Die Blogparade – Geschichte: Von Orten die Verschwinden

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Vergissmeinnicht

Das Kind unter und zwischen Büschen. Im Garten. Auf dem Hof. Auf dem Weg.
Mit den Händen die Steinmauer des Hochbeetes streichelnd im vorbeigehen.
Das Kind am Teich hockend vergnügt die vielen Goldfische beoachtend.
Innerlich ein Glucksen vor Freude
Das Kind auf seinem Weg durch den Garten, es lief damals schon so, wie heute noch, mit größter Aufmerksamkeit für all das wachsende und wuchernde und seiende.

Querfeldein. So lange es noch geht. Bevor auch hier alles zugebaut ist, gehe ich diesen Weg. Auf dem Grundstück wüteten die Bagger. Dunkle Kerben, breit wie eine Straße, im hinteren Teil des Gartens. Ich lief durch die flachen Gruben. Wie oft ich wohl als Kind hier durch den Garten gesprungen war, durch die Tomatenreihen, unter den Bewässerungsleitungen durch, hinüber zu den Tulpen. Auch wenn die Freiheit des Kindseins verflogen war, einen kurzen Gang durch den Garten ließ ich mir nie nehmen wenn ich hier die Großtante besuchte.

Über den Weg mit den Pflaumenbäumen, durch den Torbogen mit den Rosenranken. An der weißen Bank vorbei wo der Onkel früher saß. Der Garten ist so viel leerer ohne Ihn. Gegenüber das kleine Tonnenspielhaus mit seiner winzigen Treppe. Und daneben die alte Schaukel. Verrostet und nicht mehr funktionstüchtig.

Ich bückte mich und schaute in das Häuschen. Drinnen schlief die alte Katze. Ich wusste ihren Namen nicht mehr. Aber ich glaube die Katzen hießen immer gleich. Mieke oder Peter oder so ähnlich. Unter ihrem graubraunem Körper lag ein altes verblichenes Kissen und neben ihr erbrochenes Futter. Man sah das die Katze alt war. Die Unterlippe hing etwas herunter und ihr Fell war stumpf. Auf leises rufen reagierte Sie nicht. Sie war wohl taub geworden. Ich schaute auf ihren Rumpf. Und ich sah das er sich noch hob und senkte, also atmete Sie noch. Gern hätte ich Sie gestreichelt, aber ich wollte Sie nicht erschrecken und ließ Sie schlafen.

Auf dem Weg entlang der Terrasse mit dem Kamin. Am Betonpool und den Resten des rostenden alten Gewächshauses. Vorbei an den Wassertonnen, über die in einer geraden Linie gelegten Platten hin zu den Tulpenfeldern und zum letzten Eck hinter dem Busch, wo wildes Gestrüpp keine Richtung kannte und so verquer den Boden bedeckte. Ein kleines Eck verwahrloste Landschaft die die Beine verkratzte und sich in den Kniestrümpfen verfing. Trotzdem so anziehend in seiner lebhaften undurchdringlichen Wildheit. War es jemals bis ans Eck gekommen? Ins Äußerste. Nicht in der Erinnerung. Auf dem Rückweg rüber zur Schaukel neben dem Tonnenhaus. Schaukeln, bis hinauf zu den höchsten Zweigspitzen des Aprikosenbaums. Den Wind in Haar und Kleid.

Nach meinem Besuch bei der Tante ging ich noch einmal zur Tonne. Die Katze lag genauso da wie vor 2 Stunden. Ich erschrak kurz, weil ich nicht gleich eine Atembewegung ausmachen konnte. War Sie tot? Leise rief ich. Die Katze wachte auf mit einem kleinen Schrecken, dann erhob Sie sich und schaute mich mit müden Augen an. Ich kraulte Sie am Köpfchen und Ihren Rücken entlang. Eine Menge Haare lösten sich. Sie drückte Ihr Köpfchen gegen meine Hand und freute sich wohl über die unverhofften Streicheleinheiten.

Die Sonne war herausgekommen und in mir die leise Ahnung von Tod. Hier die alte Katze, bei der ich erst auf den 2. Blick sicher war das Sie noch lebt. Früher als wir hier noch spielten, schienen alle Katzen immer jung zu sein.

Oben im Haus saß meine alte Großtante. Sie wurde immer kleiner und zarter. Sie war vergesslich und wusste schon Abends kaum mehr das ich da gewesen war. Da Sie alles schnell wieder vergessen hatte passierte nichts. Allein und ohne Zusammenhang. Auf dem Raum Ihrer 4 Wände.

Sie sah nicht die Katze und auch nicht die Fische im Teich. Weder die neuen Blumen noch das saftige Grün. Wenn Sie aus Ihrem Küchenfenster im 4. Stock schaute, schaute Sie in die Weite. Sah wie sich weiter hinten die Welt veränderte. Häuser gebaut wurden. Neue Bahnlinien fuhren und ein Großmarkt neben dem anderen entstand. Und Sie sieht den Himmel. Verfolgte die Jahreszeiten. Das Wetter war beharrlich einen Kommentar wert. Es war immer zu heiß oder zu kalt. Es regnete zu viel oder schneite zu lang. Was gleich blieb,  das waren die Vögel. Ein kleines Häuschen am Küchenfenster immer mit Futter bestückt, daran freuten wir uns beide.

Die Geräusche der Insekten und das leise Rauschen der entfernten Straße. Der Duft des Gartens. Frühlingswärme. Licht durchflutet, alles. Leuchtende Blätter, das Summen und die alte Katze in Ihrem Versteck.

(Das Kind) im sicheren Raum des Bauches.Sein Heim passt sich seiner Größe an es schwimmt nicht umher, schwerelos; sondern wird gehalten von den Wänden der Gebärmutter.

Diese Geschichte ist über lange Jahre entstanden und ging durch einige Bearbeitungen. Enthält so manches an biografischem. Die ersten Sätze entstanden damals zum Thema Heimat in einem Theaterprojekt. Die letzte Überarbeitung und Essenzierung erhielt Sie vor nicht allzu langer Zeit als ich Sie bei einem kleinen lokalem Wettbewerb einreichte.

Für mich ist das biografische Schreiben etwas sehr schönes und wichtiges, um sich sich Selbst anzunähern. Zu entdecken woher man kommt, was einen ausmacht und geprägt hat. Um alte Träume wieder zu finden und sich bewußt zu werden an was einem wirklich liegt. Ich bin der Meinung das jede Kindheit irgendwo ein kleines Paradies hatte. Sei es noch so winzig. Einen Raum der nur dem Kind gehörte, wie ein geheimer sicherer Ort. Nachts unter der Bettdecke mit der Taschenlampe, bei Oma auf dem Schoß, auf dem Schulhof zwischen den Büschen in der geheimen Hütte oder draußen am Stadtrand an der Wiese…

Mein Paradies war immer Grün und ist es noch.

Mai 2016