Ich weiß noch wie still es plötzlich war und wie gut das tat. Und das da dieses Gefühl war, das die Welt da draußen jetzt viel besser passte, etwas nachgab, ein Luftholen möglich war, für den Moment. Irgendwie.
Das was vorher nur in mir war und in meiner kleinen Welt, fand plötzlich Resonanz da draußen. Und auch wenn da etwas Angst war und es alles etwas grusliges hatte und mir der Vorrat fehlte und einkaufen so verdammt anstrengend war und die Angst in mir das irgendwann auch die Läden schlossen und mir vielleicht das Essen ausginge und ob denn auch alles andere vorhielte und ich mir Sorgen machte wegen des Wassers, und der Badeofen immer noch kaputt war und ich nun seit 3 Monaten wieder zurück war in meiner Wohnung, wo alles über ein Jahr vor allem still lag, auch wenn das alles war, war es schön, dass meine Welt für einen kurzen Moment nicht mehr so anders war wie die Welt da draußen, und unser eigentliches Tempo sich anglich. Und die alltägliche Hektik einer Ruhe wich, wie ich sie hier nur von Feiertagen kannte.
Ich fotografierte mir die Nummern von den Aushängen von der Nachbarschaftshilfe, falls ich es vielleicht doch nicht allein schaffte und dachte in 4 Wochen sieht es sicher schon wieder ganz anders aus. Es wird schon gehen, irgendwie.








Ich hatte die letzten Wochen funktioniert, ein Quartal kurz wie ein paar Tage in der Erinnerung, und kalt und grau. Noch war nicht alles zu mir durchgedrungen, der Schmerz aber mein permanenter Begleiter, genauso wie das Unbehagen und die vielen Fragen liefen immer mit, fuhren Karussell in meinem Kopf, und das Herz schmerzte endlos und es war eng in mir. Es quälte mich alles andauernd, ständig schwebte irgendeine Erinnerung durch den Kopf und intensiv durch den Leib, kein Appetit und Süßkram statt Geborgenheit und trotzdem zusammen und reißen. Mit all den Gewichten, der Alltag läuft weiter, und es fehlt der Raum wo ich meine Trauer, Wut und mein Unverständnis, mein Erschrecken hintragen konnte, dankbar über jedes Gespräch, wo eben ein Aussprechen möglich war, über das, was war und ist. Das reden, was es braucht, um die Gedanken zu sortieren und das unfassbare greifbar zu machen und zu verstehen was passiert war.
Es wurde still dann, Ende März, und die Kraft verließ mich, und ich verlor die Zeit. Ich schrieb endlose Texte in die Weiten von Whatsappverläufen und Messengerchats. Ich hatte auch meine Projekte, die zu diesen Zeiten wie Geländer an steilen Treppenstufenverläufen waren. Eine Zeit lang, ging das alles seinen Gang mit mir und meinem Gepäck im Schlepptau. Der Monitor mein Tageslicht und mein Zugang zur Welt.
Nein diesmal nicht, sagte ich mir, und dem Boden unter meinen Füßen, du bleibst hier.
„Sie wirken aber ganz stark und gesetzt“, sagt die Ärztin, ja nach außen hin merkt man mir selten an wie es in mir aussieht. Und ich bin auch stark, aber eben auch; und neben stark bin ich schwach, sehr schwach. So schwach und so müde und kraftlos zwischen Tag und Nacht, schlich ich durch die Zeit, die wiederum die Nähe zu einem schwarzen Loch suchte, sprich, es lief in Kreisen und Spiralen und Endlosigkeiten im dunklen und zeitlos und gleichzeitig und einfach nicht einsortierbar und nicht zu messen mit dem bekannten Zeitmaß.
So viel wie dieses Jahr bin ich noch nie in meinem Bett gelegen, so selten hatte ich die ganzen Jahre nicht im Hof gesessen. Aber es galt auch soviele Orte zu meiden, weil überall die Erinnerungen rausspringen konnten. Nicht unerwartet und wie kleine fiese Piraten. Es wurde wohl Frühling, recht spät wie ich mich dunkel erinnere, es war mir egal.
Mein Rahmen war das alte Küchenfenster, durch das ich den Himmel täglich beobachtete. Keine Flugzeuge mehr und immer eine Konstante, ob nun bewölkt oder blau. Zwischendurch doch mal gute Tage, wo ich Nachschub besorgte, und immer auf die Wärme und die Sonne wartete, um meine Lieblingskleider zu tragen für einen Moment des guten Gefühls. Und immer noch und immer wieder dachte ich an dich und lebte zur Hälfte im letzten Jahr. So viele prägnante Tage und Daten und ich las wieder und wieder die alten Nachrichten baute vor meinem inneren Auge die Zeitschiene nach und versuchte mich zu erinnern an gewisse Worte von dir. Und jedes Mal bohrte sich der Schmerz mir in die Brust und der Kopf wurde heiß. Die erinnerten Gefühle waren oft so mächtig, aber die Worte verschwammen vielfach im Nebel.
Obwohl mein Kopf soviel wusste, suchte er weiter nach Erklärungen, die ich eigentlich auch schon alle kannte, aber es half, wenn andere aussprachen, was ich mir dachte. Realisieren, begreifen bis jede Windung meines Gehirns, wie die Furchen meiner Hände, die genaue Form fühlen konnte.
Die Echtheit bestätigen, die Zustimmung suchend und dann manchmal doch wieder das Gefühl als wäre alles nur ein Traum, oder eine Geschichte. Aber was war der Traum, mein anderes Leben oder das jetzt und hier? Auch wenn der Geist lexikonschwere Wahrheiten las und für wirklich wahr befinden konnte, sickerte alles nur langsam zu meinem Herzen durch. Eine Strecke weit wie eine monatelange Reise. Ich sag ja, ich verlor die Zeit und damit auch das wo und das was, aber nicht das wie, das behielt ich fest im Auge. Wie war das alles eigentlich?
Da waren die Tage wo ich nicht schlafen gehen mochte, denn kaum lag ich zwischen den Kissen begann wieder den Gedankenkreiseln, immer und immer wieder und nein ich wollte keinen Gedankenstopp üben, ich wollte denken, ich wollte mich erinnern, ich wollte verstehen, ganz verstehen, und wissen und klären, wenn schon nicht mit dir dann für mich. Die Logik war mein Anker. Und dann waren die Tage wo ich nichts anderes wollte als nur schlafen, liegenbleiben, dankbar für keine Termine, einfach nur sein, wo ich war und schlafen damit ich nicht denken musste, und trotzdem schrieb ich Seitenweise Briefe in meinem Kopf immer wieder von vorn, manchmal auch auf Papier.
Die Trauer, wir liefen, saßen, schliefen immer zu zweit durch den Tag. Lange konnte ich nicht lesen und brauchte viel Konzentration um was zu schreiben. Ich lenkte mich ab mit Filmen und Binchwatching, ich war nicht kreativ, ich erschuf keine tolle Trauerkunst, ich arbeitete in mir. Ich bastelte immer wieder an diesem Zeitstrang, und puzzelte Ursachen und Folgen und Ereignisse so gut es ging aneinander. Und oft stocherte ich wie mit Stäbchen in der Suppenschüssel und bekam nichts zu fassen was benennbar gewesen wäre. Es fühlt sich an als wäre da irgendwo eine Kammer in meinem Kopf und immer, wenn ich einen Schritt auf sie zutrat, entfernte sie sich ein Stück. Aber ich weiß trotzdem noch wie ich mich fühlte, auch wenn ich deine Worte nicht mehr zu fassen bekomme, ich weiß was mitschwang und was sie bedeuteten. Es ist auch nicht das Wort was am Anfang oder Ende steht, das ist mir jetzt klar. Es ist das Gefühl und es ist der Körper, es ist immer der Körper, der zuerst da war und es auch zuletzt sein wird. Die Zellen sind die, die alles speichern, auch das, was wir nicht benennen können und auch das was uns sprachlos macht, wir können es fühlen.
Ich werde weiter denken und sammeln und innerhalb werken, das Ende wird sich ergeben. Draußen gibt es die Bilder von vielen Tagen, mit dem Blick aus meinem Küchenfenster. Auch wenn mein Körper müde war oder nicht weit wollte, sich verkroch in der sicheren Höhle, wandert der Geist und die Augen sammeln die Himmel ein, und die Hand schreibt hier und da etwas nieder, und später werden meine Beine wieder laufen und zwischendurch meine Ohren wieder Musik lauschen, die wieder in mir landen darf, dann wenn ich es mag. Alles in meiner Geschwindigkeit, in der Reihenfolge die eben da ist. Und die nicht messbare Zeit und das Vergehen der Monate sind dann vielleicht wie eine weiche Wolke, auf der ich liegenbleiben darf und ich mir das gestatte. Trauern ist Leben, in echt.
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November Blogaktion des Totenhemdblog
https://totenhemd.wordpress.com/2020/10/27/november-blogaktion-abschied-nehmen-meine-und-unsere-tradierten-und-spontanen-rituale/
„Trauer in Zeiten von Corona“

