Auf das Buch war ich sehr gespannt. Vor einiger Zeit habe ich auch „Eisenkinder“ gelesen was mir zuerst nicht so gefallen hatte, dann aber Seite um Seite mehr. „Die Mutter meiner Mutter“ habe ich sozusagen gefressen. In 2 Tagen durchgelesen. mich hinein gestürzt, die Geschichte aufgesogen.
Die Geschichte hat im Grunde nicht so viel mit mir selbst zu tun aber irgendwie doch, so als Kriegsenkelin, die hier Parallelen findet zu den Menschen in Ihrem Leben. Solche Geschichten zu lesen, vor allem solche aus dem Osten von Deutschland ist schon auch eine Suche nach eigenen Antworten.
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An sich wäre alles schnell erzählt – ist es aber nicht, es bleibt insgesamt vieles offen auch auf die Frage warum es „Die Mutter meiner Mutter heißt“ anstatt meine Oma oder so. Daran störe ich mich aber nicht, denn um gewisse Dinge erzählen zu können braucht es Abstand zu den Dingen .
Eine Buchhändlerin, die hin und wieder Lesungen anbietet, sprach ich auf dieses Buch an und ob das nicht mal eine schöne Einladung wäre, die Sabine Rennefanz. Die Buchhändlerin meinte, wer will schon zu einer Veranstaltung kommen wo es um die Geschichte der Vergewaltigung der eigenen Großmutter geht. Diese Antwort hat mir ein wenig die Sprache verschlagen, denn dies so auszudrücken wird weder dem Buch gerecht noch der Thematik, die eben soviel weiter greift. Und wenn Sie es schon so auf den Punkt benennen will, wie sehr hat doch Gewalt an Frauen uns alle geprägt? Wie sehr sitzt diese Gewalt in unseren Genen? Wie sehr die Angst und der Schmerz? Und wie wichtig sind deshalb genau solche Bücher? Und wie wichtig ist es dies auch in die Öffentlichkeit zu bringen!
Wenn schlimme Dinge passieren sind diese nicht einfach vorbei, und genau darum geht es in diesem Buch. Das was passiert, ist sehr sehr lange ein Geheimnis und im nachhinein zieht die Autorin vielleicht so etwas wie ein Resümee, im Versuch der Erzählung, die ich immer als ein tasten und suchen empfunden habe, als ein vorsichtig sein, achtsam und bedächtig. Aber genauso finde ich auch einen Willen zur Wahrheit, ein verstehen wollen und sich annähern, genauso wie ein sich neu finden in der Verortung innerhalb der Familienkonstellation, die ja nach dem Lüften des Geheimnisses eine andere ist. Und wie es vielleicht manche Kinder und Enkel von Tätern erleben – dieser Schock, das die geliebte oder gedacht gekannte Person eben auch jemand ganz anderes war.
Was wissen wir Kinder und Kindeskinder schon? Das meiste was wir wissen, wissen wir doch aus den Erzählungen, wenn denn überhaupt erzählt wird. Wieviel wird sich automatisch zusammengereimt aus kleinsten Andeutungen und kleinen Fragmenten um die herum man eine Geschichte wachsen läßt. Vermutlich der Ordnung halber? Oder um sich daran festzuhalten? Um nicht ewig im suchen zu schwimmen?
Wie schwer ist es sich dem Unglück der Vorfahren zu stellen, wie viel schwerer noch sich den Taten der Täter in der eigenen Familie.
Der Großvater kam damals aus der russischen Gefangenschaft zurück… auch einer meiner Großonkels kam von dort wieder, sehr spät, so wie auch der Friedrich Stein, mit dem man schon gar nicht mehr rechnete. Seine Möbel waren verschenkt und in seinem Haus lebten Flüchtlinge…
Sabine Rennefanz scheint mir soviel zu erzählen wie nötig aber nie mehr. Es bleibt viel Spielraum. Es wird viel in Andeutungen geschrieben, nichts schreckliches ausgesprochen. Und ist nicht gerade das die Stimmung die man auch kennt? Und die einem wenig Halt gibt? …die es auch aushaltbar machen.
Die Andeutungen reichen, und sind vielleicht auch gerade gut weil Raum bleibt für die eigene Geschichte. Das sind doch immer die besten Bücher, also die, in denen man sich selbst ein Stück weit wiederfindet. Und auch ist das schlimme doch gerade wenn es einen selbst betrifft, nicht immer gut aussprechbar, zumindest geht es mir so, und das finde ich auch gut so, da es schützt vor einer weiteren Entblößung.
Und eins wird klar, wie sehr die Vergangenheit, auch wenn sie geheim war, unser Leben heute prägt. Die Menschen prägt und die Art wie Sie leben. Ich bin so vertieft gewesen das ich mit meinen Markierungen gerade nicht viel anfangen kann und von daher hier auch nichts zitieren möchte.
Die 3 Töchter von Friedrich weinen zusammen als er gestorben ist – das fand ich sehr ergreifend und schön, die Mutter der Mutter räumt alles aus dem Haus was Friedrich gehört hat…
Das Buch spielt heute und gestern – an beiden Orten könnte man den Eindruck haben das von verschiedenen Personen die Rede ist, doch nur zusammen ist verständlich um was es geht. Es muß ein großer Schmerz gewesen sein für die Autorin, aber ich denke es ist auch sehr sehr heilsam darüber zu schreiben und die Geschichte zu erzählen.
Das Buch hat mich sehr berührt. Die Umschlaggestaltung passt ganz wunderbar und ganz hinten auf dem Einschlag findet sich ein wirklich besonderes Foto der Autorin was ich mir lange angeschaut habe, wir sind fast derselbe Jahrgang. „Die Mutter meiner Mutter“ empfinde ich ähnlich wichtig wie „Die Mittagsfrau„, es läßt sich aber leichter lesen und hinterläßt auch ein bisschen mehr Hoffnung. Diese Bücher sind auch eine Geschichte der Frauen. Und wir Enkelinnen spüren den Schmerz, nicht wie unsere Mütter die verdrängen, abspalten, nicht wissen wollen, so tun als ob und funktionieren, und trotzdem alles an uns weitergegeben haben. Negieren hilft nicht, das ist klar, zumindest uns. Und doch ist gerade das eben auch eine Folge des Traumas das Dinge getrennt sind die ohne das Trauma eine Einheit bilden würden.
Erzählte Geschichte. Die Politik der Kriege und der Unmenschlichkeit, wie Sie sich wiederfindet in den Familien, das wird einem klar mit solchen Büchern. Ich empfinde dieses erzählen als essentiell für die deutsche Identität, auch für die Identität als Frau, denn ich bin auch alle meine Ahninnen, Sie sind alle in mir. Es spielt eine Rolle woher wir kommen.
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Die Mutter meiner Mutter
Sabine Rennefanz
256 Seiten, 19,99 €
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Mär 19, 2016 @ 18:57:05
Hallo!
Ich habe mir gerade nach Deiner Rezension auch das Video angesehen, denn sie hat mich sehr neugierig gemacht.
Die ersten Worte habe mich auch gleich gepackt – das mit den zugewiesenen Rollen kenne ich auch.
Je länger ich zugehört habe, desto mehr wurde mir jedoch klar, dass mir das Buch vermutlich viel zu nahe gehen würde und Wunden, über denen sich schon eine feine, zarte Haut gebildet hat, wieder aufreißen würde.
lg
Maria
Mär 19, 2016 @ 19:01:26
Liebe Maria, dazu kann ich leider nicht viel sagen weil ich ja nicht weiß wie nah Du der Geschichte bist, aber ich fand es sehr gut lesbar, vielleicht eben auch weil Sie es viel bei Andeutungen läßt, viel geht es auch um das Leben auf dem Dorf, in der Kindheit und heute. Mir fiel noch ein das es mich grade vom Leben auf einem Hof an das Buch „Wir sind doch Schwestern“ erinnert hat. Liebe Grüße
Mär 19, 2016 @ 19:11:06
Hallo!
Ich merke oft, dass es schon reicht, das Thema zu streifen, es muss noch nicht einmal all zu viele Parallelen geben, um mich in alten Erinnerungen versinken zu lassen.
Beide Großväter waren in russischer Kriegsgefangenschaft, väterlicherseits ist er ganz spät zurück gekommen. Ich habe sie beide nie kennen gelernt, aber aus Erzählungen weiß ich, dass sie gebrochen zurück gekehrt sind.
Gerade Andeutungen scheinen es mir schwer zu machen. In meiner Familie wurde nie konkret gesprochen, es gab immer nur Andeutungen, da es vermutlich für alle zu schmerzhaft war.
Für mich ist es nach wie vor unvorstellbar, wie viel Leid so ein Krieg doch hervor bringen kann.
lg
Maria
Mär 19, 2016 @ 21:43:17
Was ich von mir kenne ist irgendwie so ein Nichts. Ich hab schon früh nachgefragt, es wurde aber sehr wenig erzählt. Kann ich mir vorstellen das für dich dann der Raum den die Autorin läßt von deinen eigenen Geschichten gefüllt wird. Ich mag dir aber auch sagen das Schmerz heilt wenn wir Ihn zulassen. Und das schlimme haben wir ja so oder so mitbekommen oder sogar vererbt bekommen, über die Zellen und die Erziehung. Schon biologisch haben wir die Ahnen in uns. Vielleicht kannst Du ein Ritual für die beiden machen? Oder eine Fürbitte, also wenns dir so is als bräuchte es was?
Ich hatte den Eindruck nach dem Tod meines Großvaters, das die Geschichten von der Seele perlten und er jetzt eher als eine Kernseele da so im Äther ist… da gäbe es einiges was mit dem vorigen Buch mal durchwirken könnte…falls Du das Buch ausleihen willst sag mir gern bescheid.
Mir hat es auch sehr geholfen über meine Geschichte zu schreiben, mich auszutauschen in einer Onlinegruppe. Es gibt auch den Kriegsenkel e.V. und ab nächsten Monat werde ich alle 4 Wochen ein Erzählcafé veranstalten, wo alle möglichen Seiten Ihren Raum haben sollen. Ja es waren schlimme Zeiten in denen sie leben mußten, auch meine Eltern irgendwie… kaum einer der kein Päckchen trägt. Alles Liebe
Mär 20, 2016 @ 06:20:02
Hallo!
Danke für Deine lieben Worte und Deine ausführliche Antwort, die ich jetzt einfach einmal so wirken lasse.
Und danke für das Angebot wegen dem Buch!
Das mit dem Ritual hat mich sehr angesprochen.
lg
Maria
Mär 20, 2016 @ 10:44:51
sehr gerne Maria, ich taste mich da auch so vor mit dem Thema, alles Liebe
Mär 19, 2016 @ 16:28:27
Nein, das kenne ich nicht, muss ich gleich mal gucken. Danke für den Tip!
Mär 19, 2016 @ 16:08:08
Das war eines meiner Lesehighlights 2015, mich hat das Buch (bin auch Kriegsenkelin, meine Mutter ist 1945 auf der Flucht geboren) auch sehr berührt, man stellt denkmäßig doch ab und an Parallelen zur eigenen Familiengeschichte her. Ich lese grade „Anna und Armand“ von Miranda Richmond Mouillot, welches die gleiche Themantik behandelt, auch da sucht die Enkelin nach Antworten. Würde ich auf jeden Fall jemandem empfehlen, der das Buch von Sabine Rennefanz mochte.
Mär 19, 2016 @ 16:14:58
ah ich Danke Dir, 🙂 witzigerweise lief mir das genannte Buch vor kurzem über den Weg aber ich war mir nicht sicher, weil ich so Pärchengeschichten nicht so mag. Ich denk auch das mir das Buch von Sabine Rennefanz echt in Erinnerung bleiben wird. Hast Du denn „Die Mittagsfrau“ gelesen?