Im Rahmen

Ich weiß noch wie still es plötzlich war und wie gut das tat. Und das da dieses Gefühl war, das die Welt da draußen jetzt viel besser passte, etwas nachgab, ein Luftholen möglich war, für den Moment. Irgendwie.
Das was vorher nur in mir war und in meiner kleinen Welt, fand plötzlich Resonanz da draußen. Und auch wenn da etwas Angst war und es alles etwas grusliges hatte und mir der Vorrat fehlte und einkaufen so verdammt anstrengend war und die Angst in mir das irgendwann auch die Läden schlossen und mir vielleicht das Essen ausginge und ob denn auch alles andere vorhielte und ich mir Sorgen machte wegen des Wassers, und der Badeofen immer noch kaputt war und ich nun seit 3 Monaten wieder zurück war in meiner Wohnung, wo alles über ein Jahr vor allem still lag, auch wenn das alles war, war es schön, dass meine Welt für einen kurzen Moment nicht mehr so anders war wie die Welt da draußen, und unser eigentliches Tempo sich anglich. Und die alltägliche Hektik einer Ruhe wich, wie ich sie hier nur von Feiertagen kannte.
Ich fotografierte mir die Nummern von den Aushängen von der Nachbarschaftshilfe, falls ich es vielleicht doch nicht allein schaffte und dachte in 4 Wochen sieht es sicher schon wieder ganz anders aus. Es wird schon gehen, irgendwie.

Ich hatte die letzten Wochen funktioniert, ein Quartal kurz wie ein paar Tage in der Erinnerung, und kalt und grau. Noch war nicht alles zu mir durchgedrungen, der Schmerz aber mein permanenter Begleiter, genauso wie das Unbehagen und die vielen Fragen liefen immer mit, fuhren Karussell in meinem Kopf, und das Herz schmerzte endlos und es war eng in mir. Es quälte mich alles andauernd, ständig schwebte irgendeine Erinnerung durch den Kopf und intensiv durch den Leib, kein Appetit und Süßkram statt Geborgenheit und trotzdem zusammen und reißen. Mit all den Gewichten, der Alltag läuft weiter, und es fehlt der Raum wo ich meine Trauer, Wut und mein Unverständnis, mein Erschrecken hintragen konnte, dankbar über jedes Gespräch, wo eben ein Aussprechen möglich war, über das, was war und ist. Das reden, was es braucht, um die Gedanken zu sortieren und das unfassbare greifbar zu machen und zu verstehen was passiert war.

Es wurde still dann, Ende März, und die Kraft verließ mich, und ich verlor die Zeit. Ich schrieb endlose Texte in die Weiten von Whatsappverläufen und Messengerchats. Ich hatte auch meine Projekte, die zu diesen Zeiten wie Geländer an steilen Treppenstufenverläufen waren. Eine Zeit lang, ging das alles seinen Gang mit mir und meinem Gepäck im Schlepptau. Der Monitor mein Tageslicht und mein Zugang zur Welt.
Nein diesmal nicht, sagte ich mir, und dem Boden unter meinen Füßen, du bleibst hier.
„Sie wirken aber ganz stark und gesetzt“, sagt die Ärztin, ja nach außen hin merkt man mir selten an wie es in mir aussieht. Und ich bin auch stark, aber eben auch; und neben stark bin ich schwach, sehr schwach. So schwach und so müde und kraftlos zwischen Tag und Nacht, schlich ich durch die Zeit, die wiederum die Nähe zu einem schwarzen Loch suchte, sprich, es lief in Kreisen und Spiralen und Endlosigkeiten im dunklen und zeitlos und gleichzeitig und einfach nicht einsortierbar und nicht zu messen mit dem bekannten Zeitmaß.

So viel wie dieses Jahr bin ich noch nie in meinem Bett gelegen, so selten hatte ich die ganzen Jahre nicht im Hof gesessen. Aber es galt auch soviele Orte zu meiden, weil überall die Erinnerungen rausspringen konnten. Nicht unerwartet und wie kleine fiese Piraten. Es wurde wohl Frühling, recht spät wie ich mich dunkel erinnere, es war mir egal.

Mein Rahmen war das alte Küchenfenster, durch das ich den Himmel täglich beobachtete. Keine Flugzeuge mehr und immer eine Konstante, ob nun bewölkt oder blau. Zwischendurch doch mal gute Tage, wo ich Nachschub besorgte, und immer auf die Wärme und die Sonne wartete, um meine Lieblingskleider zu tragen für einen Moment des guten Gefühls. Und immer noch und immer wieder dachte ich an dich und lebte zur Hälfte im letzten Jahr. So viele prägnante Tage und Daten und ich las wieder und wieder die alten Nachrichten baute vor meinem inneren Auge die Zeitschiene nach und versuchte mich zu erinnern an gewisse Worte von dir. Und jedes Mal bohrte sich der Schmerz mir in die Brust und der Kopf wurde heiß. Die erinnerten Gefühle waren oft so mächtig, aber die Worte verschwammen vielfach im Nebel.
Obwohl mein Kopf soviel wusste, suchte er weiter nach Erklärungen, die ich eigentlich auch schon alle kannte, aber es half, wenn andere aussprachen, was ich mir dachte. Realisieren, begreifen bis jede Windung meines Gehirns, wie die Furchen meiner Hände, die genaue Form fühlen konnte.
Die Echtheit bestätigen, die Zustimmung suchend und dann manchmal doch wieder das Gefühl als wäre alles nur ein Traum, oder eine Geschichte. Aber was war der Traum, mein anderes Leben oder das jetzt und hier? Auch wenn der Geist lexikonschwere Wahrheiten las und für wirklich wahr befinden konnte, sickerte alles nur langsam zu meinem Herzen durch. Eine Strecke weit wie eine monatelange Reise. Ich sag ja, ich verlor die Zeit und damit auch das wo und das was, aber nicht das wie, das behielt ich fest im Auge. Wie war das alles eigentlich?

Da waren die Tage wo ich nicht schlafen gehen mochte, denn kaum lag ich zwischen den Kissen begann wieder den Gedankenkreiseln, immer und immer wieder und nein ich wollte keinen Gedankenstopp üben, ich wollte denken, ich wollte mich erinnern, ich wollte verstehen, ganz verstehen, und wissen und klären, wenn schon nicht mit dir dann für mich. Die Logik war mein Anker. Und dann waren die Tage wo ich nichts anderes wollte als nur schlafen, liegenbleiben, dankbar für keine Termine, einfach nur sein, wo ich war und schlafen damit ich nicht denken musste, und trotzdem schrieb ich Seitenweise Briefe in meinem Kopf immer wieder von vorn, manchmal auch auf Papier.

Die Trauer, wir liefen, saßen, schliefen immer zu zweit durch den Tag. Lange konnte ich nicht lesen und brauchte viel Konzentration um was zu schreiben. Ich lenkte mich ab mit Filmen und Binchwatching, ich war nicht kreativ, ich erschuf keine tolle Trauerkunst, ich arbeitete in mir. Ich bastelte immer wieder an diesem Zeitstrang, und puzzelte Ursachen und Folgen und Ereignisse so gut es ging aneinander. Und oft stocherte ich wie mit Stäbchen in der Suppenschüssel und bekam nichts zu fassen was benennbar gewesen wäre. Es fühlt sich an als wäre da irgendwo eine Kammer in meinem Kopf und immer, wenn ich einen Schritt auf sie zutrat, entfernte sie sich ein Stück. Aber ich weiß trotzdem noch wie ich mich fühlte, auch wenn ich deine Worte nicht mehr zu fassen bekomme, ich weiß was mitschwang und was sie bedeuteten. Es ist auch nicht das Wort was am Anfang oder Ende steht, das ist mir jetzt klar. Es ist das Gefühl und es ist der Körper, es ist immer der Körper, der zuerst da war und es auch zuletzt sein wird. Die Zellen sind die, die alles speichern, auch das, was wir nicht benennen können und auch das was uns sprachlos macht, wir können es fühlen.

Ich werde weiter denken und sammeln und innerhalb werken, das Ende wird sich ergeben. Draußen gibt es die Bilder von vielen Tagen, mit dem Blick aus meinem Küchenfenster. Auch wenn mein Körper müde war oder nicht weit wollte, sich verkroch in der sicheren Höhle, wandert der Geist und die Augen sammeln die Himmel ein, und die Hand schreibt hier und da etwas nieder, und später werden meine Beine wieder laufen und zwischendurch meine Ohren wieder Musik lauschen, die wieder in mir landen darf, dann wenn ich es mag. Alles in meiner Geschwindigkeit, in der Reihenfolge die eben da ist. Und die nicht messbare Zeit und das Vergehen der Monate sind dann vielleicht wie eine weiche Wolke, auf der ich liegenbleiben darf und ich mir das gestatte. Trauern ist Leben, in echt.

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November Blogaktion des Totenhemdblog
https://totenhemd.wordpress.com/2020/10/27/november-blogaktion-abschied-nehmen-meine-und-unsere-tradierten-und-spontanen-rituale/
„Trauer in Zeiten von Corona“




Wovon wir nicht sprechen

Ich könnte sagen, ein schönes Buch, wenn, ja wenn da nicht die Härte des Themas wäre. Joanne Fedler widmet sich in „Wovon wir nicht sprechen“ dem Thema „Gewalt an Frauen“. Die Protagonistin arbeitet als Rechtsberaterin in einem Frauenhilfsverein „SISTAA“ genannt. Und die Hälfte des Romans hat damit zu tun.
Die zweite Hälfte dreht sich um das Leben dieser Rechtsberaterin, die selbst auch schon einiges hinter sich hat, bei dem ihre Ursprungsfamilie eine Rolle spielt.

*Achtung mein Text könnte triggernde Elemente enthalten*

Das Thema im Roman kommt nicht von ungefähr. Einmal hat die Autorin selbst bei einer Anlaufstelle für misshandelte Frauen gearbeitet UND wenn wir uns umschauen: es passiert jeden Tag! von daher bin ich auch froh das es Bücher gibt die solche Dinge aufgreifen.

Ein wenig Statistik:

Weltweit ist sexualisierte und häusliche Gewalt für Frauen bis 44 Jahren die häufigste Ursache für Tod und Behinderung / Quelle: Heise.de

In Deutschland wird alle 3 Minuten eine Frau vergewaltigt / Quelle: die Netzfrauen

… allein im Jahr 2015 über 104.000 Frauen durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner misshandelt – durch Drohungen, einfache oder gefährliche Körperverletzung, Stalking oder sogar Mord. / Quelle: Tagesschau

Trotz schwerem Themas hat mir die Geschichte und das Buch insgesamt sehr gut gefallen. Es hat für mich gegen Ende ein paar kleine Schwächen, wo mir nicht so ganz klar wird, wie und was jetzt mit einigen Figuren der Geschichte geschieht. Aber es ist insgesamt schön erzählt, wenn man das überhaupt bei einem solchem Thema sagen kann. Joanne Fedler scheut sich nicht auch krasse Dinge anzusprechen, Gewalt und Schmerz zu thematisieren. Das erschrickt durchaus erstmal, aber vielleicht würde es nicht passen dies in einer solchen Geschichte auszublenden oder nur anzudeuten? Ich bin mir da nicht ganz sicher. Da dieses benennen nun aber nicht ständig der Fall ist und es einen zweiten Erzählstrang gibt, ist es für mich ertragbar gewesen.
Mich hat die Story gefesselt und ich freue mich, das ich das Buch zufällig in der Bibliothek gefunden habe. Schon allein deshalb, weil mich das Thema beschäftigt und ich durch den ganzen Themenkomplex Feminismus/Erziehung/Frauenrechte  etc. auch immer wieder auf das Thema Gewalt gegen Frauen stoße. Erschreckend wie sehr diese Realität so so viele Frauen weltweit betrifft und schockierend wie wenig darüber gesprochen wird. Und noch schlimmer, es ändert sich nichts. Dieser Fakt scheint, wie so vieles, als Normalität hingenommen zu werden, vorallem von Männern, die die Gesetze machen, als Polizisten arbeiten und die Gewalt größtenteils ausüben. Ich denk da gleich an den Gesetzentwurf zum Thema Vergewaltigung in der Ehe, worüber so unfassbar lang (20 Jahre) gesprochen wurde und die männlichen Politiker feixend im Bundestag saßen und sich amüsierten. https://twitter.com/tagesschau/status/864177990229528576?lang=de

Lange Zeit war das Thema vollständig tabuisiert. Viele der betroffenen Frauen fühlen sich immer noch hilflos. Scham und Angst vor Gerede oder weiteren Übergriffen hemmen sie, ihre Rechte einzufordern und Hilfe zu suchen. Viele sprechen mit niemandem über die erlebte Gewalt. / Quelle: Frauen gegen Gewalt

Etwas was mich sehr betroffen gemacht hat war die Nutzung der Namen von Gewaltopfern für die Figuren des Romans, die am Ende des Buches aufgelistet sind, mit jeweils einer kurzen Erklärung was Ihnen widerfahren ist.

Die Protagonistin der Geschichte heißt Faith. Sie hat ihr eigenes Päckchen zu tragen, denn in ihrer Familie ist ein Kind verstorben und das Verhältnis zu ihren Eltern und ihrer Schwester ist nicht gerade einfach. Faith scheint auch etwas aus der Art geschlagen. Aber sie hat eine Großmutter, Nonna, die sie sehr liebt. Mit der sie sprechen kann, mit der sie eine ganz besondere Verbindung hat.
Doch das reicht leider nicht aus, damit sie selbst mit sich zurecht kommt. Ihr Arbeit macht sie voller Hingabe und mit unglaublich viel Engagement, oft hat sie ein besonderes Gespür für die Vorgänge und eines für die Menschen, gleichzeitig scheint sie damit aber auch vor sich selbst zu flüchten und vor der eigenen Geschichte. Doch die Dinge kommen in Bewegung, nach und nach gibt es kleine Veränderungen und wichtige Begegnungen. Kurz vor Schluß wird es fast ein bisschen kitschig, aber das ist vollkommen ok. So ein bisschen Glück….

Von mir unbedingt eine Leseempfehlung. Das war mal wieder ein Buch welches mich angezogen hat und was ich in einigen wenigen Tagen gelesen habe. So ein Schmöker, den man nicht weglegen möchte, auch wenn es schon wieder zu spät ist. Ich mochte die „Figurenzeichnungen“ und habe gern den Gedanken und Überlegungen von Faith gelauscht, die manchmal ein wenig herb und kühl rüberkommt,  aber im Grunde genommen eine Seele von Mensch ist. Es es schön gewesen ihren „Prozess“ durch den Sie geht zu beobachten.
Es ist eines dieser Bücher, wo man sich am Ende ein wenig wundert das es so dick ist, weil man auch den Eindruck hat, daß ja nun gar nicht so sehr viel passiert wäre, aber das ist es eben doch. Es hat sich nur so gut zusammengefügt und ist so gut erzählt, das es unterhält und die Zeit schnell vergeht und man mittendrin ist in der Geschichte.

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Joanne Fedler
Wovon wir nicht sprechen
Droemer, 443 Seiten
19,99 €

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Joanne Fedler studierte Jura und engagierte sich in ihrer Heimat Südafrika für Frauenrechte.
auf der Verlagsseite gibt es nun ein interessantes Video mit der Autorin: Gründe für das Schreiben dieses Buches

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Artikel und Lesestoff zum Thema

https://www.tagesschau.de/inland/gewalt-frauen-deutschland-101.html

https://www.frauen-gegen-gewalt.de/gewalt-gegen-frauen-zahlen-und-fakten.html

https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/260339/gewalt-gegen-frauen

https://www.rundschau-online.de/aus-aller-welt/femizid-wenn-aus-liebe-toedliche-gewalt-wird-28073808

https://diestoerenfriedas.de/femizid-und-das-ohrenbetaeubende-schweigen-der-gesellschaft-ein-wake-up-call/

 

Mein Totentanz – wider die Ordnung

cemetery-1688304_1280In dieser speziellen Stille fanden sich alle Gäste nach und nach vor der kleinen Kapelle ein. Viele Menschen die ich noch nie gesehen habe oder sehr lange nicht mehr und auch viele bekannte Gesichter. Auch an diesem glühend heißen Sommertag alle vorbildlich in Schwarz gekleidet. „Getragen“ nennt man wohl diese Stimmung. Es war wie ein kleines Rollenspiel.

Ich war noch nicht auf allzu vielen Beerdigungen und die Abläufe sind mir immer noch nicht vertraut. Nie hat mir jemand etwas dazu erklärt, nie wurde ich weiter befragt, was ich dazu zu sagen habe oder mir wünsche, noch dass ich etwas mitgestaltet hätte, außer vielleicht das Grabgesteck … diesmal Rittersporn. Beim Einnehmen der Sitzplätze war schon unklar wer wo zu sitzen hat, zumindest saß wenigstens meine Schwester neben mir. Die Rede, des sonst sehr sympathischen Pfarrers, machte mich ärgerlich und erst heute wurde mir klar, dass der Verstorbene anscheinend echt was mit Glauben und Kirche am Hut hatte. Nicht zum ersten Mal hatte ich bei einer Beerdigungsrede den Eindruck, dass da von einer anderen Person gesprochen wurde als die, die ich gekannt habe. Es war trotz der extremen Hitze draußen kalt in der kleinen Kapelle, die Stuhlgruppen standen in einem rechten Winkel zueinander und ich fühlte mich beobachtet auf meinem Stuhl am Rand. Es war furchtbar unbequem.

Das Heulenwoher auch immer es kam, machte Druck in meiner Kehle und stieg den Hals weiter hinauf bis in den Kopf, verkrampft und fröstelnd saß ich auf meinem Platz. Irgendwann konnte ich es nicht mehr aufhalten, liefen die Tränen einfach. Aber nur ganz vorsichtig und leise traute ich mich in mein Papiertaschentuch zu schnauben. Bloß keinen Ton von sich geben. Auch die anderen zückten nur verschämt hier und da ein Taschentuch.

Als wir dann aus der Kapelle stolperten, gab es wieder so kleine Ordnungsprobleme, wer wie und wo den Urnenträgern hinterherlief. Eine Zeremonie mit festen Regeln, die keiner kennt, wenn es nicht so traurig wäre, wärs echt zum Schieflachen. Die Trompetenspieler begleiteten uns mit ihrem wunderschönen Spiel und die Töne trugen uns den Weg entlang. Die heiße Sonne trocknete die Tränen – ist ja jetzt auch mal gut, nicht. Eng standen wir aufgereiht im schmalen Gang zwischen den niedrigen Hecken und kleinen Urnengräbern. Unsicher und irgendwie steif. Ich spüre es innerlich brodeln, wenn ich daran denke. Eine immense Kraft und den Wunsch auszubrechen. Nur gerade so geht es. Dunkel pocht es unter der dünnen Haut. Die wilde Frau in mir, die sich nur knapp bändigen lässt.

Jammern und Klagen, bei uns doch verpönt. Bei Trauer vielleicht kurzfristig erlaubt, aber dann doch soll man sich auch mal wieder zusammenreißen, einkriegen, ruhig sein. Beschwörung des alles ist gut und hey, nein das ist es eben nicht, und das ist auch kein Trost. Wenn alles gut wäre würdest Du mich jammern und klagen lassen, mir mein Gefühl zugestehen oder allen anderen die es sich noch trauen zu zeigen, die sich vielleicht gar keinen Kopf machen und einfach sind, wie Sie gerade sind.

Ich denke an das Geheul der Wölfin – La Loba (Die Wolfsfrau erzählt), ich denke an das eigene Heulen, was für eine kurze Zeit morgens direkt nach dem Aufwachen und den ersten unklaren, noch freien Sekunden wie ein Sturm über mich hereinbricht und meinen Körper überrollt, so sehr das mir zum Kotzen zumute ist und später als ich es mir nicht mehr erlaube, implodiert.

Was braucht es, um den Ton nach außen zu lassen? Töne zu machen, Laute auszustoßen in einer reglementierten Welt, in welcher dem kleinsten Baby schon das Weinen abtrainiert werden soll, pscht, still. Der Ausdruck von Schmerz niedergemacht wird mit der Erklärung, dass das, was man empfindet, nicht wahr sei und man gefälligst anders sein solle … solang und so sehr, bis man seine Gefühle schon gar nicht mehr kennt und sich heimlich fragt, was mit einem nicht stimmt, weil man das alles so gar nicht so sieht, wie man es gesagt bekommt und irgendwie auch gar nicht mehr so richtig fühlt und alles mit dem Kopf angeht. Ein Bauchgefühl nur noch vorhanden ist in Form von Unwohlsein und Schmerz, von Magen-Darm-Problemen und Menstruationsbeschwerden.

Eine Welt, in der alles geordnet abläuft, und man herausfällt, wenn das Innere im Außen Ausdruck findet. Früher wurde mir verboten zu singen, weil es anscheinend so schlimm klang, zu sprechen hat man ruhig, und zu heulen gar nicht. La Loba La Loba*, wo ist dein Geheul?

Wie der Ton im Hals sitzt, das Schluchzen und das Elend, alles verkrampft noch tagelang. Wie könnte man nur einfach laut sein, einfach sich gehen lassen, sich hingeben, fallen lassen, schreien, klagen, seufzen, greinen, jammern, heulen

Gesittet läuft die Trauergemeinde den Urnenträgern hinterher, nur leises schnäuzen, und rote Augen sieht man Bäche von Tränen stumm gestürzt, aus den Fenstern der Seele. Die Wangen hinunter, im versteckten und verschämten, gebeugte Köpfe, den Blick auf den Boden, Tränen den Hals entlang in den Ausschnitt hinein, zumindest bei den Frauen Papiertaschentuch feuchte Knäule in den Fäusten.

Wut ein Pochen in den Schläfen, ein laut schlagendes Herz, ein Geheul, was sich aus der Kehle presst, ein Schrei in den Himmel, ein Kleid ungefärbt und ungebleicht. Geballte Fäuste. Kraft, die den ganzen Körper anspannt, ein Knurren tief aus dem Bauch, zusammengekniffene Augen, die letzte Tränen auspressen, fast schon Grimasse das Gesicht und mit einem Mal bricht sich der Ton in die Stille, ein Laut, ein Schluchzen und Jammern.

Heulen, wie es kommt, fast wie ein Gesang. Ein echtes Klagelied, ohne Worte, aber erdig und voll. Ein Kniefall zwischen den sauber geschnitten Hecken, der helle Stoff im Staub. So wie Rotz und Wasser im Gesicht. Gezeichnete Tränenspuren. Huhuuuuaaaaahhhhuuuu

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dies ist ein Text für die Blogparade vom Totenhemdblog:

https://totenhemd.wordpress.com/2016/10/04/unsere-november-blogaktion-ich-hab-mit-den-toten-getanzt/

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Vor einigen Jahren habe ich mich aufgrund meiner Arbeit in einer archäologischen Sammlung und einer Wanderausstellung intensiv mit dem Thema Totentanz beschäftigt – unglaublich was für eine Fülle an Literatur es zum Thema gibt – begriffen habe ich die Sache bis heute nicht, aber ich vermute einen Drang dahinter. Einem Drang nach Ausdruck, denn dem Tod entkommt keiner.

http://www.berlin.de/kultur-und-tickets/archiv/2777555-2805649-erzaehl-mir-was-vom-tod-interkative-auss.html

http://www.philosophieren-mit-kindern.de/erzaehl_vom_tod.html

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Ich erinnere mich gern an eine Szene aus „Six Feet Under“ in welcher der Protagonist Nate in einem Boot steht, unfähig seiner Trauer über den Tod seines Vater, Ausdruck zu verleihen, sein Blick Richtung Strand auf welchem sich schwarzgekleidete Klageweiber versammelt haben.

Eine wunderschöne Idee in der Serie ist, das all die Sterbenden ihre schon verstorbenen Liebsten sehen, sozusagen von Ihnen abgeholt werden. Ich finde das sehr tröstlich, diese Idee des Wiedersehens und abgeholt werdens.

http://www.serienjunkies.de/SixFeetUnder/alle-serien-staffeln.html

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Literatur:

*die Geschichte der La Loba erzählt von der Auferstehung. Die wilde Frau singt über den Knochen, die sorgsam zusammengetragen wurden, um ihnen neue Seelenkraft einzuhauchen.

„Die Wolfsfrau erzählt“ https://reingelesen.wordpress.com/2013/05/01/davor-die-wolfsfrau-erzahlt/

„Die Bücherdiebin“ – hier ist der Tod eine liebevolle Figur welche den gerade gestorbenen in die Arme schließt. Den Gedanken mag ich sehr.

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In vielen Kulturen gab es Klageweiber. Das waren Frauen die man dafür bezahlte anwesend zu sein und zu heulen und zu jammern und zu klagen. Ich denke das ergab auch eine Art Schutzraum in welchem man selbst besser weinen konnte, weil die Scham überwunden werden kann, wenn man nicht alleine ist mit seinem Geheul. Später fand das manchmal noch Ausdruck bei den Totenwachen.

Das Klageweib vor Christus: http://www.rhm.uni-koeln.de/138/Kudlien.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Klageweib

http://www.zeit.de/1990/11/flehen-der-klageweiber – das hätte ich gern gehört

http://www.spiegel.de/reise/staedte/schweiz-vom-duesteren-zug-der-klageweiber-a-72420.html

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