, die es in vielen Farben auf dem Friedhof gibt. Im Sommer gieße ich auch hier und dort und fülle vor allem die Wasserschälchen auf, von denen es für die Tiere viel zu wenig gibt.

Dieser ganz besondere Platz so mitten in der Stadt, dieser Friedhof mit seinen vielfältigsten Pflanzen und Tieren, Raum für Insekten und Vögel, ist ein ganz eigener Lebensraum. Hier treffen sich Tod und Leben, über den Jahreslauf, und an den Gräbern die Menschen und ihre Erinnerungen. Die Natur als Lehrmeisterin schlechthin wenn es um das werden und vergehen geht. Naturbetrachtung ist im Grunde genommen Therapie.

 

Ich selbst habe hier auf dem kleinen Friedhof schon Leben gerettet: Bienen und Vögel die in den Wassertonnen am ertrinken waren. Und eine Amsel habe ich beim Sterben begleitet, für mich ein sehr intensiver Moment. Hin- und wieder treffe ich auf eine kleine Katze ohne Schwanz, wir kennen uns so gut, das wir ein Stück miteinander gehen und etwas streicheln darf ich auch. Die anderen Katzen gehen den Menschen lieber aus dem Weg, oft sind sie wahrscheinlich auch auf der Jagd.
Im hinteren Teil wohnte auch ein Eichhörnchen, gesehen habe ich es nur selten, aber manchmal knuspern gehört, wenn ich dran denke nehme ich ein paar Nüsse mit. Und wie oft in den Abendstunden gab es wunderbare Vogelkonzerte. Und auch die Menschen lassen sich nicht lumpen, auf vielen Beerdigungen spielt eine wunderbare Blasmusik auf, mit den schönsten Stücken, hab inzwischen ein ganz anderes Verhältnis zur Blasmusik gewonnen, weil es immer wieder so gut klingt und ergreifend ist, hier zuzuhören zwischen den alten Bäumen und Gräbern.

Ich finde diesen Lebensraum so wichtig. Wieviele Pflanzen und Kräuter habe ich im Laufe der Jahre hier entdeckt, viele Heilpflanzen sind dabei. In unserer Zeit wo die Städte zugepflastert sind und überall auch noch die letzten Brachen bebaut werden, sind diese kleinen Biotope umso wichtiger. Ein wenig Ruhe, Besinnung und eben Platz für all die Tiere. Bäume die unsere Luft reinigen und frischen Sauerstoff schenken, so wichtig, auch für unser Stadtklima. wie ich finde ein unterschätztes Thema. Auf dem Friedhof kann ich Luft holen, zwischen all dem Grün. Ganz besonders denke ich auch an die Insekten, Bienen und Vögel – sie werden immer weniger, Friedhöfe sind enorm wichtig für sie. Diese Räume müssen geschützt werden, auch für uns und inklusive der Ruhe, die es zu bewahren gilt. Hier bei meinem kleinem Friedhof führt nun leider eine neue Bahnlinie entlang und viele lange und laute Güterzüge stören über den Tag und auch die Nacht, es wurde nicht daran gedacht einen Lärmschutz mit zu bauen, was ich sehr bedauere.
Ich wünsche mir mehr Sensibilität für solche Themen und eben auch diesen Raum für Trauernde, wo sie in Ruhe sein dürfen. Aber auch für uns andere die wir hier einfach gern spazieren gehen, ganz nah dran am Lauf des Lebens. Noch ein paar Sitzmöglichkeiten mehr wären toll. Die Bewahrung möglichst vieler Bäume, und verwachsener Ecken finde ich wichtig. Das auch mal Totholz liegen bleiben darf und das es für Insekten und Vögel Möglichkeiten gibt ungefährlich an Wasser zu kommen. Ich werde weiterhin die Jahreszeiten hier besonders verfolgen, schauen welchen Pflanzen ich begegne, denn oft geben genau diese uns einen Hinweis darauf was wir brauchen. Und ich werde darauf hoffen das wieder mehr Vögel und Schmetterlinge zurück kommen. Wir können das mit der Pflege solcher Naturstücke und der Auswahl der Pflanzen mit beeinflussen. Und sicher ist an vielen Stellen noch Platz für ein Wasserschälchen.

Danke fürs lesen, hast du auch etwas über einen Friedhof zu erzählen?

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Leuchtende Gräser,

dort wo sich Amsel und Eichhörnchen von ferne zunicken,

zwischen den alten Bäumen und verwitterten Grabsteinen,

wo der Tod so nah ist und das Leben sprießt.

Die Stille des werdens und wachsens

den KonzertRaum bereitet für den Gesang der gefiederten Freunde,

neben der heiligen Eibe, dort wo ich mich mit der kleinen schwanzlosen Katze auf einen Schwatz treffe

und wir nicht über das Leben philosophieren sondern nur leise flüstern

was dringend zu sagen ist,

etwas über die Schönheit und Freude,

kleine Liebkosungen austauschend

gehen wir ein Stück zusammen

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